Studieren ist nicht genug

Ein neuer Sammelband erkundet, wie in Deutschland heute über Nachhaltigkeit diskutiert wird. Die Autoren stoßen dabei auch auf blinde Flecken.

Wie kann ein zukunftsfähiges Deutschland aussehen – und wie kommt man ihm näher? Die Debatte haben zwei Studien geprägt, die der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) 1996 zusammen mit Misereor beziehungsweise 2008 mit Brot für die Welt herausgegeben hat. Sie haben unter dem Schlagwort „Umweltraum“ den Ansatz bekannt gemacht, dass die Erde auf Dauer nur ein begrenztes Maß an Ressourcenverbrauch, Müll und Abgasen verkraftet und alle Menschen den gleichen Anteil daran beanspruchen dürfen. Die neue Ausgabe der Zeitschrift „Politische Ökologie“ fragt nun, welche Veränderungen das angestoßen hat.

Eine gemischte Bilanz ziehen Klaus Seitz, Georg Stoll und Angelika Zahrnt von den drei Organisationen hinter den Studien. Zwar seien viele Argumente daraus – etwa, dass Wirtschaftswachstum nicht automatisch Wohlstand bedeutet – heute akzeptiert. Aber praktisch gehe Deutschland unbeirrt auf einem nicht nachhaltigen Weg weiter. Stark verbessert habe sich die Zusammenarbeit zwischen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen und das Verständnis untereinander; doch für die gemeinsamen Ziele zu werben, werde eher schwieriger. Und zu sehr bleibt das Problem der sozialen Ungleichheit ausgeblendet, ergänzen Hubert Weiger und Joachim Spangenberg, zwei alte Kämpen des BUND. Beide Artikel kommen erfreulich nüchtern und selbstkritisch daher, statt die „Zivilgesellschaft“ zu beweihräuchern.

Auch manch andere Beiträge sind sehr lesenswert. So zeigt Rudi Kurz, dass alle Erfahrung gegen die These spricht, man könne allein mit mehr Effizienz den Ressourcenverbrauch verringern. Reinhard Loske und Tobias Vogel prüfen kritisch die Konzepte, Glück zu messen und zu belegen, ob es vom Wirtschaftswachstum abhängt. Und die Biologin Christine von Weizsäcker macht auf einen Kulturkonflikt unter den Umweltbewegten aufmerksam: Klima- und Energiepolitik sei eine Domäne der Technikbegeisterten, während die Verteidiger der Biodiversität von der Komplexität der Natur und der Achtung vor ihr ausgingen. Was dem Klima nutze, könne der Artenvielfalt schaden. Und die Fachleute beider Seiten nähmen nicht einmal wechselseitig ihre Arbeiten zur Kenntnis.

Der technokratische Ansatz scheint auch in einigen Beiträgen zu diesem Heft durch. Andere wiederholen Bekanntes und mahnen große Ziele an, ohne die Schritte dahin und deren Folgen zu durchdenken – zum Beispiel beim Ruf nach einer Wende auf den Finanzmärkten. Damit lässt der Band ungewollt ein Problem erkennen: Forderungen nach Nachhaltigkeit bleiben nicht selten schwammige Appelle. Und dagegen helfen Studien wenig.

Bernd Ludermann

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