Das „Gute Leben“ als Fantasie der Mittelschicht

In ihrer Studie zur Armutsbekämpfung in der peruanischen Provinz Urubama untersucht Imke Schulte die Sinnhaftigkeit von Hilfsprojekten. Sie fordert mehr Teilhabe und Partnerschaft in der Entwicklungszusammenarbeit, bleibt dabei aber sehr allgemein.

Das Urubamba-Tal bei Cusco in den peruanischen Anden ist nicht nur ein Hotspot des internationalen Tourismus, sondern auch der „Entwicklungs-Indu­strie“. Seit vielen Jahren tummeln sich dort verschiedenste Träger der Entwicklungszusammenarbeit, von staatlichen Agenturen bis zu kleinen Hilfsvereinen und jugendlichen Freiwilligen aus vielen Ländern. Cusco ist also ein interessantes Gebiet, um der Frage nachzugehen: Was verstehen die Armen, also die Adressaten von Entwicklungshilfe, eigentlich unter Armut und Entwicklung? Und wie verstehen sie den Ansatz des „Guten Lebens“ (Buen Vivir), den gerade Kritiker dieser Hilfe oft als originär lateinamerikanisch-indigenen Gegenentwurf zur westlichen Entwicklungslogik anführen?

Diesen Fragen ist die Ethnologin Imke Schulte in ihrer Studie „Armut aus Sicht der Armen“ nachgegangen. Dabei befand sie sich in der nicht unproblematischen Doppelrolle als Mitarbeiterin einer deutschen nichtstaatlichen Organisation (NGO) und als Forscherin. Imke Schulte hat sieben Teilnehmende eines Mikrofinanzierungsprojektes  im Urubamba-Tal, neun Mitarbeiter und Leiter von Hilfsorganisationen,  neun Dorfbewohner aus der Umgebung, sechs Stadtbewohner aus dem Umfeld der Entwicklungszusammenarbeit und drei Wissenschaftler aus Cusco nach ihrer persönlichen Wahrnehmung von Armut, Entwicklung und dem Guten Leben befragt.

Herausgekommen ist ein lesenswertes Buch, das vor möglichen Idealisierungen von Seiten der Helfer warnt. Der Gegensatz von Moderne und Tradition, wie ihn gerade Verfechter eines „Guten Lebens“ oft postulieren, ist in der Praxis nicht aufrechtzuerhalten: die befragten indigenen Dorfbewohner nannten in ihren Antworten, was Entwicklung und „Gutes Leben“ ausmache, wesentlich auch materielle und westlich geprägte Faktoren. Im wahren Leben sind die Identitäten sehr viel dynamischer und durchmischter. Vor allem in- und ausländische Vertreter der Mittelschicht idealisieren das „Gute Leben“ der indigenen Bevölkerung – die zugleich Adressat der Hilfsprojekte ist. Gleichzeitig bleibt die Praxis der NGO in Bezug auf Teilnahme und Partnerschaftlichkeit meist hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück: So bleibt die Entscheidungsmacht über Hilfsprojekte allein bei den NGOs, kulturelle Faktoren der Bevölkerung werden vor allem als Mittel zur Erfüllung der von den NGOs  gesetzten Projektziele betrachtet. Dazu passt die Aussage eines Dorfbewohners, dass den NGOs vor allem die schönen Fotos mit den Trachten wichtig seien.  

Imke Schulte zeigt die Gefahr der Idealisierung auf, bleibt aber selbst bei der allgemeinen Forderung nach mehr Partnerschaft  und Gegenseitigkeit stecken. Konkrete Anregungen, wie man die Entwicklungszusammenarbeit entsprechend gestalten kann, bleibt sie schuldig. Wie könnte man beispielsweise sichtbar machen, wie die ausländischen jugendlichen Freiwilligen durch eine Tätigkeit im Projekt vor allem für ihre eigene persönliche Entwicklung profitieren? Was lernen die Entwicklungsexperten wirklich von den sogenannten Armen? In der Praxis – so eine weitere Schlussfolgerung des Buches – sind die Entwicklungsprojekte  eben doch vor allem vom Geldfluss geprägt, und die multidimensionalen Ansätze der Armutsbekämpfung bleiben allzu oft Theorie.

Das Buch von Imke Schulte ist gut lesbar. Es präsentiert neben den Ergebnissen der empirischen Untersuchung auch eine sehr verständliche Zusammenfassung der verschiedenen Ansätze, Entwicklungszusammenarbeit zu verstehen.

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