Ein harter Schlag für Genf

picture alliance / Westend61/A. Tamboly
Genf mit Blick auf den See. Der Rückzug der USA aus der Entwicklungszusammenarbeit trifft nicht nur die hier beheimateten internationalen Organisationen, sondern indirekt auch die Wirtschaft der Stadt.
USAID-Kürzung
In der Stadt Genf sind viele UN-Organisationen und Hilfswerke zu Hause. Die drastische Kürzung der US-Entwicklungshilfe ist hier deshalb besonders spürbar. Das gilt für die humanitäre Hilfe, aber auch für die Wirtschaft der Stadt.

Ein Erdbeben hat das internationale Genf und die weltweite Entwicklungshilfe erschüttert: Ende März verkündete US-Präsident Donald Trump, dass 84 Prozent aller Gelder der US-amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID gestrichen würden. 5200 von ursprünglich 6200 Projektverträgen der USA mit Partnern in aller Welt werden aufgelöst.

Genf, ein globales Zentrum für internationale Zusammenarbeit, ist von den Kürzungen stark betroffen. Hier sind rund 40 internationale Organisationen, über 750 nichtstaatliche Organisationen und über 180 ausländische Vertretungen angesiedelt. Insgesamt 33.000 Menschen sind im internationalen Sektor in Genf beschäftigt. Rund neun Prozent der Wirtschaftsleistung der Stadt kommen aus dieser Branche – und die USA sind mit rund einem Viertel aller Beiträge der größte Geldgeber für internationale Organisationen in Genf. 

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) etwa hat angekündigt, jede fünfte Stelle in Genf zu streichen, nachdem mit dem Wegfall der USAID-Mittel auf einen Schlag fast dreißig Prozent ihres Budgets weggebrochen sind. Die Organisation wird versuchen, Stellen aus dem Hauptquartier an andere Standorte in Länder mit niedrigeren Lebenshaltungskosten auszulagern. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sagt, dass ein Viertel ihres Budgets als Folge der US-Kürzungen wegfalle. Wieviel Personal entlassen wird, gibt die Organisation nicht bekannt.

Zentrum des Multilateralismus

In Genf wurde vor über 150 Jahren das Internationale Komitee vom Roten Kreuz gegründet und 1949 mit den Genfer Konventionen das Kerndokument für das humanitäre Völkerrecht unterzeichnet. Dieses Zentrum des Multilateralismus könnte von den Kürzungen stark beeinträchtigt werden. „Ich denke, wir sind am Ende eines Zyklus angelangt“, sagt der freie Journalist Philippe Mottaz gegenüber dem Onlinedienst „Devex“. „Ich denke nicht, dass der Status quo wiederkommt. Die UN und NGOs werden ihren Fußabdruck reduzieren und sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren.“

Die Kürzungen werden darüber hinaus Folgen für die Genfer Wirtschaft haben. NGO-Sitzungen in Restaurants werden wegfallen, viele Organisationen denken offenbar darüber nach, ihre Büroflächen zu verkleinern. Die Tourismusbranche rechnet mit Einbußen, weil es weniger internationale Konferenzen geben wird.

Als Reaktion auf die Kürzungen hat der Kanton Genf zehn Millionen Franken bereitgestellt, um einen Teil der Gehälter von NGO-Mitarbeitenden über drei Monate hinweg weiterzuzahlen. Die SVP ergriff im Kantonsparlament zwar das Referendum dagegen – kam aber letztlich nicht damit durch. Die Stadt Genf hat ebenfalls zwei Millionen Franken Unterstützung zugesagt.

Sie wollen mehr zu Entwicklungspolitik lesen? Auf unserer Themenseite finden Sie weitere Berichte, Meinungen und Hintergründe dazu!

Doch die Kürzungen der Trump-Regierung sind nicht nur für die Hauptquartiere in Genf ein schwerer Schlag. Gravierender noch sind die Auswirkungen auf die humanitäre Arbeit weltweit. Die meisten US-Gelder gingen an internationale Organisationen und UN-Institutionen, denen in der humanitären Hilfe häufig eine Schlüsselrolle zukommt.

„In fragilen Kontexten, wo ein Staat seine Aufgabe nicht wahrnehmen kann, müssen Hilfslieferungen koordiniert werden“, sagt Karolina Frischkopf, Direktorin des Hilfswerks HEKS. „Es gibt viele Aufgaben im Bereich Logistik, Sicherheit und Infrastruktur, die nur mit Unterstützung von UN-Institutionen geleistet werden können. Wenn sie das nicht mehr machen können, steht das ganze humanitäre System auf der Kippe.“

Ohne UN-Logistik wird es schwierig für Hilfswerke

Als Beispiel nennt Frischkopf die Arbeit in Haiti, wo das HEKS in abgelegenen Regionen Straßen mit der lokalen Bevölkerung baut, damit die Landbevölkerung ihre Waren einfacher zum nächsten Markt bringen kann. Jetzt habe die UN angekündigt, ihre Arbeit in der Region auszusetzen, in der das HEKS tätig ist. Angesichts der Unruhen dort sei es ohne die Hilfe der UN schwierig für das HEKS, die Arbeit dort fortzusetzen.

„Die Kürzungen sind ein Schock, den ich so in dreißig Jahren humanitäre Arbeit noch nie erlebt habe“, sagt Barbara Hintermann von der Stiftung Terre des hommes mit Sitz in Lausanne. Hintermann betont jedoch, dass nicht nur die USA, sondern auch zahlreiche europäische Länder inklusive der Schweiz derzeit bei der Entwicklungshilfe kürzen. „Es ist dramatisch, wie sehr internationale Solidarität auf dem Rückzug ist.“

Vielleicht aber könnten die Kürzungen auch den Weg ebnen, um das System neu zu denken und etwa die aufgeblähte Bürokratie anzugehen. „Unsere Organisation wird pro Jahr neunzig Audits unterzogen“, sagt Hintermann. Für ein einzelnes Projekt, das von drei Ländern finanziert werde, müssten drei Audits gemacht werden. Hier könnten die Geldgeber effizienter arbeiten und Ressourcen sparen.

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Rakete aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Dies ist keine Paywall.
Aber Geld brauchen wir schon:
Unseren Journalismus, der vernachlässigte Themen und Sichtweisen aus dem globalen Süden aufgreift, gibt es nicht für lau. Wir brauchen dafür Ihre Unterstützung – schon 3 Euro im Monat helfen!
Ja, ich unterstütze die Arbeit von welt-sichten mit einem freiwilligen Beitrag.
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!