Die Schwestern trennt noch vieles

Kann es globale Solidarität von Frauen geben? Die britische Genderexpertin Sara de Jong hat Einstellungen von Frauen in nichtstaatlichen Organisationen des Nordens erforscht.

Nichtstaatliche Organisationen nehmen gerne für sich in Anspruch, näher an der Basis und an den Bedürfnissen der Menschen im globalen Süden zu sein als die staatliche Entwicklungszusammenarbeit. Mit diesem Anspruch setzt sich die entwicklungspolitische Literatur seit einigen Jahren kritisch auseinander. Das Buch von Sara de Jong, Sozialwissenschaftlerin an der Open University in Großbritannien, reiht sich in diese Diskussion ein. De Jong hat Interviews mit Frauen aus sieben europäischen Ländern geführt, die für Frauenprojekte und Frauenrechte im globalen Süden sowie für die Rechte von Migrantinnen im Norden arbeiten. Es ging ihr vor allem um das Selbstverständnis der Aktivistinnen sowie darum, wie sie ihr Verhältnis zu den Frauen des Südens begreifen und zum Thema „Otherness“ (Andersartigkeit) stehen. De Jongs Leitfrage lautet: Können privilegierte Frauen überhaupt die Interessen ihrer Schwestern im globalen Süden oder an den Rändern des Nordens vertreten? Ihre Antwort lautet zusammengefasst: nur eingeschränkt.

Die meist gut ausgebildeten Frauen in den nichtstaatlichen Frauenorganisationen des globalen Nordens müssten sich intensiver mit ihrer privilegierten Position auseinandersetzen, fordert de Jong. Das geschieht aber, wie die Gespräche zeigen, viel zu wenig. Vielen der Befragten ist nicht ausreichend bewusst, dass sie außer dem Geschlecht kaum etwas mit Frauen in Afrika, Asien oder Lateinamerika gemeinsam haben. Ihre gesellschaftliche und ökonomische Stellung als weiße, gut ausgebildete Mittelschicht-Frau unterscheidet sie grundlegend von den meisten Frauen des globalen Südens. Deshalb bringen sie nicht immer genügend Verständnis für die Zwänge auf, mit denen Frauen im Süden konfrontiert sind, kritisiert die Autorin. Etwa wenn sie sich in autoritären Staaten oder in stark konfliktbehafteten Umständen arrangieren müssten. Den Frauen im Norden fehle schlichtweg der detaillierte Einblick in die schwierigen Lebensverhältnisse des Südens.

Es sind vor allem die Organisationen im Süden, die helfen können, die Distanz zu überbrücken. Im Idealfall geben sie die Sorgen und Nöte der Frauen an der Basis weiter und organisieren Besuche vor Ort. Aber auch die Vertreterinnen der Organisationen des Südens können sich von ihrer Klientel entfernen, betont De Jong. So sitzen sie häufig in den Stadtzentren, während die bedürftigen Frauen eher an der Peripherie der Städte und in ländlichen Regionen zu finden sind.

Das Risiko, dass nichtstaatliche Organisationen die Interessen ihrer Partner falsch wahrnehmen, ist also auch bei Frauenprojekten hoch. Je abstrakter das Anliegen, desto weiter weg sind die Organisationen von den Interessen jener, die sie vertreten wollen. Eine Organisation, die sich für eine bessere Gesundheitsvorsorge von Frauen in Ostafrika einsetzt, forderte jahrelang eine bessere Verfügbarkeit von Kondomen. Bis sie feststellen musste, dass ausreichend Kondome vorhanden waren, die Probleme jedoch darin lagen, dass es Vorbehalte gegen ihre Verwendung gab.

Reden über partnerschaftliche Zusammenarbeit kann nicht über das wirtschaftliche Machtgefälle zwischen Geldgebern im Norden und Geldempfängern im Süden hinwegtäuschen. Dieses lässt sich auch mit gutem Willen nicht so schnell beseitigen. De Jongs Analyse trägt dazu bei, blinde Flecken in der Entwicklungszusammenarbeit aufzustöbern und sich ihnen zu stellen. Mit einer Fülle von Material und guten Analysen alltäglicher Konfliktsituationen fügt sie einer nicht ganz neuen Diskussion überraschende Aspekte hinzu. 

 

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