Blick auf unbekannte Helden

Europäische Forscher haben seit der Frühen Neuzeit den Erdball bereist. Sie nahmen große Entbehrungen und Gefahren in Kauf und wurden dafür als Helden gefeiert. Der Politikwissenschaftler Volker Matthies rückt die indigenen Helfer ins Licht, die diese Reisen überhaupt erst möglich gemacht haben.

Obwohl die meisten Entdeckungsreisenden mit einem Tross von einheimischen Helfern unterwegs waren, kommen ihre Namen in den Expeditionsberichten selten vor. Doch ohne Koch und Diener, Träger und Dolmetscher, Fährtenleser und diplomatische Verhandler kam keine Expedition in unbekanntem Gelände voran – erst recht nicht, wenn die örtliche Bevölkerung den Eindringlingen reserviert bis feindlich gegenüberstand.

Volker Matthies stellt den europäischen „Helden“ die einheimischen an die Seite, die nicht selten ebenso zum Erfolg der Expeditionen beitrugen. Ohne die Aztekin Malinche hätte der Spanier Hernán Cortés Mexiko nicht erobern und ein blühendes Reich in Schutt und Asche legen können. Sie ist eine der wenigen, die bis heute namentlich bekannt sind. Als „Dona Marina“ hat sie in Mexiko quasi Heiligenstatus erlangt und wird, je nach Blickwinkel, von den Nachkommen der spanischen Eroberer als Nationalheldin gefeiert oder von antikolonialen Kräften als Verräterin gebrandmarkt.  

Darüber hinaus fragt der Autor nach den Motiven der einheimischen Helfer. Neben materiellen Anreizen spielte offenbar auch ihr Interesse eine Rolle, in ihrer örtlichen Gemeinschaft Politik zu machen. Schließlich sind die Europäer weder in eine heile Welt noch in ein Vakuum vorgedrungen. Innerhalb der indigenen Gesellschaften gab es erhebliche Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen. So war Malinche eine intelligente junge Frau aus einem aztekischen Adelshaus, die von einem benachbarten Stamm versklavt worden war. Sie wollte offensichtlich mit Hilfe von Cortés ihr Schicksal wenden. Dass sie ihr ganzes Volk ins Verderben stürzte, dürfte ihr nicht bewusst gewesen sein.

Auch in Afrika haben Reisende ihre Begleiter nicht selten auf den örtlichen Sklavenmärkten rekrutiert und freigekauft. Die standen deshalb oft in unverbrüchlicher Treue zu ihren neuen Herren. So trugen die beiden Begleiter David Livingstones, Susi und Chuma, den Leichnam sowie die Aufzeichnungen und Instrumente des Forschers von seinem Sterbeort im zentralafrikanischen Seengebiet in einem Gewaltmarsch bis an die Küste im heutigen Tansania. Dort übergaben sie alles unversehrt den britischen Vertretern. Dafür wurden sie offiziell geehrt und nach England eingeladen. Chuma hatte sich eine prominente Stellung erarbeitet und begleitete später noch mehrere Expeditionen als gut bezahlter Karawanenführer ins Innere Afrikas. Es gab aber auch viele weniger freundliche Arbeitsverhältnisse zwischen Reisenden und Helfern. Berüchtigt als Leuteschinder ist der amerikanische Journalist Henry Morton Stanley, der nach dem verschollen geglaubten Livingstone in Afrika suchte.

Matthies hat viele Geschichten aufgezeichnet, was dem ersten Teil des Buches mitunter den Charakter einer Aufzählung gibt – vor allem, wenn man mit der Geschichte der Expeditionen nicht vertraut ist. Sobald er einzelne Lebensläufe skizziert, lesen sich seine Schilderungen faszinierend. Überraschend ist, dass bei ihm viele Forschungsreisende trotz der in ihrer Zeit vorherrschenden rassistischen Grundeinstellung relativ gut wegkommen. Das mag daran liegen, dass die meisten mehr von Wissensdurst als von Eroberungslust getrieben waren. Es ändert jedoch nichts daran, dass sie Wegbereiter des Kolonialismus waren

 

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