Mossul: Eine Stadt sucht nach ihrer Identität

Bauarbeiter stehen vor kaputten Häusern.
Katja Dorothea Buck
Vieles soll wieder aufgebaut werden in Mossul - nicht nur Gebäude, sondern auch Teilhabe und religiöse Toleranz.
Irak
In Mossul geht der Wiederaufbau voran, doch die zweitgrößte Stadt im Irak ist noch stark gezeichnet von der Herrschaft der Terrormiliz „Islamischer Staat“. Die Einwohner stehen unter anderem vor der Frage, wie Mossul wieder die weltoffene Stadt von früher wird.

Jahrtausende lang war Mossul Treffpunkt der Religionen und Kulturen, heute allerdings hat die zweitgrößte Stadt im Irak einen schlechten Ruf. Von 2014 bis 2017 war sie Hauptstadt der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS). Diese vertrieb und tötete religiöse Minderheiten wie die Jesiden oder die Christen. Aber auch Muslime, die Kritik an den Extremisten äußerten, wurden umgebracht oder zur Flucht gezwungen. Die Islamisten zerstörten außerdem unzählige assyrische, islamische und christliche Kulturgüter oder machten sie auf dem Schwarzmarkt zu Geld. Seit der Befreiung der Stadt am Tigris 2017 gleicht Mossul einem Trümmerhaufen. 

Viel wird jetzt wieder aufgebaut: Wohnhäuser, Krankenhäuser, Verwaltungsgebäude, der internationale Flughafen sowie historische Bauten in der Altstadt wie zum Beispiel die große al-Nuri-Moschee, in der Abu Bakr al-Baghdadi sich im Juni 2014 selbst zum Kalifen des IS ernannte, oder die syrisch-katholische Al-Tahera-Kirche, die dem IS als ziviles Hauptquartier diente. 

Tradition religiöser Toleranz

Die Mossuler stehen zudem vor der Frage, wie ihre Stadt wieder zu dem wird, wofür sie einst stand: weltoffen, kulturell und religiös tolerant. „Wir investieren viel in die Infrastruktur und die Sicherheit, damit Menschen aus aller Welt gerne zu uns kommen“, sagte unlängst Abdel Qadir ad-Dakheel, der Gouverneur der Region Ninive. Mossul wolle an sein historisches Erbe als Treffpunkt der Religionen und Kulturen anknüpfen. Deswegen sei es wichtig, dass Minderheiten wie die Christen und Jesiden wieder ihren Platz in der Stadt fänden.

Wie die Stadt wieder bunt, weltoffen und divers wird, war auch Thema einer Diskussionsrunde zivilgesellschaftlicher Akteure, zu der das Europäische Institut für Dialog und Entwicklung (EIDE) Mitte April ins Heritage Museum gleich neben der al-Nuri-Moschee eingeladen hatte. Der Verein mit Sitz in Essen engagiert sich seit Jahren im nationalen Dialog im Irak und organisiert solche Diskussionsrunden. 

„Mossul ist wie eine Miniatur des Irak“, sagte Sheikh Rami Al-Abadi, ein Imam, der sich seit Jahren gegen religiösen Extremismus einsetzt.  Dass eine Ideologie wie die des IS so stark werden konnte, habe unter anderem mit internationalen Einflüssen und Interessen zu tun. Die Zeiten, in denen die Menschen in Mossul sich auseinanderbringen ließen, seien nun aber vorbei. „Vor wenigen Wochen haben wir alle gemeinsam das Ende des Ramadan in einer Moschee gefeiert: Sunniten, Schiiten, Christen, Jesiden und Kurden. Wir sind ein Volk, das sich durch seine große Vielfalt auszeichnet“, sagte der Geistliche. 

Als einen Schatz, den man nicht aus der Hand geben dürfe, bezeichnete Walid as-Sarraf das historische Erbe der Stadt. Er ist in Mossul als Arzt und Poet bekannt. Eines seiner Gedichte über das Jahrtausende lange Zusammenleben am Tigris ziert heute eine große Nische im Innenhof der al-Nuri-Moschee. Die Stadt sei stets wie ein buntes Gemälde gewesen, sagte as-Sarraf. Jede Gruppe habe ihre eigene Farbe gehabt und alles sei miteinander verbunden gewesen. „Wenn aber eine Farbe verloren geht, ist das Gesamtbild zerstört.“ Es sei hart, nach der Terrorzeit des IS feststellen zu müssen, dass nur noch drei Farben übrig seien: Rot für das viele vergossene Blut, Weiß für die Leichentücher und Schwarz für die Trauer, was im Übrigen auch die Hauptfarben der irakischen Fahne seien. 

Ruf nach mehr Teilhabe

Ein Professor für internationale Beziehungen an der Uni-Mossul sagte, die Minderheiten in Mossul bräuchten mehr Teilhabemöglichkeiten in Politik und Gesellschaft. Dies sei ein zentraler Punkt beim Übergang von einer Diktatur zu einer Demokratie, in dem sich der Irak seit zwei Jahrzehnten befinde. Unter Saddam Hussein habe sich gezeigt, dass es in die Diktatur führe, wenn eine Gruppe die Macht über alle anderen hat. 

Ebenso wichtig wie Partizipation sei aber auch das Wissen um die Unterschiede, welche den anderen ausmachen, sagte ein junger Mann, der in Projekten mit Jugendlichen zusammenarbeitet. Es gebe viele ungebildete junge Leute, sie brauchten dringend Bildungsmöglichkeiten. „Arme und ungebildete Menschen sind so leicht verführbar, auch in einer Demokratie“, sagte er. 

Der Leiter einer Mossuler Musikschule bestärkte ihn darin. „Wir müssen in eine neue Generation investieren“, sagte er. Sport, Musik und Kunst seien eine gute Möglichkeit, um unterschiedliche Menschen zusammenzubringen. Und gleichzeitig müsse man fragen, wie es all den Generationen in den Jahrtausenden vorher gelungen sei, sich nicht so leicht auseinanderbringen zu lassen wie in jüngerer Vergangenheit durch den IS. 

Transparenzhinweis: Die Autorin war auf Einladung von EIDE in Mossul. 

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