Zwischen Kontrolle und Vertrauen

Christoph Stückelberger
Corruption-Free Churches are Possible.
Experiences, Values and Solutions
Globethics net, Genf 2010, 278 Seiten

Evangelisches Missionswerk in Deutschland (Hg.)
Korruption und Transparenz. Rechenschaft in ökumenischen Beziehungen.
EMW, Hamburg 2011, 136 Seiten

Korruption im kirchlichen Raum wird noch immer mit großer Zurückhaltung diskutiert. Nur allmählich setzt sich mehr Offenheit durch. Einer der Wortführer ist der Schweizer Theologe Christoph Stückelberger, der von 1993 bis 2004 Zentralsekretär von Brot für Alle war und 1996 das Schweizer Chapter von Transparency International gegründet hat. Auf zahlreichen Konferenzen und Workshops in Europa und im globalen Süden half er, den Boden für die Prävention von Korruption zu bereiten, Verhaltenskodizes und Aktionsprogramme zu formulieren. Jetzt hat er eine umfangreiche Materialsammlung veröffentlicht, die seine bisherigen Erfahrungen zusammenfasst. Er nennt Fälle, berichtet von konkreten Maßnahmen gegen Korruption, zitiert Texte von Arbeitsrichtlinien und Checklisten und präsentiert am Ende 35 Handlungsempfehlungen.

Dass Stückelberger Theologe und zugleich Praktiker der Entwicklungshilfe ist, macht ihn unverdächtig gegen den Vorwurf, der Kirche schaden zu wollen – er will ihr helfen, sich von Schäden zu befreien. Im Zentrum sieht er den Begriff der guten Haushälter schaft (good stewardship). Basis der Zusammenarbeit ist Vertrauen, aber das schließt Kontrolle nicht aus – Kontrolle ist kein Ausdruck von Misstrauen, sondern „Instrument zur Stärkung des Vertrauens“. Als Beispiel nennt er ein Bauprojekt in Ghana, bei dem in Schaukästen laufend über die Budgetverwendung informiert wurde. Von Rechenschaft sollten auch kirchliche Führer nicht befreit sein. Sie sollten ihr Privatvermögen offenbaren, Peer Reviews sollten ohne Gesichtsverlust eine Kassenkontrolle ermöglichen. „Verantwortungsbewusste Führung“ (responsible leadership) ist Stückelbergers Schlüsselbegriff .

Dies und mehr findet sich in seinem Buch. Kein Gremium, keine Konferenz zum Thema bleibt unerwähnt, alles ist wichtig und nützlich – aber es bleibt eine dürre Materialsammlung. Der Leser erfährt, dass Indiens Nationaler Kirchenrat im Februar 2004 einen „Plan of Action … and Campaigning“ verabschiedet hat – aber nicht, ob die Kampagne stattgefunden hat und mit welchem Ergebnis. Die seit Jahren schwären den Veruntreuungsvorwürfe gegen religiöse Führer der südindischen Kirche werden ebenfalls verschwiegen. Das Buch, das aus diesem Material entstehen könnte, muss erst noch geschrieben werden, und auch die Recherche dazu ist noch nicht vollendet.

Einen anderen Zugang zum Thema sucht die Broschüre des Evangelischen Missionswerks. Hier wird argumentiert und diskutiert, aber mit einer anderen Wertsetzung. Als strittig dargestellt wird vor allem das „ökumenische Beziehungsproblem“: Die Partner im Süden wünschen sich mehr Mittel, über die sie frei verfügen können, sie empfinden Zweckbindung als Bevormundung, als „Rückverlagerung der Entscheidungshoheit in den Norden“. Aber das ist ein Scheinproblem – oder zumindest ein zu lösendes. Ökumenisch ist die Beziehung nur dann, wenn keine der beiden Seiten über die Mittelverwendung allein entscheidet; nachträgliche Umwidmungen sind nach Absprache möglich. Ownership darf nicht so verstanden werden, dass unter ihrem Etikett auch Veruntreuung legitimiert wird, wie durch den Bischof, der mit Entwicklungsgeld seine Wahlmänner besticht und dann das geplante Entwicklungsprojekt nicht mehr fertigstellen kann.

So zeigt sich, dass eines der Kernprobleme an der Schnittstelle zwischen Geber und Nehmer liegt, da, wo das Geld die Hand wechselt: Es ist keine Schikane der Geber aus dem Norden, dass sie Verwendungs nachweise verlangen. Mit dem Geld wurde vielmehr auch die Buchführung erfunden: Wer sich auf das eine einlässt, muss auch das andere in Kauf nehmen.

Ein Problem schließlich wird in beiden Büchern ver drängt: Noch immer existieren mancherorts in kirchlichen Hierarchien kontrollfreie Räume, in denen das Wort des Bischofs den Beleg ersetzt. Das ist durch die besondere Rolle der Kirchen nicht gedeckt, hier muss, zwischen Verkündigungsauftrag und Finanzkontrolle, Gewaltenteilung gelten. An dieser Stelle liegen Versuchungen zur Korruption, die die Kirchen nur mit strukturellen Reformen in den Griff bekommen können.


Reinold E. Thiel

 

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