Aktuelle Zeitansage der Friedensforschung

Margret Johannsen, Bruno Schoch u.a. (Hg.)
Friedensgutachten 2011
LIT-Verlag, Berlin 2011,
344 Seiten, 12,90 Euro


Selten wurden drängende Themen des weltpolitischen Zeitgeschehens mit ihren möglichen Auswirkungen auf die menschliche Sicherheit anschaulicher vorgestellt als im Friedensgutachten 2011. Die Autorinnen und Autoren befassen sich mit dem Aufbruch in der arabischen Welt, den Krisen Europas, den Vor- und Nachteilen militärischer Interventionen sowie mit den anstehenden neuen Konzepten von Bundeswehr und Nato. Mit der Aktualität geht eine ungewohnt pointierte Auseinandersetzung mit Politikerinnen und Politikern einher. „Angela Merkel und Guido Westerwelle bedienen die Abneigung der meisten Deutschen gegen Militäreinsätze“, erklären die Herausgeber und fügen hinzu: „Wir kritisieren das Verhalten der Regierung (zu Libyen) als schweren außenpolitischen Fehler…“

Beklagt wird auch „das Fehlen jeder proaktiven Diplomatie, sei es für einen raschen Waffenstillstand oder für das hohe Ziel europäischer Geschlossenheit.“ An die Mitglieder der Europäischen Union (EU) richtet sich ebenfalls ein deutlicher Vorwurf. Sie hätten sich „mit politischen Tauschgeschäften, bei denen Diktatoren Erdöl liefern, Flüchtlinge abfangen und dafür günstige Kredite sowie Waffen erhalten, zu Komplizen repressiver Regime gemacht.“

Besonders hervorzuheben ist das Bekenntnis zur„Responsibility to Protect“, der 2005 eingeführten Schutzverantwortung der Weltgemeinschaft gegenüber Staaten, die an ihrer Bevölkerung Kriegsverbrechen oder Völkermord begehen. Dazu braucht man aber auch einsatzfähige Streitkräfte als Mittel der Krisen- und Konfliktbearbeitung. Der Hinweis, dass die Bundeswehr zwar als „Thema von Friedenserziehung“, keinesfalls aber als „Akteur“ im Schulunterricht behandelt werden solle, ist wohl überkommenen friedensethischen Argumentationslinien geschuldet. Es wird Zeit, dass diese Thesen auf den Prüfstand einer realistisch-friedensorientierten Politikbetrachtung gestellt werden.

Auch die Einzelbeiträge sind ausgesprochen lesenswert. So beschreibt Ulrike Borchardt kenntnisreich das Scheitern der EU-Mittelmeerpolitik. Sie kritisiert die Angst und die Skepsis bei den europäischen Entscheidungsträgern, die eine kohärente Politik verhindern. Die nordafrikanischen Länder müssten stärker unterstützt werden. Notwendig seien Demokratisierungshilfen, Beratung bei der Konzeption von Verfassungen sowie bei der Reform des Sicherheitssektors. Bei einer erfolgreichen Konsolidierung de- mokratischer Systeme würde der „Migrationsdruck“erheblich abnehmen.

Bruno Schoch und Hans-Georg Ehrhardt befassen sich ebenfalls mit den Schwachstellen Europas. Auch wenn die fast schon stereotype Forderung nach Europa als Friedensmacht überzogen sein dürfte, den Schuhen einer reinen Zivilmacht ist die EU entwachsen. Sie steht nun vor der Frage, wie und wofür sie ihre zivilen und militärischen Kapazitäten zur Intervention zum Tragen bringt. Thomas Debiel und Nils Goede befassen sich kritisch mit dem Verlauf verschiedener Militärinterventionen, Conrad Schetter und Janosch Prinz klären auf über die Chancen des Nato-Einsatzes in Afghanistan. Jochen Hippler bilanziert fachkundig die gescheiterte Intervention in den Irak, ebenso lesenswert ist Elke Grawerts Aufsatz über die UN-Missionen im Sudan. Einen differenzierten Blick auf die Intervention der Vereinten Nationen in der Elfenbeinküste werfen Andreas Mehler und Franziska Zanker.

Im letzten Teil des Friedensgutachtens fühlt man sich bei Margret Johannsen um 25 Jahre zurückversetzt – ihr graust es nach wie vor, wenn sie an „Macht Militär Ordnung und Sicherheit?“ denkt. Die Lösungsansätze klingen eher altbacken, so wird in der Beschäftigung mit der neuen „multipolaren Machtkonkurrenz im Pazifik“ an das Instrument der „vertrauensbildenden Maßnahmen“ erinnert. Kaum einer der Akteure dort dürfte überhaupt wissen, was darunter zu verstehen wäre. Beachtenswert erscheint hingegen der Rat von Mathias Dembinski und Hans-Joachim Spanger an die Nato-Staaten, Russland auf keinen Fall aus der geplanten europäischen Raketenabwehrarchitektur auszuschließen. Insgesamt bietet das Friedensgutachten 2011 eine interessante Lektüre.


Wolf Poulet

 

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