Tauwetter im Männerreich

Die saudisch-arabische Regisseurin Haifaa Al Mansour schildert in ihrem facettenreichen Emanzipationsdrama, wie eine mutige Ärztin mit ihrem Veränderungswillen in einer patriarchalischen Gesellschaft Erfolge erzielt – aber nur in Grenzen.
 
2012 sorgte Haifaa Al Mansour für Aufsehen, als sie auf den Filmfestspielen in Venedig ihren ersten Film „Das Mädchen Wadjda“ präsentierte – den ersten abendfüllenden Spielfilm unter saudischer Regie, der in dem arabischen Land realisiert wurde. Im Zentrum von „Die perfekte Kandidatin“ steht nun die junge Ärztin Maryam, die in der Notaufnahmeklinik einer Kleinstadt arbeitet und sich Tag für Tag den Respekt von Mitarbeitern und Patienten erkämpfen muss. Vor allem aber ärgert es sie, dass die Behörden es nicht fertigbringen, endlich die Zufahrt zur Klinik zu asphaltieren, damit ankommende Patienten nicht mehr durch ein Schlammfeld stapfen müssen.

Aus Frust will sich Maryam auf eine attraktive Stelle in Dubai bewerben. Doch am Flughafen weist man sie ab, weil ihr Vater Abdulaziz vergessen hat, ihre Reiseerlaubnis zu verlängern. Abdulaziz, ein Sänger und Oud-Spieler, hat nach langer Zeit erstmals eine Erlaubnis für eine Konzerttournee mit seiner Folkloregruppe erhalten und ist unterwegs nicht erreichbar. In ihrer Not wendet sich Maryam an einen Cousin in der Stadtverwaltung. Sein Assistent lässt aber nur Personen vor, die für die Stadtratswahl kandidieren. Spontan füllt Maryam einen Bewerbungsbogen aus.

Erst später wird ihr klar, dass sie als Stadträtin die Asphaltierung der Straße veranlassen könnte. So organisiert sie mit ihren Schwestern Selma und Sara einen Wahlkampf, der rasch großen Anklang findet, auch wenn das Trio dabei etliche Restriktionen für Frauen überwinden muss und immer wieder auf Widerstand von Männern stößt.
Das Gesellschaftsdrama ist schon deshalb sehenswert, weil es zeigt, wie sich Saudi-Arabien schon verändert hat, seit der Kronprinz und Thronfolger Mohammed bin Salman sein ehrgeiziges Modernisierungsprogramm „Vision 2030“ gestartet hat. So sieht man in der Eingangsszene, wie Maryam ihr neues Auto fährt. Erst im Juni 2018 ist in dem Königreich – als letztem Land der Erde – das Autofahrverbot für Frauen gefallen. Es ist ein Fortschritt von großer Symbolkraft, auch für Maryam. Doch im Alltag ist sie wie alle Frauen nach wie vor von vielen Beschränkungen betroffen. Im Krankenhaus trägt sie zum Beispiel anfangs einen Nikab, den sie erst nach der Kandidatur ablegt.

Der Film zeigt ausführlich die enge Verbundenheit der Schwestern und die Solidarität der Frauen in einem von Männern dominierten Herrschaftssystem. Die Schwestern haben es dabei noch gut getroffen, lässt ihnen doch ihr gutmütiger Vater seit dem Tod seiner Frau relativ viele Freiheiten. Diese liberale Haltung ist ein Ausgleich dafür, dass Musiker in der erzkonservativen Gesellschaft nur wenig Ansehen genießen – ein Makel, unter dem auch die Angehörigen leiden. Im Film betrachtet vor allem Sara die politischen Ambitionen Maryams zunächst sehr kritisch, weil sie eine noch stärkere soziale Ausgrenzung befürchtet. Die Nebenhandlung um den Vater verdeutlicht zudem das Risikopotenzial, dem die Musiker ausgesetzt sind, denn sie erhalten während der erfolgreichen Tour Drohungen von muslimischen Extremisten.

Trotz der sozialkritischen Spitzen legt al Mansour hier keine flammende filmische Anklage vor. Vielmehr gibt die warmherzige, stellenweise sogar humoristische Inszenierung durchaus Raum zur Hoffnung. Auch wenn klar wird, dass der Weg zu einer Gleichstellung der Geschlechter in ihrer Heimat noch lang ist.

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