KI ist auch eine Glaubensfrage

Angehörige der Pnar Gemeinschaft bewegen sich anlässlich des Behdienkhlam-Festes in Jowai (Indien) zur Vertreibung böser Geister im Juli 2025 um eine KI-Technologie herum.
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Der Mensch soll die KI steuern, nicht die KI den Menschen: Angehörige der Pnar Gemeinschaft bewegen sich anlässlich des Behdienkhlam-Festes in Jowai (Indien) zur Vertreibung böser Geister im Juli 2025 um eine KI-Technologie herum.
Kirche und Religion
Mit Segnungen und Gefahren von Künstlicher Intelligenz beschäftigen sich zunehmend auch Theologen der großen Religionen. In der islamischen Welt warnen Religionsgelehrte sogar, dass KI in Glaubensfragen irreleiten und so den Islam verfälschen könne.

Wer im Internet nach Stellungnahmen aus Religionen zur Künstlichen Intelligenz (KI) sucht, findet eine Fülle von Artikeln und Links aus jüngster Zeit. Ob im Christentum, im Islam, im Buddhismus, Hinduismus oder Judentum – mit den Herausforderungen, die KI an religiöse Menschen stellt, befassen sich zahlreiche Autorinnen und Autoren. Einig ist man sich über die Religionsgrenzen hinweg: Wenn es um Fortschritte in der Medizin, der Forschung oder im Bildungswesen geht, ist KI zu begrüßen. Ihre ethischen und anthropologischen Weiterungen müssten allerdings genauer in den Blick genommen werden. 

So hält der Vatikan in „Antiqua et Nova“, einem Anfang des Jahres veröffentlichten Dokument, fest, dass der Begriff Intelligenz irreführend sei und die Gefahr berge, „das Wertvollste an der menschlichen Person zu übersehen. Aus dieser Perspektive sollte die KI nicht als eine künstliche Form der Intelligenz gesehen werden, sondern als eines ihrer Produkte.“

Webinar zu Demokratisierungspotentialen und Vorurteilen

Auch der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), zu dem 365 nicht katholische Kirchen weltweit gehören, nimmt sich des Themas an. Der Verband lädt für Mitte Oktober zu einem Webinar ein, das Interessierte über „das Gute, das Schlechte und das Hässliche“ von KI aus christlicher Perspektive informiert. Es geht um Themen wie Demokratisierungspotenziale, die Zementierung von Vorurteilen oder die Frage, wer Zugang zu KI hat und wer nicht. 

Ende August haben der ÖRK, die Weltgemeinschaft der Reformierten Kirchen, der Lutherische Weltbund, der Methodistische Weltrat, der Weltmissionsrat und die anglikanische Missionsorganisation „United Society Partners in the Gospeleine Konferenz in Südkorea ausgerichtet. Drei Tage lang rangen dort 45 Kirchenführer, Wissenschaftler und Theologen aus sechs Kontinenten um theologische Antworten auf die sogenannte Vierte Industrielle Revolution. Dieser müsse eine „geistige Revolution“ entgegengesetzt werden, fordern sie, damit KI globale Ungleichheiten nicht noch verstärke. 

Verweis auf Gottesebenbildlichkeit

Im Abschlusskommuniqué betonen sie die Gleichheit aller Menschen und deren Würde: „Immer wenn KI Menschen auf Verbraucher, Auftragnehmer in der Gig-Economy oder auf rohe Daten reduziert, verletzt sie die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und leugnet die Heiligkeit des Lebens.“ Sie warnen vor den Umweltkosten der KI, etwa für energiehungrige Server, und davor, dass aus Profitgier mit KI ein „digitales Imperium“ geschaffen werden könne, „das koloniale Muster der Ausbeutung perpetuiert“. Kirchen sollten sich deswegen zusammentun, um ökologische Verträglichkeit der Technik zu fordern und Unterrichtsmaterial über ethische Grundsätze zur KI zu erstellen. Regierungen sollten sich auf eine an Transparenz, Verantwortung und Datensouveränität orientierte KI-Regulierung verpflichten und Arbeitskräfte schützen, die verdrängt werden. An die Technologiebranche ergeht der Appell: „Entwickeln Sie KI zum Wohl der Allgemeinheit, beziehen Sie marginalisierte Stimmen in den Gestaltungsprozess ein und stellen Sie Technologien dem Globalen Süden zu reduzierten Kosten zur Verfügung“. 

Von Gefahren, welche KI für die Religionen selbst bedeutet, findet sich im Text allerdings nichts. Im islamischen Raum wird das dagegen auf verschiedenen Ebenen diskutiert. „Es ist dem Muslim nicht erlaubt, sich in religiösen Fragen auf KI-Systeme zu verlassen, da sie falsche oder irreführende Antworten geben können“, zitiert die Internetplattform Islamfatwa.net aus einem Rechtsgutachten (Fatwa) von Scheich Abdullah adh-Dhafiri, einen einflussreichen Islamgelehrten aus Saudi-Arabien. Im Islam sind Fatwa maßgeblich für die Frage, ob ein Muslim seine Religion richtig oder falsch lebt. Adh-Dhafiri, dessen Auslegungen vor allem in konservativen Kreisen gehört werden, warnt vor sogenannten „halluzinierenden“ KI-Systemen, die religiöse Texte erfinden und vermischen könnten. Religiöses Wissen dürfe deshalb ausschließlich von anerkannten Gelehrten bezogen werden. 

Von zentralen Institutionen des Islam wie der Al-Azhar-Universität in Kairo gibt es bisher kein grundlegendes Dokument zur KI, welches für die gesamte Institution sprechen würde, wohl aber verschiedene Einzelstimmen. Sie rufen ähnlich wie der Vatikan und die ökumenischen Weltbünde dazu auf, die ethischen Fragen zur Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und der Würde des Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren. Auch wird vor dem Missbrauch durch Deepfakes, den Einsatz von autonomen Waffensystemen und davor gewarnt, dass KI zur Verbreitung von Islamophobie oder extremistischer Propaganda genutzt werden könne. 

Denn religiös extremistische Gruppen wie der Islamische Staat, Al-Qaida oder die Hamas haben KI längst als ein wirksames Mittel für ihre Zwecke erkannt. So wurde Anfang 2024 zum Beispiel bekannt, dass eine zu Al-Qaida gehörende Gruppe zu einem Online-Workshop eingeladen hatte, um ihren Anhängern zu erklären, wie sie Chatbots für ihre Propaganda nutzen können

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