Eine Fundgrube an Ideen und Hinweisen

Finn Dammann, Boris Michel (Hg.): Handbuch Kritisches Kartieren, transcript Verlag, Bielefeld 2022, 336 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 32 Euro

Über 30 Autorinnen und Autoren berichten in diesem Sammelband anschaulich über Erfahrungen mit kritischen und partizipativen Kartierungen. Als Nachschlagewerk eignet sich das Buch aber leider kaum. 

Seit 2005, seit es Google Maps gibt, sind brauchbare Karten für viele Zwecke immer leichter und kostengünstiger verfügbar – zumindest für den Teil der Menschheit, der Zugang zu Internet und entsprechenden Endgeräten hat. Thematische Karten begegnen uns jeden Tag in allen Medien, und selten denken wir darüber nach, wie die Gestaltungselemente von Karten unser Weltbild prägen. Warum prägen sich die Hotspots von Corona-Inzidenz sofort ein? Wie nehmen wir den Fortgang des Krieges in der Ukraine wahr, wenn der Vormarsch russischer Truppen erst schraffiert und zwei Tage später in leuchtend dunkelroter Farbe erscheint? Das sind Fragen, die nicht nur für Kartografen und Geografen von Bedeutung sind.

Im Mittelpunkt dieses Sammelbandes, so betonen die beiden Herausgeber, soll nicht die Karte als Objekt stehen, sondern der mühsame Prozess des Kartierens. Und zwar des kritischen Kartierens, den sie als Praxis definieren, „die sich immer auch kritisch mit dem Medium Karte auseinandersetzt“. In dem Band sind 21 Einzelartikel versammelt, geschrieben von 33 Autoren und Autorinnen sowie von zwei feministisch und antikolonialistisch orientierten Autorinnenkollektiven. Die meisten Beiträge sind von jüngeren Geografen und Geografinnen verfasst. 

Der Band ist in vier Teile gegliedert. Im ersten Teil werden unterschiedliche Formen und Vorgehensweisen von kollektivem, kritischem Kartieren vorgestellt. Im zweiten Teil geht es um „narratives Kartieren“, das heißt hauptsächlich die Ergänzung des Kartierens durch ein breites Spektrum unterschiedlicher narrativer Formate vom einfachen Geschichten-Erzählen bis zu Comics, die eine Karte ergänzen. Der dritte Teil legt den Fokus auf Karten in Unterricht und Lehre, und im letzten Teil steht die kritische Nutzung von Geoinformationssystemen, wie zum Beispiel OpenStreetMap im Mittelpunkt. 

Praktische Anleitungen und unvollständige Leseempfehlungen

Fast alle Artikel stellen ausführlich methodische Vorgehensweisen vor, zum Teil in Form von detaillierten Schritt-für-Schritt-Handreichungen. Bereits der erste Artikel nach der Einleitung enthält sehr nützliche praktische Anleitungen für alle, die kollektives kritisches Kartieren als Medium in der Aktionsforschung einsetzen wollen. Allerdings fällt auf, dass in den Leseempfehlungen der von Robert Chambers und seinem Team unter dem Schlagwort PRA (Participatory Rural Appraisal) vor über zwanzig Jahren entwickelte Methodenkoffer nicht ein einziges Mal erwähnt wird. Dabei ist participatory mapping seither im globalen Süden als ein zentrales Element von PRA unzählige Male eingesetzt worden. 

Eine Autorinnengruppe hat ehemals inhaftierte Migranten in Mexiko gebeten, „mentale Erinnerungen an ihre Haftsituation“ in Kartenform aufzubereiten. Ein Autor stellt die Möglichkeiten der „gezielten Kompromissfindung“ im Prozess des Kartierens in den Mittelpunkt. Dem Kartieren mit Kindern und künstlerischer Kartierung sind ebenfalls eigene Beiträge gewidmet, die leider ein wenig knapp geraten sind. Im Ganzen ist der Band eine Fundgrube an innovativen Ideen, von denen nicht nur Geografen und Geografinnen lernen können. Nur ist es doch eher ein Sammelband geworden als ein Handbuch, in dem man schnell etwas suchen oder nachschlagen könnte. Dafür hätte es mindestens ein Sachregister und ein gemeinsames Literaturverzeichnis gebraucht. 

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