Aufstand der Witwen

Hive. Kosovo/Schweiz/Nordmazedonien/Albanien 2021. Regie: Blerta Basholli, 83 Minuten, Kinostart: 8. September 2022

Die kosovarische Regisseurin Blerta Basholli schildert in ihrem Debütspielfilm, wie eine alleinerziehende Witwe sich sieben Jahre nach dem Kosovo-Krieg gegen alle Widerstände in ihrem Dorf eine neue wirtschaftliche Basis aufbaut. Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit.
 
Fahrije lebt mit Tochter, Sohn und Schwiegervater in einem Bergdorf im Kosovo. Seit sieben Jahren wird ihr Ehemann Agim vermisst. So wie ihr geht es etlichen Frauen in dem Dorf: Ihre Männer sind im Kosovo-Krieg von 1998/99 getötet worden oder verschwunden. Und die Suche der Behörden nach den Vermissten kommt nur sehr schleppend voran. Um ihre Familie über Wasser zu halten, nimmt Fahrije ihr Leben in die eigene Hand, macht mit Hilfe des örtlichen Frauenbunds den Führerschein und gründet mit ihrer älteren Freundin Naza eine kleine landwirtschaftliche Genossenschaft. Die stellt die Balkanspezialität Ayvar her, eine beliebte Soße aus Paprika und Auberginen, und liefert sie an einen Supermarkt. Mit ihrer Initiative stoßen die Frauen auf heftige Abwehr in der eigenen Familie und der konservativen Dorfgemeinschaft. Doch Fahrije und Naza geben nicht auf und gewinnen nach ersten Verkaufserfolgen viele weitere Witwen und Frauen von Vermissten, die sich ihnen anschließen.  

Die Spielhandlung lehnt sich an den realen Fall der Fahrije Hoti an. Die flüchtete im Kosovo-Krieg mit ihren beiden Kindern aus dem Dorf Krushe e Madhe nach Albanien und kehrte im Juni 1999 in das zerstörte Dorf zurück, in dem serbische Einheiten im März ein Massaker mit 240 Toten oder Vermissten angerichtet hatten. 64 Bewohner der Ortschaft, die seitdem als „Dorf der Witwen“ bekannt ist, werden noch heute vermisst, darunter Fahrijes Mann Bashkim. Um sich und ihre Kinder über Wasser zu halten, gründete Fahrije gegen viele Widerstände eine Lebensmittelfirma, für die inzwischen mehr als 50 Witwen arbeiten. Sie verkauft Ayvar und eingelegtes Gemüse an viele Märkte in großen kosovarischen Städten, aber auch in europäische Länder wie die Schweiz.

Kraftvolles Gesellschaftsdrama

Die 1983 geborene Autorin und Regisseurin Blerta Basholli hat nach einem Studium der Fächer Philosophie und Film an der Universität Pristina eine Ausbildung an der Tisch School of the Arts in New York City absolviert, ehe sie 2011 in ihre Heimat zurückkehrte. Sie hat die Resultate ihrer Recherchen in ihrem Drehbuch zu einem kraftvollen Gesellschaftsdrama verarbeitet, das die individuellen Traumata und sozialen Langzeitfolgen des Kosovo-Krieges darlegt. Es liefert zugleich ein einfühlsames Porträt einer Frau, die sich in einer armen Gesellschaft mit antiquierten patriarchalischen Strukturen als Unternehmerin durchsetzt, um sich und ihre Liebsten zu ernähren. Damit erweist sich der Film als packende Erfolgsgeschichte Made in Kosovo.

Bemerkenswert ist die präzise Schilderung des Emanzipationsprozesses trotz Vorurteilen und Ressentiments. Die Dorfbewohner erwarten, dass Frauen von vermissten Männern warten, bis ihre Männer wiederkommen, und bis dahin von Sozialhilfe leben, die aber viel zu gering ist. Wenn eine Frau aus Geldnot eine Arbeit aufnimmt, bricht sie nach dieser patriarchalischen Sichtweise die soziale Norm und verhält sich respektlos gegenüber ihrem Mann.

Die Tochter plappert aufgeschnappte Beschimpfungen nach

Basholli beschreibt anschaulich, wie dieser soziale Druck von den verbliebenen Männern über eingeschüchterte Witwen bis zu den Kindern vordringt und das riskante Projekt gefährdet. Schließlich missbilligt auch Fahrijes an den Rollstuhl gefesselter Schwiegervater Haxhi ihr Verhalten, und ihre vom Klatsch verunsicherte halbwüchsige Tochter plappert aufgeschnappte Beschimpfungen einfach nach. Warum die beiden allerdings kurz vor Schluss abrupt Kehrtwendungen vollziehen und Fahrije doch unterstützen, bleibt leider offen.

Die geradlinige Inszenierung wird vor allem getragen von der albanischen Hauptdarstellerin Yllka Gashi, die als Fahrije eine stilsichere Balance zwischen stoischer Beharrlichkeit und unermüdlicher mütterlicher Fürsorge verkörpert.

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