Wegweiser im Dschungel der Finanzbranche

Nicholas Shaxson
Schatzinseln.
Wie Steueroasen die Demokratie untergraben

Rotpunktverlag, Zürich 2011
416 Seiten, 24,50 Euro


Oft heißt es, Entwicklungsländer bräuchten keine finanziellen Hilfen mehr, wenn sie die Wohlhabenden und vor allem die Firmen im Land effektiv besteuerten. Doch die entziehen ihr Geld dem Land, in dem sie wirtschaften – mit Hilfe von Staaten und Sonderwirtschaftszonen, die darauf spezialisiert sind, Einnahmen und Vermögen vor der Steuer zu schützen. Das sind etwa die Kaimaninseln, die Bahamas, Mauritius oder Jersey. Aber auch mitten in London entzieht sich die „City“ als Sonderverwaltungszone jeglicher Kontrolle.

Banken und Briefkastenfirmen legen das Geld dann so an, dass bald niemand mehr weiß, wo es einmal herkam. Es kann für Vereinigungen wie die Hisbollah bestimmt sein, es kann aus Drogengeschäften stammen oder aus illegalen Rohstoff verkäufen im Kongo. Steueroasen tragen also direkt dazu bei, Konflikte weiter anzufachen. Auch die vielen Milliarden, die korrupte Staatsvertreter in den vergangenen Jahrzehnten abgezweigt haben, seien im Offshore-System gelandet und gewaschen worden, erklärt Nicholas Shaxson. Im Allgemeinen entziehen Steueroasen anderen Staaten einen Teil ihrer finanziellen Grundlage. Geld, das für Sozialprogramme oder für Bildung eingesetzt werden könnte, landet stattdessen in einem System, das von der absoluten Geheimhaltung lebt und die eigenen Mitarbeiter unter Druck setzt, wenn sie zu viele Fragen stellen. Es ist eine logische Folge, dass auf Inseln wie Jersey oder den Bahamas nicht mehr die Politik den Ton angibt, sondern von der ansässigen Finanzindustrie gesteuert wird, die alles und jeden bezahlen können.

Shaxson zeigt eine Finanzwelt, die nach wie vor unbehelligt Geld wäscht, verschiebt, vor Staaten versteckt. Reiche Länder schaffen es allenfalls begrenzt, sich zu schützen. Arme Staaten verlieren proportional deutlich mehr Steuern, wie Shaxson anhand einer Studie des katholischen Hilfswerkes Misereor erklärt. Internationale Konzerne suchen sich ihren Sitz derweil dort, wo sie am wenigsten Körperschaftssteuer zahlen müssen. Im Schweizer Kanton Zug kommt auf vier Einwohner ein Unternehmen, rechnet Shaxson vor, darunter Rohstoff konzerne wie Glencore und Xstrata. Arme Staaten versuchen mitzuhalten und senken ihre Körperschaftssteuersätze, obwohl Steuern von Unternehmen für sie deutlich wichtiger sind als für die Industrieländer, die immerhin noch die wohlhabende Bevölkerung besteuern können.

Der Autor recherchiert seit langem in der Offshore-Szene. Manchen Winkelzug der Finanzbranche, den er beschreibt, versteht man nur ansatzweise, einzelne Vermutungen und Querverweise bleiben isolierte Schlaglichter auf ein undurchsichtiges Milieu. Sprachlich driftet der Autor (oder die Übersetzung?) stellenweise ins Klassenkämpferische ab. Was nützen pauschale Kategorien wie „rechts“, um ohnehin zwielichtige Geschäftsleute herabzusetzen? Das hat das Buch nicht nötig – ebenso wenig wie die allzu vielen suggestiven Verweise auf die Verstrickung der Schweiz in Nazi-Verbrechen.

Nichts weniger als einen Kulturwandel fordert Shaxson, damit reiche Privatleute und Konzerne angemessene Steuern zahlen. Der Finanzsektor müsse reformiert und die Londoner City reguliert werden. Das klingt wie eine ferne Vision. Seit drei Jahren treibt die Wirtschaft die Politik meist vor sich her, trotzdem stellen sich einzelne Staaten wie die USA und Großbritannien quer, wenn es um verbindliche Regeln für ihre mächtigen Finanzsektoren geht. Unterdessen versickern weiter die Milliarden in der Karibik oder auf der anderen Seite des Ärmelkanals – ohne Kontrollen.


Felix Ehring

 

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