Nicht mehr im Trüben fischen

Europäische Trawler treten an gegen asiatische Fangflotten, aber auch die Kleinfischer aus dem Senegal mischen kräftig mit. Sie müssen ihr Teil dazu beitragen, wenn die Überfischung der Meere gestoppt werden soll. Erste Initiativen gibt es bereits.

Vor den Küsten Westafrikas werden die reichen Fischbestände übermäßig ausgebeutet. Seit Jahrzehnten sind sie das Ziel großer europäischer Fangboote. Die dürfen dort inzwischen nur noch als Gemeinschaftsunternehmen mit Senegalesen auftreten und müssen zudem ihren „kolonialen“ Erbhof mit Koreanern und Chinesen teilen. Zugleich wachsen die Flotten der einheimischen Fischer: Die meisten Pirogen haben nun Außenbordmotoren und können beachtliche Mengen Fisch aus dem Wasser ziehen. Die Machtverhältnisse scheinen klar zu sein. Wenn Hilfsorganisationen und Medien über die Ausbeutung der Fischgründe vor Westafrika berichten, haben sie denn auch ein Lieblingsmotiv: Der arme Fischer in der kleinen Piroge mit fast leerem Netz sieht sich den großen europäischen  Industrietrawlern mit riesigen vollen Schleppnetzen gegenüber.

Die Wirklichkeit ist aber komplizierter. Zwar sind solche Bilder nicht gestellt; wer nur ein paar Meilen vor die Küste hinausfährt, sieht genau diese Situation. Aber sie bedienen romantische Vorstellungen von einer Kleinfischerei für den Eigenbedarf, die in dieser Form kaum noch existiert. Die handwerkliche Fischerei in Westafrika ist ein Geschäft von Klein- und Familienunternehmen, das lebenswichtig für die Eiweißversorgung von Millionen Menschen geworden ist. Sie leistet einen großen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers und zur Reduzierung der Armut in der gesamten Region, ist aber nicht automatisch nachhaltig. Im Senegal leben auf einem relativ kleinen Küstenabschnitt von 500 Kilometern Hunderttausende Menschen mit und von der Fischerei und der Fischverarbeitung. 600.000 Menschen beschäftigt dieser Sektor unmittelbar und ist damit nach der Landwirtschaft der bedeutendste Wirtschaftszweig des Landes. Er erbringt ein Drittel der Exporterlöse. Doch seit zehn Jahren stagnieren die Fangmengen, bei den meisten Arten gehen sie sogar zurück. Wie es um die Bestände steht und wie streng die Fangmengen begrenzt werden müssten, weiß aber niemand genau, weil öffentliche Mittel für wissenschaftliche Analysen fehlen. Fischer und Frauen aus dem Sektor bestätigten aber, dass die Fänge drastisch zurückgehen. Und sie betonen, dass Beobachter von außen viel zu wenig unterscheiden zwischen den verschiedenen Arten, die in ihren Gewässern gefischt werden, und für wen sie welche Bedeutung haben.

Autor

Francisco Mari

ist Referent für Agrarhandel und Fischerei bei „Brot für die Welt“.

Drei Gruppen von Fisch sind für die Wirtschaft und die Ernährungssicherheit im Senegal von Bedeutung: Die sogenannten demersalen Arten, zu denen die meisten Edelfische, also Doraden, Barsche, Hechte und Seezungen,sowie der Tintenfisch gehören. Sie sind auf den europäischen Fischmärkten besonders begehrt. 80 Prozent des Bestandes machen jedoch die pelagischen Arten aus: Sardellen, Stöcker, Heringe. Sie sind für den Export weniger attraktiv, spielen aber für die Ernährung der Senegalesen eine wichtige Rolle. Die dritte Gruppe sind die Thunfischschwärme, die weit von der Küste entfernt gefangen werden.
Die Flotte der Europäischen Union (EU) hatte bis 2006 den wertvollen Edelfisch abgefischt – kaum kontrolliert und subventioniert mit den Millionen öffentlicher Gelder, die die EU für die Lizenzen an den Senegal zahlte. Dieser Fisch wurde dadurch so teuer und selten, dass die Bevölkerung und die Kleinfischer, die ihn kaum noch in ihren Netzen fanden, öffentlich protestierten und Druck auf die Regierung entfachten, kein neues Abkommen mit der EU zu unterschreiben.

Wer aber glaubte, damit würde sich die Minderheit der Pirogen, die auf den für den Export bestimmten Fisch spezialisiert sind, das Geschäft nur noch mit den alten einheimischen Industriebooten teilen müssen, sah sich getäuscht. Denn nach nur einem Jahr kehrten die EU-Schiffe in den Senegal zurück, vornehmlich im Besitz spanischer Reeder – ganz legal. Heute liegen diese hochmodernen Fangboote, deren Bau einst von der EU subventioniert wurde, nämlich mit senegalesischer Flagge im Hafen von Dakar vor Anker. Möglich wurde dies durch das Umwandeln der spanischen Flotte in sogenannte Gemeinschaftsunternehmen (Joint-Ventures). 51 Prozent des Kapitals muss dabei einem senegalesischen Geschäftspartner gehören. Die wirklichen Besitzverhältnisse sind mit Hilfe von Strohmännern leicht zu verschleiern und die Gewinne können einfach nach Europa transferiert werden. Mehr noch: Die EU hat, um ihre heimische Fischfang-Flotte zu verkleinern, diese Ausflaggungen jahrelang mit Subventionen gefördert und sich dafür gelobt, dass sie auf diese Weise ihre Flottengröße der Überfischung ihrer Gewässer anpassen konnte.

Von den etwa 80 industriellen Fangschiffen, die im Senegal registriert sind, fahren mehr als die Hälfte für fünf dieser Gemeinschaftsunternehmen. Solange sie Umsatzsteuer zahlen, belangt sie niemand oder fragt, wie viel sie mit welchen Fangtechniken fangen. Der große Unterschied zur senegalesischen industriellen Fischerei mit ihren 30 Kuttern besteht darin, dass der Fisch zwar, wie gesetzlich vorgeschrieben, im Hafen angelandet, jedoch nicht vor Ort verarbeitet wird. Er wird tiefgefroren, in Kühlcontainer geworfen und nach Spanien transportiert. Die senegalesischen Verarbeitungsfabriken mit ihren tausenden Arbeitsplätzen gehen leer aus. Sie werden nur von den maroden eigenen Schiffskuttern beliefert – oder aber von den Pirogen, die sich auf Edel- und Tintenfisch oder Krabben und Hummer spezialisiert haben.

Rund ein Viertel der registrierten Pirogen versucht inzwischen, in diesem lukrativen Exportgeschäft mitzumischen. Ein Drittel der Edel- und Tintenfische, die exportiert werden, stammen aus handwerklicher Fischerei. Hier mitzumischen verursacht hohe Kosten: Die Investitionen für das Boot, die Netze und den Motor belaufen sich auf rund 10.000 Euro. Bei jeder Ausfahrt müssen das Essen für mehrere Tage, das Eis zum Kühlen und Treibstoff bezahlt werden; manchmal auch ein zweites Versorgungsboot, das den ersten Fang an Land bringt und mit neuer Verpflegung und Treibstoff wiederkommt. Für den pelagischen Fang ist das nicht nötig, weil man nicht so weit rausfahren muss.

Die Überfischung der Edel- und Tintenfische gefährdet die Bestände. Die neue senegalesische Regierung weiß, dass sie, wenn die verschwänden, die hohen Deviseneinnahmen aus dem Fischexport verlieren würde. Sie will nun damit beginnen, alten, nicht nachhaltig fischenden einheimischen Fischkuttern die Fanglizenz zu entziehen. Vor allem aber sollen die Lizenzen der reichen senegalesischen Investoren eingezogen werden, die nicht aus der Fischerei kommen. Ihr einziges Interesse ist es, in möglichst kurzer  Zeit ihre Investition zu versilbern und sich dann, wenn Pirogen und Motoren verschlissen sind, ein neues Anlagefeld zu suchen. Sowohl die Fanggeräte als auch die Fangmethoden ihrer Boote sind oft ungesetzlich und machen weder vor Jungfisch noch Schutzzonen halt.  Man vermutet, dass inzwischen die Mehrzahl der Pirogen solchen „Heuschrecken“ gehört. Ihre Methoden gefährden auch das Abkommen des Senegal mit der EU, das die Einfuhr illegalen Fangs nach Europa kontrollieren und verbieten soll.

Die senegalesischen Fischer-Vereinigungen befürworten strengere Maßnahmen gegen solche Geschäftsleute und fordern auch, strenger gegen die illegale Fischerei vorzugehen. Denn häufig dringen ausländische Fangboote aus dem Küstengebiet der Nachbarländer, für die sie Lizenzen haben, illegal in senegalesische Gewässer ein – meist nachts und ohne Positionslichter, damit sie von Satellit oder Radar unerkannt bleiben. Auch das Gebaren der Gemeinschaftsunternehmen, ihren Fang im Ausland zu verarbeiten, wird zunehmend von den einheimischen Fischereiunternehmen kritisiert. Müssten die „spanischen“ Joint-Ventures ihren Fang im Senegal verarbeiten, würde das dort die Wertschöpfung steigern und  viele Arbeitsplätze erhalten oder schaffen. 

Das gleiche gilt für den Thunfisch. Eigentlich ist seine Anlandung in den Lizenzverträgen vorgeschrieben, damit die Dosenfabriken in Dakar beliefert werden. Aber obwohl die offiziellen Statistiken Anlandungen verzeichnen (2010 waren es 10.000 Tonnen), werden seit dem Auslaufen des EU-Abkommens 2006 kaum Thunfischtrawler am Hafen von Dakar gesehen. Oder sie laden den Fang sofort in Container für Las Palmas um.
Alle diese fragwürdigen und teils illegalen Praktiken von Fangbooten mit europäischer Flagge oder in europäischem Teilbesitz wären nach dem Vorschlag der EU-Fischereireform in Zukunft nach europäischem Recht verboten. Es ist allerdings fraglich, wie das neue EU-Recht gegenüber den Schiffseignern durchgesetzt werden soll. Eine europäische Staatsanwaltschaft für Fischereifragen ist nicht vorgesehen – immerhin hat Interpol nun eine Abteilung für Fischereikriminalität.

Aber auch die Kleinfischer müssen ihren Teil beitragen, die Überfischung zu stoppen. Für die senegalesische Bevölkerung sind Holzmakrelen, Sardellen und andere Heringsarten (die pelagischen Arten) wegen ihres großen Angebots und niedriger Preise besonders wichtig. Alles andere können sich nur wenige und höchstens an Festtagen leisten. Die pelagischen Bestände waren bis vor kurzem nur in den 1970er und 1980er Jahren für ausländische Flotten interessant. Damals hatte eine riesige sowjetische Flotte große Mengen in ganz Westafrika zu fangen und noch an Bord zu Fischmehl und Fischöl zu verarbeiten: für den Proteinbedarf in der sowjetischen Landwirtschaft und in der weltweit einsetzenden Aquakultur.

Damit war in den 1990er Jahren zunächst Schluss. Die senegalesische Regierung subventionierte die Motorisierung der eigenen handwerklichen Fischerei, damit die Bevölkerung eiweißreichen Fisch zu essen bekam. Auch der Kauf von Netzen und anderem Fischereimaterial wird gefördert. Seitdem ist die Zahl der Pirogen laut Angaben des Fischereiministeriums auf rund 8000 gestiegen – die Weltbank kommt in einer Untersuchung auf die doppelte Zahl. Auf jeden Fall sind es zu viele, wenn die Bestände nicht überfischt werden sollen. Und diese Pirogen haben nichts mehr mit dem romantischen Einbaum früherer Jahre zu tun. Bis zu zehn Tonnen Fisch täglich kann ein 20 Meter langes Boot mit einem 75 PS starken Motor und 20 Leuten an Bord anlanden.

Das Fischen für den täglichen Bedarf ist nur noch von Einbäumen oder vom Ufer aus erlaubt

Der Generalsekretär des westafrikanischen Fischereiverbandes CAOPA, Gaussou Gueye, fordert daher, auch für auf pelagischen Fang spezialisierte Pirogen die Fanglizenzen zu reduzieren. Exemplarisch haben einige Fischergemeinschaften angefangen, selbst ihre Fänge und Ausfahrten zu verringern, etwa in Kayar nördlich von Dakar. Niemand darf hier mehr als 50 Kilogramm Edelfisch täglich anlanden, es darf nur jeden zweiten Tag ausgefahren werden und ein Teil der Einnahmen kommt einer Kasse für schlechte Zeiten zugute. Gefischt wird mit Langleine, einem für den Fischbestand und die Umwelt schonenden Verfahren. Wer sich nicht daran hält, bekommt in Absprache mit den Behörden ein Bußgeld oder die Gemeinschaft verhindert für einige Tage die Ausfahrt, indem sie das Boot zurückhält.

Darüber hinaus haben Fischergemeinschaften vor einigen Jahren, meist ohne Hilfe von außen, begonnen, die ihnen gut bekannten Aufzuchtgebiete zu schützen. Eine Gruppe junger Fischer hat etwa das große Mangrovengebiet um Joal südlich von Dakar, einen Laichplatz für viele Arten, zur Meeresschutzzone erklärt und mit Bojen markiert. Das Fischen für den täglichen Bedarf ist nur noch von Einbäumen oder vom Ufer aus erlaubt. Es ist nicht leicht, das Geld für Benzin und Reparaturen aufzubringen und mit wenigen Motorbooten die 175 Quadratkilometer große Zone zu überwachen und vor dem Eindringen von Industrieschiffen, aber auch vor den eigenen Kollegen zu bewahren. Noch kassiert der Staat die Bußgelder, die erhoben werden dürfen. Aber die Gruppe erhält finanzielle Unterstützung von anderen Fischern, denen klar geworden ist, wie wichtig langfristig der Schutz der Jungfische ist: Längst verschwunden geglaubte Arten landen nun wieder in ihren Netzen. Auch die Küstenwache unterstützt inzwischen die Überwachung. Hilfsorganisationen wie der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) haben Digitalkameras mit GPS zur Verfügung gestellt, damit die illegalen Eindringlinge mit ihren Bootsnummern und ihrer Position fotografiert und anhand dieses Beweises verurteilt werden können.

Die größte Gefahr droht der handwerklichen Fischerei noch immer von den Flotten der Industrieländer. Der steigende Bedarf nach billigem Fischmehl für die stark wachsenden Aquakulturen fördert den Konkurrenzkampf um die pelagischen Arten. Im Senegal tauchten in den vergangenen drei Jahren wieder russische und baltische Fangboote auf der Jagd nach billigem Fisch auf, bestückt mit illegalen Lizenzen der inzwischen abgewählten korrupten Regierung unter Abdoulaye Wade. Der Widerstand der Bevölkerung, Fischunternehmen, Verbraucher, Fischer und Frauen aus der Fischverarbeitung hat die neue Regierung gezwungen, die Lizenzen zurückzunehmen.

Wenn der Fisch nicht eines Tages verschwinden und die ohnehin schwierige Ernährungssituation in der Region sich weiter verschlechtern soll, müssen sich alle an seinem Schutz beteiligen, betont Gaossou Gueye von CAOPA: „Wir als Kleinfischer müssen unseren Teil der Verantwortung übernehmen und zeigen, wie nachhaltiger Fischfang geht. Dann können wir glaubwürdig von unserer Regierung, der EU und anderen verlangen, dass sie unser Recht auf einen privilegierten Zugang zu unseren Fischressourcen garantieren.“

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erschienen in Ausgabe 10 / 2012: Spuren des Terrors
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