Peter Waldmann
Radikalisierung in der Diaspora.
Wie Islamisten im Westen zu Terroristen werden
Murmann Verlag, Hamburg 2009,
248 Seiten, 16 Euro
Terrorismus hat ein hohes Empörungspotential. Wer bewusst den Tod von Zivilisten in Kauf nimmt, um politische Ziele durchzusetzen, wird von der Öffentlichkeit geächtet. Das trifft im Prinzip auf jede Form des Terrorismus zu; doch der islamistische Terrorismus, der den Westen seit rund zehn Jahren bedroht, hat eine eigene Qualität: Er löst, so zumindest der Anschein, noch mehr Unverständnis aus als etwa der Terror der baskischen Untergrundorganisation ETA oder anderer nationaler Gruppen.
Das hat zum einen mit den Methoden islamistischer Terroristen zu tun: Ihre Todesverachtung, die in der Form des Selbstmordattentates zum Ausdruck kommt, lässt sie besonders bedrohlich und unberechenbar erscheinen. Zum anderen liegt es an ihrer Herkunft. Islamistische Terroristen im Westen rekrutieren sich – abgesehen von einigen Konvertiten – überwiegend aus auf Zuwanderung zurückgehenden muslimischen Gemeinschaften. Sie sind in den vergangenen fünf Jahrzehnten in den Westen gekommen, auf der Flucht vor der Armut in ihren Heimatländern und auf der Suche nach Arbeit. Es geht ihnen objektiv gesehen besser als in ihren Heimatländern. Woher kommt also der Hass auf den Westen? Woher die Bereitschaft junger Männer, sich auf den Straßen Londons oder Madrids in die Luft zu jagen?
Peter Waldmann hat zu dieser Frage eine überzeugende Studie vorgelegt. Im Zentrum seiner Überlegungen steht das Konzept der Diaspora. Damit sind ethnische oder religiöse Minderheiten gemeint, die freiwillig ihre Heimat verlassen haben, aber weiter engen Kontakt zu ihrem Ursprungsland behalten. Sie leben mit einer doppelten Identität: Auf der einen Seite müssen sie ihren Platz in der neuen Heimat finden, auf der anderen Seite identifizieren sie sich weiter mit der Kultur ihrer Heimat. Das schafft Konflikte und Reibungspunkte, die umso gravierender sind, je weniger Ansehen die ethnischen oder religiösen Minderheiten in den Aufnahmeländern genießen.
Waldmann zählt drei verschiedene Möglichkeiten auf, mit diesem Identitätskonflikt umzugehen: Die Migranten passen sich vollständig der neuen Gesellschaft an. Oder sie machen wesentliche Zugeständnisse an ihre neue Heimat, bestehen aber darauf, Elemente der eigenen Kultur beizubehalten. Drittens – und das ist für das Buch die entscheidende Option – lehnt man die neue Gesellschaft komplett ab und wählt einen konfrontativen Weg. Waldmann nennt das die ultra-orthodoxe Position. Wer sie einnimmt, überhöht seine eigene, oft erst in der Diaspora konstruierte Identität und stellt sie in Gegensatz zur Aufnahmegesellschaft. Das kann bis hin zur Bereitschaft führen, mit Gewalt gegen die „ungerechten“ Verhältnisse vorzugehen.
Die meisten Muslime in Europa kommen aus armen Ländern wie Pakistan. Viele haben ein problematisches Verhältnis zu ihre neuen Heimatländern aufgrund bitterer Erfahrungen während der Kolonialzeit, wie die Algerier in Frankreich. Sie stammen darüber hinaus meistens aus ärmeren Schichten – wie die Türken in Deutschland – und sind gerade erst dabei, den gesellschaftlichen Aufstieg anzutreten. Generell genießen Muslime in Europa kein besonders hohes Ansehen. Im Gegenteil: Sie sind häufig Anfeindungen ausgesetzt, insbesondere in England, wo rechtsradikale Jugendgangs regelrecht Jagd auf sie machen. So lange die muslimischen Einwanderer ihren Diaspora-Status aufrecht erhalten und gesellschaftlich auf der unteren Leiter stehen bleiben, wird es immer junge Männer geben, die sich für die ultra-orthodoxe Position entscheiden, um auf diese Weise ihre Identitätskonflikte zu meistern.
Deutschland steht in dieser Hinsicht relativ gut da. Zumindest gibt es – anders als in Frankreich und England – keine Kolonialerfahrung, die die türkischen Migranten gegen die deutsche Gesellschaft aufbringen könnten. Außerdem, so Waldmann, berge das deutsche Staatskirchenrecht die Möglichkeit, die Muslime in Zukunft rechtlich mit den christlichen Kirchen gleichzustellen. Diese Aussicht übe einen mäßigenden Einfluss auf ihr Verhalten hierzulande aus. (Albrecht Metzger)
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