Verantwortung für den öffentlichen Raum

Konrad Raiser
Religion Macht Politik.
Auf der Suche nach einer zukunftsfähigen Weltordnung

Verlag Otto Lembeck, Frankfurt 2010,
344 Seiten, 22 Euro


Konrad Raiser, der von 1992 bis 2003 Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen war, fragt in seinem Buch nach der Rolle der Religionen im globalen öffentlichen Raum. Ihn interessiert, ob sie einen eigenständigen Beitrag zum Aufb au einer neuen Weltordnung leisten können und ob herkömmliche Annahmen über das Verhältnis von Religion und Politik im globalen Kontext revidiert werden müssen.

Der evangelische Theologe stellt politische, strukturelle und rechtliche Probleme und Chancen einer Weltordnung im Zeichen der Globalisierung dar. Diese habe die Souveränität der Nationalstaaten in Frage gestellt und sie wichtiger Instrumente ihrer Steuerungsmacht beraubt – der Nationalstaat sei nicht länger als Grundmodell politischer Ordnung zu betrachten. Ferner zeichnet er die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses von Religion und Politik nach. Zentral ist für ihn das Konzept des „öffentlichen Raums“ als Feld der Wechselwirkungen von beiden. Konstituierende Elemente sind der Staat, die politische Gesellschaft (Parteien, Gewerkschaften, Verbände, Medien) und die Zivilgesellschaft. In der Rückkehr der Religionen in den öff entlichen Raum sieht Raiser eine indirekte Folge der Globalisierung; die Theorie der allgemeinen Säkularisierung weist er zurück.

Am Beispiel des Islam und des Fundamentalismus stellt Raiser Entwicklungen im Verhältnis von Religion und Politik dar, die gegenwärtig besonders wirkmächtig sind. Im Kapitel über den Islam bringt er auch wichtige Beispiele für gelungene Dialoge zwischen Vertretern christlicher Kirchen und der Muslime aus den vergangenen Jahrzehnten. Sie können dazu beitragen, das verbreitete Islambild zu revidieren und Skepsis gegenüber dem Dialog zwischen den Religionen zu überwinden. Allerdings wird ein solcher Dialog nur dauerhaft Erfolg haben, wenn die Glaubensgemeinschaften als Ganze einbezogen werden. Dazu muss der Dialog aus der eigenen Tradition heraus theologisch begründet werden. Religiöser Fundamentalismus entsteht laut Raiser dort, wo unter dem Druck von Modernisierungs- und Globalisierungsprozessen das Verhältnis von Religion und Politik neu ausgehandelt werden muss. Dem entziehen sich fundamentalistische Bewegungen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie im säkularen Staat eine Bedrohung der von ihnen reklamierten, religiös begründeten kollektiven Identität der Gesellschaft sehen.

In der Zusammenfassung, mit deren Lektüre man durchaus beginnen kann, beantwortet Raiser die Frage nach der Rolle der Religionen im globalen öffentlichen Raum so: Sie ermöglichen Sinndeutung und die Bewältigung von Unsicherheit, indem sie auf die transzendente Quelle von Macht und Legitimität in aller menschlichen Ordnung verweisen. Als Anwälte einer Kultur des Dialogs und des Friedens sind sie Treuhänder des globalen öffentlichen Raums. Mit Hans Küng plädiert Raiser für den Dialog unter den Religionen als Weg zum Frieden.

Wer die Debatte über das Verhältnis von Religion und Macht und über die Rolle der Religionen in gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen kennt und sich eingehend mit Grundsatzfragen der Globalisierung beschäftigt hat, braucht dieses Buch nicht zu lesen. Denn es enthält nichts grundlegend Neues. Raiser referiert und zitiert ausführlich vorhandene, vornehmlich angelsächsische Literatur zu diesen Themen. Wer aber noch nicht in dieser Debatte zu Hause ist und schnell eine verlässliche Orientierung gewinnen will, sollte unbedingt zu dem Buch greifen.


Rudolf Ficker

 

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