Varianten eines bekannten Themas

David Held
Cosmopolitanism.
Ideals and Realities

Polity Books, Cambridge 2010,
144 Seiten, ca. 16,70 Euro

In Zeiten der Krise sind Fortschrittserzählungen rar. Eine scheint uns geblieben – die Geschichte von der Verwandlung des modernen Völkerrechts von einem Kriegs- in ein Friedensrecht. Dabei gingen wesentliche Impulse zur Weiterentwicklung des Rechts gerade aus dessen Versagen hervor. Die Charta der Vereinten Nationen verdankte sich der Steigerung kollektiver Gewalt, nicht ihrer kontinuierlichen Eingrenzung. Das friedliche Ende des Ost-West-Konflikts nährte die Hoffnung, dass weitreichende Lernprozesse ohne erneute Katastrophen möglich seien und sich die Menschheit auf den Weg zu jener Weltfriedensordnung begeben könnte, die Immanuel Kant 200 Jahre zuvor als Gebot der Vernunft ausgewiesen hatte.

Einer der großen Pioniere, die sich aufmachten, diesen Weg zu weisen, war David Held. Zusammen mit Daniele Archibugi, Andrew MacGrew und anderen trug er an der London School of Economics zur Begründung einer Denkschule bei, die die unterschiedlichen Diskussionsstränge über Globalisierung und Global Governance in dem Modell einer „kosmopolitischen Demokratie“ zusammenführte. Das war ein kühner Wurf, der viel Aufmerksamkeit erregte. Was ist davon nach den Erfahrungen der Zwischenzeit geblieben?

Im vorliegende Buch geht es wie in den vorherigen Veröffentlichungen Helds um die zunehmende Verflechtung der Lebenschancen aller Menschen und die Frage, wie eine politische Ordnung beschaffen sein muss, die dieser Entwicklung Rechnung trägt. Die Antwort wird im Begriff des Kosmopolitanismus gebündelt: Er widerspricht nicht der Forderung nach Anerkennung kultureller Differenz, richtet sein Augenmerk aber im Gegensatz dazu auf das, was die Menschen verbindet: „das Geflecht von Nöten, Wünschen, Ängsten und Leidenschaften, die uns alle als Glieder derselben Art ausweisen“.

Diese Gemeinsamkeiten verweisen auf die Grenzen individueller oder gemeinschaftlicher Handlungsfreiheit, die von allen eingehalten werden müssen. Daraus folgt aus der Sicht des Kosmopolitanismus nicht unbedingt die Unabänderlichkeit eines Weltstaates, wohl aber die Notwendigkeit einer globalen Ordnung, die der zunehmenden Komplexität und Verflochtenheit menschlicher Verhältnisse entspricht. Held denkt an ein Mehrebenensystem, das Raum für die Entfaltung demokratischer Selbstorganisation auf allen Ebenen von der Kommune bis zum globalen Netzwerk bietet.

Das sind im Wesentlichen die Ideen der 1990er Jahre. Dass sie bisher nicht in dem erforderlichen Maß umgesetzt wurden, führt Held auf veraltete Lageeinschätzungen und Verhaltensmuster des bislang dominanten Westens zurück. Aufgrund der Erfahrungen des Westens im Umgang mit Kriegen und Konflikten und der sich wandelnden globalen Kräftekonstellation, so konstatiert Held heute, nehme jedoch der Druck zu, auf eine kosmopolitische Ordnung hinzuarbeiten.

Held knüpft mit seiner Argumentation an Kants prinzipienfesten Pragmatismus an, der nicht auf die Schaffung eines neuen Menschen ausgerichtet ist, sondern auf den Entwurf einer Friedensordnung, die selbst in einer Welt von Teufeln funktionieren würde (wenn sie von ihrem Verstand Gebrauch machten). In diesem Sinne entwickelt Held einen Kosmopolitanismus, der ähnlich wie die Peacebuilding-Industrie versucht, im Streben nach einer anderen Welt nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Allerdings vermisst man bei der Lektüre eine systematische Einarbeitung der zwischenzeitlichen Erfahrungen – auch mit Blick auf die Stärkung des nationalen Denkens in den gegenwärtigen Wirtschaftskrisen. Das liegt auch daran, dass es sich hier um eine Aufsatzsammlung handelt, in der etliche Beiträge aus den Anfangsjahren des neuen Millenniums stammen. Insofern liefert das Buch eher Variationen des alten Themas als ein neues Stück. Zu den neuesten Erfahrungen, die es zu verarbeiten gälte, gehört übrigens die Verwicklung Helds in die Beziehungen zwischen der London School of Economics und zumindest einem der Söhne (wenn nicht der Familie) des früheren libyschen Diktators Muammar al’Gaddafi . Aber das kommt vielleicht in einem der weiteren Beiträge Helds, die von ihm zum Kosmopolitanismus zu erwarten sind und hoffentlich auch geliefert werden.


Lothar Brock

 

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