Wie Entwicklungszusammenarbeit wirken kann

Abhijit Banerjee, Esther Duflo
Poor Economics – A radical rethinking of the way to fight global poverty
PublicAffairs, New York 2011
320 Seiten, ca. 19 Euro

Dean Karlan, Jacob Appel
More Than Good Intentions – How a new economics is helping to solve global poverty
Penguin books, New York 2011
320 Seiten, ca. 19 Euro


Warum kauft ein Mann in Marokko, der nicht genug zu essen hat, einen Fernseher? Wieso zahlen arme Kenianer, um zu sparen? Solchen Fragen gehen Dean Karlan und Jacob Appel von der Yale University sowie Abhijit Banerjee und Esther Duflo vom Massachusetts Institute of Technology in ihren neuen Büchern auf den Grund. Alle vier kritisieren, dass Weltanschauungen, die oft wie Scheuklappen wirkten, die geringen Fortschritte im Kampf gegen Armut verursacht hätten. In der Tat war dieser Kampf immer auch ein Streit zwischen zwei Weltsichten. Jeffrey Sachs etwa erkennt Armutsfallen, denen arme Länder allein nicht entkommen können, und fordert von Regierungen reicher Länder mehr Ressourcen für die armen. William Easterly dagegen sieht Korruption und Fehlanreize, die mit Milliarden an Entwicklungshilfe über die vergangenen 50 Jahre verschärft worden seien, als Ursachen von Armut.

Karlan und Appel sowie Banerjee und Duflo möchten empirisch herausfinden, welche Entwicklungsmaßnahmen funktionieren. Sie zeigen, dass die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wirksam gestaltet werden kann, wenn sie Motive und ökonomische Anreize versteht, statt sie lediglich anzunehmen – mit Hilfe von Erkenntnissen über menschliche Irrationalität und von Verhaltenspsychologie.

Die vier gehören zu den erfahrensten Forschern zu Fragen der Armut. Sie haben das Forschungsgebiet in den vergangenen zwei Jahrzehnten professionalisiert und konzeptionell selbstständig gemacht und erheben den Anspruch, ein unabhängiges Theorie-, Forschungs-, und Politikberatungs-Gebäude errichtet zu haben. Der Anspruch beruht auf unzähligen Feldversuchen in allen relevanten Bereichen der Entwicklungsökonomie – Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft, Finanzdienstleistungen, politische Systeme. Nach dem Vorbild der medizinischen Forschung wenden sie kontrollierte Zufallsexperimente an. Dabei wird eine Maßnahme – zum Beispiel Aids-Aufklärung für Schulmädchen, Entwurmungstabletten für Schulkinder, Sparkonten für Markthändler, persönliche Einladungen zu den Dorfversammlungen an alle Dorfbewohner – auf eine Gruppe angewandt, eine zweite nicht. Die Gruppen kommen zustande, indem nach dem Zufallsprinzip aus den in Betracht kommenden Schulen, Familien, Händlern oder Dörfern statistisch relevante Stichproben genommen werden. Veränderungen in der „behandelten“ Gruppe nach der Maßnahme werden dann mit Veränderungen in der Kontrollgruppe ohne Maßnahme verglichen.

Diese Methode löst ein Problem, das alle Evaluierungen von Entwicklungsmaßnahmen plagt: Wie filtert man den Effekt der Maßnahme heraus? Wenn beispielsweise ugandische Maisbauern nach Beginn eines Mikrokredit-Programms höhere Einkommen erzielen, kann auch besserer Niederschlag die Ursache sein. Oder es haben nur diejenigen einen Mikrokredit aufgenommen, die auch bisher Geld von ihren Saatguthändlern leihen konnten, weil ihre Farm groß genug ist. Mikrokredit-Geber wählen Empfänger aus, die zurückzahlen können; und es melden sich diejenigen, die gute Aussichten sehen, ihren Kredit produktiv einzusetzen. Wenn ein Mikrokreditprogramm

erfolgreich scheint, weiß man also nicht ohne weiteres, wie groß der Anteil des Vorauswahl-Effektes ist und wie viele Kreditnehmer auch ohne Mikrokredit ein erhöhtes Einkommen verzeichnet hätten. Allerdings sollten professionelle Anbieter die auswählen, bei denen das Vorhaben Erfolg verspricht, statt sie zufällig auszusuchen. Wäre es zum Beispiel denkbar, Mikrokredite zufällig zu vergeben? Insofern wirft das Vorgehen der Forscher ethische Fragen auf; viele Praktiker sind der Meinung, dass die Methode

nur begrenzt einsetzbar sei. Beide Bücher zeigen aber an zahlreichen Forschungsergebnissen, dass sie sehr weit eingesetzt werden kann. Besonders für politische Systeme, wo Zufallsexperimente gemeinhin als nicht anwendbar gelten, argumentieren sie überzeugend: Graduelle Veränderungen von Verfahren wie eine persönliche Einladung zu Dorfversammlungen können politische Systeme spürbar verbessern.

Dies sind zwei außerordentlich wichtige Bücher für Politikberater, Wirtschaftswissenschaftler und alle, die es werden wollen. Und sie sind sehr lesenswert für Einsteiger in die EZ und für alle, die der Diskussion zwischen Easterly und Sachs überdrüssig sind. Karlan und Appel begeistern, indem sie klug persönliche Anekdoten und Versuchsergebnisse verknüpfen. Allerdings erscheint die Anpreisung ihrer Methode als „Allheilmittel“ zu populistisch. Banerjee und Duflo überzeugen mit einem intellektuell anspruchsvollen Gesamtentwurf, fordern aber mehr Konzentration. EZ-Praktiker könnten beide Bücher als ein wenig zu langatmig empfinden. Denn viele der Ergebnisse sind dem Praktiker bekannt. Aber er oder sie hat es eben nur „anekdotisch“ erfahren; die vier Wissenschaftler liefern den empirischen Nachweis.


Felix Meier zu Selhausen und Oliver Schmidt

 

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