Kritischer Blick auf Licht und Schatten am Golf

Rainer Hermann
Die Golfstaaten.
Wohin geht das neue Arabien?

dtv premium, München 2011
360 Seiten, 14,90 Euro


Die Emirate wurden vom Rest Arabiens lange als kulturlose Peripherie der arabischen Welt verachtet. Man schaute mit Hochmut auf die neureichen Vettern am Golf. Doch in den sieben Fürstentümern, die sich 1971 zu den Vereinigten Arabischen Emiraten zusammengeschlossen haben, hat ein Aufbruch in die Moderne stattgefunden, von dem die kulturellen Zentren des „alten Arabien“ weit entfernt sind. Während dort seit Beginn des „arabischen Frühlings“ die Menschen gegen Stagnation und verkrustete Strukturen aufbegehren, präsentiert sich der Golf als Speerspitze der Modernisierung. Die arabische Protestbewegung ist daran fast vollständig vorbei gegangen. Das liegt nicht nur am großen Wohlstand der Emirate, sondern auch an einer besseren Regierungsführung.

Rainer Hermann, Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) in Abu Dhabi, schildert kenntnisreich, wie der Golf vom Beduinenstaat zum hypermodernen Machtzentrum der modernen Weltwirtschaft aufsteigen konnte. Innerhalb einer Generation haben die Emiratis einen Quantensprung bewältigt, der seinesgleichen sucht. Detailreich und klug analysiert der Islamwissenschaftler und Volkswirt, wie es dazu kam. Hermann trägt viele Facetten aus Bereichen wie Stadtplanung, Kultur, Ökologie, Gesellschaft und Geschichte zusammen.

Die einzelnen Kapitel werden ergänzt von bereits in der FAZ erschienenen Reportagen etwa über Dubais ausländische Arbeiter, die um faire Arbeitsrechte kämpfen, oder über die Begeisterung für klassische Musik in Abu Dhabi. Als treibende Kraft in den Emiraten erweist sich vor allem Dubai. Die Stadt ist für viele Araber zum „Traumland“ avanciert, wie einst Amerika das bewunderte Ziel verarmter Europäer war. Hier ist eine Symbiose von Kapitalismus und Islam entstanden, die Hermann bewundert, ohne ihre Schattenseiten und Widersprüche auszusparen. Er schildert den Aufstieg Dubais vom Beduinendorf zur Metropole als ein Ergebnis umsichtiger Planung und Voraussicht der Herrscherfamilie. Die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft wurden gezielt in Logistik, Immobilien und Finanzdienstleister gesteckt, um die Stadt zur internationalen Drehscheibe im Handel zwischen Europa und Asien auszubauen. Eine wichtige Errungenschaft am Golf ist vor allem die offene Gesellschaft, die von Arabern anderer Länder geschätzt wird.

Das wichtigste Merkmal Dubais ist eine Beliebigkeit ohne eigene Identität, ohne lokalen Bezug, ohne Authentizität. Dubai könnte überall sein, die Stadt ist der „Idealfall der Globalisierung“ und gleichzeitig ein Paradebeispiel für ökologischen Wahnsinn mit Hallen-Ski bei Außentemperaturen von vierzig Grad Celsius. Ökologisch leben die Emirate über ihre Verhältnisse wie sonst kein Staat auf der Welt. Einerseits preist Abu Dhabi sein Öko-Vorzeigeprojekt Masdar City, andererseits herrscht dort eine Wasser- und Energieverschwendung wie sonst nur noch in den USA. Hermann schildert die Errungenschaften wie die problematischen Aspekte des Aufstiegs am Golf immer sachlich und bringt dabei Differenzierungen an, die in der Medienlandschaft häufig untergehen. Deshalb ist sein Buch unverzichtbar für alle, die sich näher für die Golfstaaten interessieren.


Claudia Mende

 

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