Ein Land im Aufbruch

In seinem kenntnisreichen Überblick zeigt der Iran-Kenner Adnan Tabatabai den Facettenreichtum der Islamischen Republik. Er betont Potenziale und Chancen des Landes, ohne Missstände zu ignorieren.

Ist der Gottesstaat, wie er häufig genannt wird, nun islamisch oder republikanisch? Adnan Tabatabai, der derzeit an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf lehrt, erläutert die Strukturen des iranischen Militärs, der Theokratie, der Wirtschaft und der Politik.

Dabei legt er sein Augenmerk auf viele Widersprüche, die daraus entstehen, dass das politische System der Islamischen Republik theokratische und demokratische Züge – etwa allgemeine Wahlen – in sich vereint. Tabatabai beschreibt die Rolle von Militärs und Revolutionsgarden als „Hüter des Systems und Hüter der Nation“. Er weist auch auf die Verflechtung politischer und wirtschaftlicher Interessen hin. So zeigt er am Beispiel der Revolutionsgarden, wie aus einer zunächst militärisch und dann auch wirtschaftlich agierenden Institution eine mächtige Interessengruppe mit aktiven Lobbyisten entsteht, die auch politisch Einfluss nimmt.

Tabatabai stellt dar, dass die ideologische Dimension der iranischen Außenpolitik zwei Gründe hat: Das Selbstverständnis als weltweite Interessenvertretung muslimischer Gemeinschaften und vor allem eine antiimperialistische Haltung. Diese zielt seit dem Sturz des demokratisch gewählten Premierministers Mohammad Mossaddegh durch amerikanische und britische Geheimdienste im Jahr 1953 hauptsächlich auf die USA und Großbritannien.

Der Autor behandelt auch die gesellschaftliche Situation der Frauen zwischen Emanzipation und Bevormundung, die politische Rolle der Universitäten als Quelle des Protests, die Medienlandschaft angesichts von Zensur und Selbstzensur, den Umgang mit ethnischen und religiösen Minderheiten sowie die Rolle der sich entwickelnden Zivilgesellschaft. Tabatabai sieht durchaus Anzeichen eines konstruktiven Zusammenwirkens von staatlichen Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen, wenn dies vorerst auch nur „vornehmlich auf politisch weniger heikle Themen und Bereiche zutrifft“.

Ausführlich geht er auf die wirtschaftliche Lage ein und weist auf Korruption, Vetternwirtschaft, Ineffizienz, die hohe (Jugend)Arbeitslosigkeit sowie die soziale Ungleichheit hin. Eine entscheidende Rolle spielt für Tabatabai das sich abzeichnende Ende der wirtschaftlichen Isolation Irans. Auslandsbeziehungen und Investitionen in Industrie und Agrarwirtschaft, Transport und Verkehr könnten die Lebensbedingungen der Bevölkerung deutlich verbessern und nicht nur die Iraner von der Politik Rohanis überzeugen.

Tabatabai zeigt, innerhalb welcher Spannungsfelder sich die Zukunft der Islamischen Republik entfaltet. Er macht politische Dynamiken und gesellschaftliche Entwicklungen verständlich und schärft den Blick für die Chancen und Potenziale des Landes: „Der Wandlungsprozess in Iran ist im vollen Gange und gewinnt an Dynamik.“ Ein ohne Bevormundung verfasstes, kenntnisreiches und lehrreiches Buch.
 

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