Wie Beamte die Flüchtlingshilfe hintertrieben

Ferry Maier berichtet als ehemaliger Abgeordneter der Österreichischen Volkspartei (ÖVP)  und Generalsekretär des Vereins „Österreich Hilfsbereit“ glaubhaft und mit Wut im Bauch, wie die Politik während der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 versagt hat.

Um den Flüchtlingsstrom über die sogenannte Balkan-Route in den Griff zu bekommen, setzte die österreichische Regierung im August 2015 den 71-jährigen früheren Raiffeisen-Generaldirektor Christian Konrad als Koordinator ein. Ihm wurden exzellente parteiübergreifende Kontakte nachgesagt. Seine rechte Hand war Ferry Maier, der in seinem Buch darlegt, wie Konrad sein Mandat verstanden habe: als Auftrag, möglichst unbürokratisch dafür zu sorgen, dass alle ausreichend zu essen bekamen, niemand im Freien übernachten musste und das Zusammenleben zwischen Flüchtlingen und Aufnahmegemeinden möglichst spannungsfrei gestaltet wurde.

Maiers Schilderung des darauf folgenden Kampfes gegen Bürokratie und politische Widerstände seitens der Bürgermeister bis hin zur Innenministerin liest sich wie das Lamento einer humanitären Organisation. Konrad und er erkennen, wie Maier berichtet, binnen kürzester Zeit, dass die vom Ministerium mit Argwohn behandelten nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) effiziente Helfer und tatkräftige Verbündete sind, während das Innenministerium, das für Fremdenwesen und Asylangelegenheiten zuständig ist, abwehrt und Hürden baut. Als es darum geht, möglichst schnell ein paar Busse an die Grenze zu schicken, habe ein Beamter darauf gedrängt, erst eine europaweite Ausschreibung abzuwarten. Auch wurde ein für die medizinische Versorgung dringend benötigter Sanitärcontainer wieder entfernt, weil, wie in schönstem Beamtendeutsch beschieden wird, „betriebsfremde Objekte auf nicht fundamentiertem Grund ohne Baugenehmigung errichtet wurden“. Die damalige Innenministerin Johanne Mikl-Leitner (ÖVP) nimmt Maier allerdings in Schutz. Sie sei „von Beamten umgeben, die – bei Gendarmerie oder Polizei ausgebildet – das Fluchtthema primär als Sicherheitsfrage sehen, als Helfer sind sie in der Regel überfordert“. Jede Verbesserung für die Flüchtlinge werde als gefährlicher Anreiz identifiziert, der unweigerlich neue Flüchtlingsströme auslösen werde.

Für Maier und seine Co-Autorin Julia Ortner ist dagegen klar, dass Push- und nicht Pull-Faktoren Millionen Menschen in die Flucht treiben. Die Krise, so betonen sie, sei eindeutig hausgemacht. Schließlich hatte Österreich zuvor – im Einklang mit der europäischen Linie – Gelder für Entwicklung und humanitäre Hilfe schrittweise gekürzt. Verzweifelte Appelle des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, das wegen dieser Kürzungen weniger als die Hälfte der nötigen Mittel hatte, um Kriegsflüchtlinge in den Lagern in Jordanien, im Libanon und der Türkei notdürftig zu versorgen, waren ungehört verhallt.

Interviews mit Flüchtlingskoordinator Konrad und freiwilligen Helfern sowie Portraits einzelner Flüchtlinge und der besonders engagierten Gemeinde Neudörfl im Burgenland runden das Buch ab. Im Interview zieht Konrad eine positive Bilanz seiner Arbeit. Dass er sein Mandat nach einem Jahr beendet habe, liege daran, dass sein Vorschlag, eine Plattform für Integration aus NGOs, Industriellenvereinigung und Wirtschaft zu bilden, von der Regierung abgelehnt worden sei. Der Leser bekommt den Eindruck, dass die Politik auf Flüchtlinge vor allem mit Verschärfungen in Gesetz und Verwaltung reagiert und kein Interesse daran hat, dass jemand dauerhaft zeigt: Es geht auch anders.

Ralf Leonhard

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