Essen ist politisch

Stefan Kreutzberger und Valentin Thurn
Die Essensvernichter.
Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011,
320 Seiten, 16,99 Euro


Sind Sie ein Essensvernichter? Natürlich gehören Sie nicht zu denen, die im Restaurant Riesenschnitzel mit Pommes ordern und dann die Hälfte auf dem Teller lassen. Aber haben Sie schon mal Lebensmittel aus Ihrem Kühlschrank entsorgt, nur weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen war? Oder Salat nach drei Tagen ungegessen in die Tonne wandern lassen? Dann sind Sie beteiligt am „Wegwerfwahnsinn“, an der Vernichtung von Lebensmitteln, die mit schuld ist am Hunger in der Welt. Meinen jedenfalls der Journalist Stefan Kreutzberger und der Filmemacher Valentin Thurn.

„Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist“ lautet der Untertitel ihres Buches. Beantwortet werden diese Fragen nicht wirklich. Vielmehr wird mit einer Fülle von Details die Verschwendung dargestellt. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es nicht einen Schuldigen dafür gibt, sondern „es ist ein System und ich als Verbraucher stecke mittendrin mit meinen Gewohnheiten und Vorlieben“.

Das beginnt bereits auf dem Feld und dem Acker: Dort bleibt liegen, was den Handelsnormen optisch nicht entspricht. Wir kaufen selbst Biogemüse nicht, wenn es nicht makellos aussieht, und meinen hartnäckig, die Gurke im Supermarktregal müsse gerade sein. Oder wollen die Supermärkte die Gurke nicht so krumm, wie die Natur sie wachsen lässt? Auch die Europäische Union ist nicht unschuldig. Zwar hat sie 2009 ihre Richtlinie gestrichen, wonach Gurken gerade zu sein haben – und mit ihr die Vermarktungsnormen für 25 weitere Obst- und Gemüsesorten. Doch für die zehn umsatzstärksten Produkte sind die Normen geblieben. 20 eng bedruckte Seiten umfasst allein die EU-Vermarktungsnorm für Äpfel.

Verluste entstehen entlang der gesamten Nahrungsmittelkette. Vom Feld bis zum Teller wird jede Menge aussortiert, weggeschnitten, weggeschüttet oder weggeworfen. Wo die Verluste am größten sind, ist noch nicht umfassend untersucht worden. Doch in Nordrhein-Westfalen werden jetzt, angestoßen von dem im Oktober 2010 ausgestrahlten Film „Frisch auf den Müll“ von Valentin Thurn, Daten über die Warenvernichtung entlang der gesamten Wertschöpfungskette erhoben.

Kreutzberger und Thurn wollen zum Handeln gegen die Lebensmittelvernichtung anregen. Dass sie immer wieder den Bogen von der internationalen Ebene bis zum Einzelnen schlagen, macht „Die Essensvernichter“ lesenwert. Zwar wird darin vieles gegeißelt, das entwicklungspolitisch Interessierten bereits bekannt sein dürfte – von Agrartreibstoffen über den Export von Hähnchenteilen nach Afrika bis zum Land Grabbing. Auch wird die These, unsere Lebens- mittelverschwendung trage zum Klimawandel und zu hohen Nahrungsmittelpreisen bei, die wiederum

Hungerkrisen verursachen, analytisch nicht gut begründet. Doch den Verbrauchern kann die streckenweise richtig spannende Reise in die Abgründe der „Zuvielisation“ Erkenntnisse über das eigene Konsumverhalten und eine Ahnung globaler Zusammenhänge vermitteln. Essen ist politisch – daran kann nach der Lektüre niemand mehr zweifeln.


Anja Ruf

 

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