Das Ende des chinesischen Traums

Das bedächtige Sozialdrama erzählt, wie der chinesische Turbokapitalismus die Sehnsucht der Bürger nach einem besseren Leben untergräbt. Die Protagonisten sind zwei verliebte Wanderarbeiter und ein älteres Ehepaar, das in Peking Opfer von Bauspekulanten wird.
 
Der chinesische Regisseur Pengfei kombiniert in seinem ersten langen Spielfilm zwei Erzählstränge, die sich nur lose berühren. Der erste dreht sich um den jungen Wanderarbeiter Yong Le, der sich in Peking damit durchschlägt, alte Häuser zu entrümpeln und gebrauchte Möbel zu verkaufen. Der Erlös ist so karg, dass er nur wenig Geld zu seiner Familie auf dem Land schicken kann. Wie viele andere Arbeitsmigranten wohnt Yong im kleinen Kellerraum eines bunkerartigen Gebäudes. Als er durch einen Arbeitsunfall vorübergehend erblindet, hilft ihm als einzige die hübsche Mitbewohnerin Xiao Yun, die als Tänzerin in einem Nachtclub arbeitet. Sie träumt von einem seriösen Bürojob und ergattert schließlich eine Stelle in einem Call Center. Als sie auszieht, verlieren sich die beiden jung Verliebten aus den Augen. Da Yong nicht weiß, wie sie aussieht und heißt, sieht es nicht so aus, als ob sie sich noch einmal wiedersehen.

Im Zentrum des zweiten Strangs steht der alte Lao Yin, der mit seiner Frau in einem weiträumigen Haus in einem Dorf ausharrt, das einem großen neuen Baukomplex weichen soll. Alle anderen Dorfbewohner haben sich längst auszahlen lassen. Doch Lao will den Preis für das Grundstück hochtreiben, um sich ein Apartment in einem schicken neuen Hochhaus kaufen zu können. Als er sich nach acht Jahren mit dem Investor einig wird, verkauft er die Möbel an den inzwischen gesundeten Yong. Doch als dieser mit seinem Kleintransporter eintrifft, macht der Investor plötzlich einen Rückzieher.

Den vier Hauptfiguren ist gemeinsam, dass sie mit ihren Lebensumständen unzufrieden sind und nach einem besseren Leben streben. Sie sehen die glitzernden Hausfassaden der expandierenden Hauptstadt, stehen jedoch auf der Schattenseite des Immobilienbooms. Alle vier leben isoliert und einsam. Der Entrümpler und die Tänzerin haben praktisch keinen Kontakt zu den anderen Mitbewohnern, die sich in den engen Kellergängen grußlos an ihnen vorbeidrängen. Die prekären Arbeitsverhältnisse verhindern, dass die aufkeimende Liebesbeziehung zu einer dauerhaften Bindung führt. Und das alte Ehepaar wohnt allein in einem Trümmerfeld, die anderen Häuser ihres Dorfes sind längst plattgemacht.

Aus nüchterner Distanz begleitet die Kamera die Protagonisten und zeigt die schäbigen Wohn- und Arbeitsverhältnisse, ohne in plakative Sozialkritik zu verfallen. Dabei konterkariert die melancholische Grundstimmung unübersehbar das gesellschaftspolitische Leitbild der kommunistischen Führung. 2014 hatte der Staats- und Parteichef Xi Jinping als Ziel der Partei ausgegeben, „ein modernes sozialistisches Land aufzubauen, das reich, stark, demokratisch, zivilisiert und harmonisch ist“. Dann könne „der chinesische Traum von der großen nationalen Renaissance in Erfüllung gehen“. Die Träume der einfachen Bürger im Film sind sehr viel bescheidener als die der Parteifunktionäre – und doch scheinen sie kaum erfüllbar.

So scharfsinnig die Analyse von Pengfei, der in Frankreich am Institut International de l‘image et du Son studiert hat, auch ausfällt, so würzt er sie doch gelegentlich mit surrealen Einfällen, etwa wenn Lao versucht, eine lästige Eule im Baum vor seinem Haus mit Feuerwerksraketen zu vertreiben. Der Regisseur schreckt in der stärksten Szene auch nicht vor einer Prise bitteren Sarkasmus zurück: Der geheilte Yong sieht in einer Bar die tanzende Xiao, erkennt sie aber nicht – und diese bleibt stumm, weil sie sich schämt.
 

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