Erfolg dank Geld aus der Diaspora

Afrikanerin an einem Schreibtisch mit Computer schaut den Betrachter an.
Martin Egbert
Sandra Tembei hat in Douala eine erfolgreiche Tischlerei aufgebaut – auch mit Investitionen von in Europa lebenden Kamerunern.
Kamerun
Ungeachtet der angespannten politischen Lage bauen Unternehmerinnen wie Sandra Tembei in Kamerun etwas auf. Weil im Land bezahlbare Kredite fehlen, bringen sie mit dem Geld ausgewanderter Landsleute ihr Geschäft voran.

Autos und Motorradtaxis quälen sich durch die tiefen Schlaglöcher der staubigen Piste in Douala. Der Weg zu Sandra Tembeis Firma Mellow Group lässt vergessen, dass die Werkhalle sich in der bedeutenden Wirtschaftsmetropole Kameruns und einem wichtigen Hafen an der afrikanischen Westküste befindet. Aber so sieht es hier überall aus, nicht nur abseits der Hauptstraßen.

„Die Straßen sind eine Katastrophe!“ Sandra Tembei schnaubt empört. Mit verschränkten Armen steht die 31-Jährige im Eingang der Werkhalle ihrer Tischlerei für Innenausbau und Gestaltung. Hinter ihr kreischen Sägen und Fräsen. Männer in staubigen Hosen schleppen eine Küchenplatte. Es riecht nach Holz, Leim und Schweiß. 

Die Mellow Group fertigt Möbel, Werbeschilder, Einbauküchen oder Schrankwände. „Wegen der schlechten Straßen müssen wir die Sachen immer aufwändig verpacken, damit sie nicht auf dem Transport beschädigt werden“, sagt Tembei. Zudem erschweren eine extrem langsame Bürokratie, Korruption und Kapitalmangel das Geschäft.

Die neun Angestellten bekommen ein gutes Gehalt

Die Unternehmerin, die vor Tatendrang sprüht, lässt sich davon nicht aufhalten. Wenn sie lacht, was sie oft tut, schüttelt sie den Kopf mit den Rastalocken und den großen, bunten Ohrringen. In ihren schwarzen Sicherheitsschuhen und der Arbeitshose geht sie mit energischen Schritten durch die Werkhalle und gibt Anweisungen. 

In den vergangenen drei Jahren ist der Umsatz der Firma von umgerechnet 40.000 auf 130.000 Euro gewachsen. Das klingt wenig, doch in Kamerun lag 2024 das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei rund 1600 Euro, 30 Mal weniger als in Deutschland. Sandra Tembei beschäftigt neun Angestellte, davon drei erfahrene Tischler. Jeder von ihnen verdient mit umgerechnet 150 bis 350 Euro netto pro Woche ein Mehrfaches des Mindestlohns, der bei monatlich 67 Euro liegt. 

Ein Tischler im Unternehmen von Sandra Tembei an einer der großen Maschinen.

Vor zwei Jahren konnte Tembei dieses Grundstück kaufen und eine Halle darauf bauen, vor allem aber hat sie in neue Maschinen investiert. Möglich war das nur dank des Geldes von Kamerunern, die im Ausland leben und arbeiten. Ein Viertel der Mellow Group gehört zehn Menschen, die in die USA, nach Kanada, Großbritannien oder Deutschland ausgewandert sind. Sandra Tembei kennt die meisten aus ihrer Zeit in Ägypten. Dort hat sie einem Stipendium ihren Master in Materialwissenschaften an der Egypt-Japan University of Science and Technology gemacht.

Die Auswanderer wollen einen Teil ihres in der Fremde verdienten Geldes in der Heimat anlegen, aus Verbundenheit oder als Rückkehrperspektive. Sie füllen damit eine große Lücke. „Eigenes Kapital hatte ich nicht, Kredite sind schwierig zu bekommen und kosten bis zu 30 Prozent Zinsen“, sagt Tembei. Laut dem letzten World Bank Enterprise Survey ist für 41 Prozent der Firmen in dem zentralafrikanischen Land der Zugang zu Geld ein großes Hemmnis für ihre Entwicklung. In Vietnam geben das nur halb so viele Unternehmen an.

„Das Bankensystem in Kamerun, wie auch in anderen afrikanischen Ländern, ist unterentwickelt und verfügt über wenig Kapital“, sagt Tobias Heidland. „Kleinunternehmen bleibt oft nur die Mikrofinanz oder der Geldverleiher von nebenan“, so der Professor und Leiter des Forschungszentrums Internationale Entwicklung im Kiel Institut für Weltwirtschaft.

Aus der Diaspora fließen große Summen nach Afrika

Schon der Kauf einer Kreissäge kann ein großes Problem sein. Für Tembei war das Profimodell eines italienischen Herstellers eine der ersten Anschaffungen mit Geld aus der Diaspora. Kameruner Händler kaufen solche Maschinen gebraucht in Europa, lassen sie überholen und verkaufen sie. Tembei zeigt auf den 3500 Euro teuren Koloss in der Ecke der Werkhalle, an der der Altgeselle Ernest gerade Beine von Barhockern zusägt. „Mit der Maschine konnten wir plötzlich vier Mal so viele Aufträge bearbeiten“, sagt Tembei. Das Vorgängermodell verstaubt nun im Lager. Die einfache Handkreissäge eines chinesischen Herstellers kaufen sich hierzulande Hobbyhandwerker im Baumarkt.

Ausgewanderte überweisen große Summen in ihre Heimat – aus manchen Ländern mehr, als die Budgets für Entwicklungszusammenarbeit der Gastländer betragen. Das gilt zwar nicht für Deutschland. Aber laut Angaben der Bundesbank haben Migrantinnen und Migranten in den vergangenen beiden Jahren immerhin jeweils um die sieben Milliarden Euro in ihre Heimat geschickt. Fast jedes Jahr steigt diese Summe. 1,5 Milliarden Euro überweist allein die in Deutschland lebende afrikanische Diaspora zurück, schätzt die Weltbank. Das meiste davon verbrauchen die Empfänger zum Überleben; sie kaufen Essen oder Kleidung, bezahlen Arztrechnungen oder Schulgebühren. Aus der Diaspora 

Eine Plattform hilft, Geld in Firmen zu stecken

In Unternehmen investieren Migranten selten direkt. Viele würden das gerne, wenn sie denn sicherstellen könnten, dass das Geld auch erfolgreich eingesetzt wird. „Für die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika ist es eine Chance, wenn die Überweisungen für unternehmerische Investitionen genutzt werden“, sagt ein Sprecher der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) hat die GIZ eine Plattform namens WIDU eingerichtet. Sie richtet sich an Menschen der afrikanischen Diaspora in Europa, die in ihrer Heimat investieren wollen. Die schlagen Kleinunternehmen vor, denen sie eine bestimmte Summe überweisen wollen. Die Empfänger müssen die gleiche Summe aufbringen. WIDU verdoppelt die Gesamtsumme dann. Rund 2200 Unternehmen in Kamerun haben in den letzten fünf Jahren über WIDU Geld erhalten – von Investoren aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und Deutschland.

Auch die Firma Boussole Prosthesis - hier ihr Inhaber - arbeitet mit dem Geld von Ausgewanderten.

In der Hauptstadt Yaoundé zum Beispiel hat das Startup Boussole Prosthesis mithilfe der Investition eines in Deutschland lebenden Kameruners neue Geräte zur Herstellung von preisgünstigen Prothesen angeschafft. Padisco Shoes in Bamenda fertigt und vertreibt dank Investitionen aus der Diaspora lokal hergestellte Schuhe. GIC Bellomar stellt aus verdorbenen Früchten hydroalkoholische Gele und Bleichmittel her, ein anderes aus Bananenstämmen Verpackungen.

Erhält ein Unternehmen über WIDU eine Zusage, muss es parallel zur schrittweisen Auszahlung des Geldes die Verwendung für alle Beteiligten einsehbar und mit eingescannten Belegen auf der Plattform dokumentieren. Neben dem Geld erhalten die Empfänger ein individuelles Business-Coaching von lokalen Experten. Sandra Tembei hat es zur Verbesserung ihrer Werbestrategie genutzt. Sie setzt jetzt fast nur auf zielgerichtetes Online-Marketing. 

Über Mangel an Nachfrage kann sie sich nicht beklagen, sie will weiter expandieren. Zuletzt hat sie eine computergesteuerte CNC-Fräse angeschafft, einen Kompressor und eine Lasermaschine zum Schneiden und Gravieren dünner Werkstücke aus Holz, Kunststoff oder Metall. Die Programmierung der Maschine sowie die Konstruktionszeichnungen und Animationen für Möbel und Innenausbauten mit einem Computerprogramm erledigt sie an einem kleinen, schwarzen Schreibtisch in ihrem Büro. „Unser Standard ist in Kamerun einmalig“ sagt sie. „Ich bin meinen Geldgebern aus der Diaspora sehr dankbar dafür, dass sie an mich geglaubt haben.“

Geldanlagen von guten Freunden 

Einer der Geldgeber ist Jacques Fokam. Der 32-jährige Ingenieur lebt seit fünf Jahren in Deutschland und arbeitet bei BMW in der Qualitätskontrolle. Seine Anteile an der Mellow Group hat gekauft, als die Firma noch in Gründung war. „Sandra und ich sind sehr gut befreundet“, erklärt er. Vor allem aber hat ihn ihr Businessplan überzeugt. Fokam hat seine Investition bislang nicht bereut. Die Rendite stimmt, und es macht ihn glücklich, in Kamerun gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen. Fokam ist einer von zehn Investoren. Er hatte auch die Idee, die Mellow Group bei WIDU vorzuschlagen. 

Für Tembei war und ist die Plattform sehr hilfreich. Ihre letzten beiden Investitionen, die computergesteuerte CNC-Fräse und die Lasermaschine, hat sie aber wieder direkt mit ihren Anteilseignern umgesetzt. „Das war weniger aufwändig“, erklärt sie mit einem Schulterzucken. Ihre Teilhaber aus der Diaspora sind auch ohne den Zuschuss des Entwicklungsprogramms bereit zu investieren. Am liebsten aber möchte die Unternehmerin deren 25 Prozent Anteile mittelfristig zurückkaufen. Erst einmal will sie das Team um zwei weitere Tischler und eine zusätzliche Verkaufskraft erweitern.

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Tembei tritt vor die Tür der Werkhalle, um ein Motorradtaxi anzuhalten, das sie zu einem Kunden bringen soll. Schülerinnen in Uniform kaufen an dem Kiosk gegenüber Süßigkeiten und tollen dann lachend die sandige Straße hinunter. „Da oben, wo die Wäsche hängt, wohne ich mit meinem Mann und unserer Tochter.“ Die Unternehmerin zeigt auf ein schmuckloses Mehrfamilienhaus mit schwarzen Schimmelflecken auf der roten Fassade.

Ein Motorradtaxi hält. Tembei verhandelt den Preis, lässt sich eine Stunde durch Hitze, Staub und Chaos fahren, steigt dann lächelnd ab und zieht eine Powerbank aus ihrer schicken Handtasche, um ihr Smartphone aufzuladen. Das Haus des Kunden versteckt sich hinter einer hohen Mauer mit Blechtor. Auf dem gefliesten Hof stehen Fitnessgeräte und ein blitzblanker SUV. Die neue Küche ist mit einem mannshohen Kühlschrank, Mikrowelle, Eisspender und großem Herd ausgestattet. Ein Subunternehmer von Tembei montiert gerade eine Arbeitsplatte aus Marmor auf von Tembei hergestellten Küchenmöbeln. Die Kunden sind nicht zufrieden mit der Qualität des Materials des Marmors, aber Sandra Tembei findet einen Kompromiss.

Fließend wechselt sie vom Englischen ins Französische. Das Gebiet des heutigen Kamerun haben nach dem Ersten Weltkrieg Briten und Franzosen unter sich aufgeteilt, und nach der Unabhängigkeit 1960 blieb der Gegensatz zwischen anglophonen und frankophonen Bevölkerungsgruppen bestehen. Im Westen des Landes führt eine anglophone Guerilla einen Unabhängigkeitskrieg gegen die frankophone Regierung; Tembeis Vater lebt im Kriegsgebiet. Sie sieht ihn selten. Auch ihre Mutter nicht, die in die USA ausgewandert ist. Auswandern ist aber für Sandra Tembei keine Option. „Ich will hier etwas bewegen“, sagt sie und steigt wieder auf ein Motorradtaxi, um im Verkehrsgewühl zu verschwinden.

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