Macht und Märkte am Horn von Afrika

Jutta Bakonyi
Land ohne Staat
Wirtschaft und Gesellschaft im Krieg am Beispiel Somalias
Campus Verlag, Frankfurt 2011
396 Seiten, 39,90 Euro


Somalia gilt aus der Perspektive vieler politischer Beobachter, Sicherheits- und Entwicklungsexperten als Paradebeispiel für Staatszerfall, die Macht von Warlords und die Gefahren islamistischen Terrors. Mehrheitlich begegnen sie den lokalen gesellschaftlichen Organisationsformen mit Unverständnis. Nur wenige wissen, was sich hinter dem Schlagwort „Klanstrukturen“ verbirgt.

Die Politologin Jutta Bakonyi schafft Abhilfe: Sie erklärt den Aufbau und die Herrschaftsdynamiken von Klans und stellt den kolonialen und nachkolonialen Wandel der politischen Bedeutung ihrer Ältesten vor. Zugleich ordnet sie deren Macht und Wirtschaftsinteressen in lokale, regionale und nationale Entwicklungen ein. So zeigt sie, wie einzelne Repräsentanten Herrschaft und Verwaltung jenseits des Staates aufbauen und die Machtverhältnisse untereinander ausloten.

Grundlagen sind Bakonyis langjährige und wiederholte Forschungen in unterschiedlichen Landesteilen. Besonders erkenntnisreich sind die zeitlichen Längsschnitte, mit denen sie die Entstehung und den Niedergang des Staates in Somalia über Jahrzehnte aufzeigt. Die Gewaltstrukturen des modernen Staates unter der Regierung von Siad Barre zwischen Oktober 1969 und Januar 1991 kommen ebenso zur Sprache wie missglückte staatliche Entwicklungsprojekte für Nomaden oder Bauern und soziale Spaltungen. Ausgehend von theoretischen Überlegungen zum Krieg als Herrschaftsprojekt und wirtschaftliches Unternehmen durchleuchtet Bakonyi die Macht von Warlords und Geschäftsleuten. Deren Vorgehen illustriert sie mit den Handelsnetzen für den transnationalen Transport und der verzweigten lokalen Verbreitung der Droge Khat. Das heutige Somalia ist nach Auffassung der Autorin Kapitalismus in Reinform. Sie verfolgt unterschiedliche regionale und globale Finanzströme und geht auf deren Bedeutung für die Warlords ein.

Wer aus neoliberaler Überzeugung weniger Staat und freien Markt predigt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass solche ideologischen Glaubenssätze in vielen Krisengebieten die Gewalt eskalieren lassen. So blüht in Somalia das Geschäft mit den Produkten der Rüstungsindustrie, die dieser weltweit saftige Gewinne bescheren.

Kritisch setzt sich Bakonyi auch mit dem Machtgewinn islamistischer Milizen auseinander und prangert deren Menschenverachtung an, zumal die Zivilbevölkerung nach wie vor Opfer der fortdauernden Gewalt ist. Sie beschäftigt sich außerdem mit der Frage, inwieweit internationale humanitäre Organisationen Menschenleben retten und die Grundversorgung gewährleisten können. Umso mehr sei allen, die aus beruflichen Gründen in Somalia oder mit somalischen Flüchtlingen in den Nachbarländern zu tun haben, dieses Buch zur Lektüre empfohlen. (Rita Schäfer)

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