Sebastian Schoepp
Das Ende der Einsamkeit.
Was die Welt von Lateinamerika lernen kann
Westend Verlag, Frankfurt 2011,
278 Seiten. 17,99 Euro
Nach einer verlorenen Dekade und dem Schrecken verbreiteter Militärherrschaft kommen wieder gute Nachrichten aus Lateinamerika. Sebastian Schoepps zentrales Anliegen ist es, sie aufzuzählen. Denn normalerweise sind gute Nachrichten keine Nachrichten. Schoepp nennt Elemente der lateinamerikanischen Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre –doch er wäre ein schlechter Journalist, würde er den Blick nicht auch auf die Schattenseiten lenken.
Apropos Lateinamerika – ist es nicht vermessen, bei all der Vielfalt des Kontinents von einer Einheit zu sprechen? Schoepp erklärt in seinem Streifzug durch Geschichte und Länder, warum das gerechtfertigt ist und was Lateinamerika verbindet – die jahrhundertlange Unterdrückung durch Kolonialismus und Neo-Kolonialismus, der Antiamerikanismus angesichts Dutzender US-Militärinterventionen, aber auch seine Literatur, Musik und Kunst. Obwohl in kaum einem anderen Erdteil die Einkommensunterschiede so groß sind, sollen die Latinos laut Umfragen zufriedener sein als die Einwohner der reichen Industrieländer.
Seine Sympathien für die neue lateinamerikanische Linke verhehlt der Autor nicht, wobei er mehr bei Lula (Brasilien) denn bei Hugo Chávez (Venezuela) ist. Den Erfolg der Linken erklärt er als Resultat aus der Erfahrung mit dem neoliberalen „Experiment“, das Lateinamerika im ausgehenden 20. Jahrhundert in eine tiefe wirtschaftliche und soziale Krise gestürzt hatte. Schoepp hat die Länder des Kontinentes bereist und viele Menschen getroffen. So finden sich in seinem Buch eine Reihe interessanter Interviews wie das mit Alberto Acosta zur ecuadorianischen Initiative „Wald statt Erdöl“ und mit Enrique V. Iglesias, dem früheren Chef der Interamerikanischen Entwicklungsbank. Ein Kapitel widmet er der lateinamerikanischen Diaspora in Barcelona und ihren Migranten, die er persönlich kennengelernt hat. Anschaulich berichtet der Autor über Einzelschicksale und beschreibt auch seinen eigenen Lernprozess. Die Analyse von Strukturen ist nicht seine Stärke, doch vielleicht schaff t er es gerade deshalb, uns die lateinamerikanische Realität(en) näher zu bringen.
Was ist kritisch anzumerken? Der Anspruch des Buches ist sehr hoch gegriffen. Es will einen Beitrag zur Debatte über „mögliche Entwicklungsmodelle des 21. Jahrhunderts“ leisten. Dann hätte es sich sicher gelohnt, einen Blick auf das neoliberale Musterland Chile zu werfen, das in dem Buch ganz fehlt. Die Rolle und die Bedeutung der Kirchen, die so wichtig für die lateinamerikanische Geschichte und Identität sind, kommen ebenfalls zu kurz.
Und es wird nicht nur links in Lateinamerika gewählt, sondern auch wieder konservativ, etwa in Chile, Kolumbien, Mexiko, Panamá oder gerade in Guatemala. Trotzdem: der Wahlsieg Cristina Kirchners in Argentinien und Ollanta Humalas Erfolg in Peru geben Schoepps generellen Einschätzungen recht. Noch vor wenigen Jahren hieß es auf den Straßen: que se vayan todos – möge doch die gesamte Politikerkaste abhauen. Das hört man heute deutlich weniger. Die lateinamerikanischen Demokratien scheinen gefestigter als je zuvor. Schoepps Buch ist grundsätzlich empfehlenswert – und für Einsteiger in Sachen Lateinamerika ganz besonders.
Werner Würtele
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