Stadt ohne Land

Der honduranische Präsident Porfirio Lobo will die wirtschaftliche Entwicklung seines Landes mit Hilfe von „Charter Cities“ voranbringen. Der Reichtum und die Rechtsstaatlichkeit solcher unabhängig regierten Modellstädte sollen auf ganz Honduras ausstrahlen und Armut und Missmanagement überwinden helfen. Soweit die Theorie. Die Landrechte des indigenen Volks der Garífuna tritt der Präsident dabei mit Füßen.

"Lasst uns zusammen träumen“, hatte Präsident Porfirio Lobo bei der Vorstellung des Projekts vor zwei Jahren gesagt. „Stellen wir uns gemeinsam das Land vor, das wir gerne hätten. Eine Modellstadt, einen Diamanten in Honduras.“ Einen Ort, an dem Rechtssicherheit herrsche und Freiheit des Unternehmertums, an dem es keine Kriminalität gebe und Krankenhäuser und gute Schulen für alle, und alle, die dort wohnen und arbeiten, erhielten einen guten Lohn.

Honduras ist dieser Ort ganz gewiss nicht: Mit 86 Morden pro 100.000 Einwohnern im Jahr ist das zentralamerikanische Land außerhalb von Kriegsgebieten das gefährlichste der Welt. Polizei und Justiz sind durch und durch korrupt, weit mehr als die Hälfte der acht Millionen Einwohner sind arm. Und doch meint es Lobo ernst. Er brauche nur tausend Quadratkilometer, auf denen „derzeit rein gar nichts passiert“, dann könne der Traum Wirklichkeit werden.

Autoren

Cecibel Romero

ist freie Journalistin in San Salvador.

Toni Keppeler

ist freier Journalist und berichtet für mehrere deutschsprachige Zeitungen und Magazine aus Lateinamerika.

Hongkong ist sein Vorbild oder Singapur, „wo auf 27 Quadratkilometern 5,5 Millionen Menschen leben und ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 40.000 US-Dollar haben“. Die Honduraner kommen nicht einmal auf 4000 Dollar im Jahr. Wenn sie Lobo glauben, müssen sie nur noch ein bisschen warten. Auch die Wirtschaftszone Shen-zhen in China sei „in wenigen Jahren aus einem verschlafenen Fischerdorf entstanden“. Zehn Millionen Menschen wohnen und arbeiten dort und so viele, sagt Lobo, hätten auch in seiner ersten Modellstadt Platz.

Das größenwahnsinnig anmutende Projekt ist inspiriert von einem kühl denkenden Wirtschaftsprofessor. Paul Romer vom Stanford Institute for Economic Policy Research ist seit drei Jahren umgetrieben von einer Idee, die er „Charter Cities“ nennt: Städtische Entwicklungspole, mit denen die Armut aus der Welt verbannt werden soll. Der jungenhaft wirkende 57-Jährige mit der sauber gescheitelten Bubenfrisur ist in Fachkreisen 1990 durch sein so genanntes Romer-Modell bekannt geworden, bei dem es um die möglichst schnelle Umsetzung von Forschung in marktfähige Produkte geht. Das Time-Magazine führte ihn in jenen Jahren auf der Liste der 25 einflussreichsten US-Amerikaner. Kein Leichtgewicht also. Heute ist er Lobos Berater beim Aufbau der weltweit ersten Charter City. Er hat den Präsidenten schon nach Singapur und Südkorea begleitet, um Investoren für das Projekt anzulocken. Mit Erfolg: Anfang September haben die Regierung und eine Gruppe internationaler Investoren eine Absichtserklärung unterschrieben, laut der an der karibischen Küste die weltweit erste Charter City errichtet werden soll.

Romer fasst seine Idee in einem Satz zusammen: „Kanada entwickelt ein Hongkong in Kuba.“ Anders gesagt: Ein armes und ineffektiv verwaltetes Land übergibt die Souveränität über ein Stück menschenleeres Gebiet an einen hoch entwickelten Staat und der errichtet darauf nach seinen Regeln eine moderne Industriemetropole. Reichtum und Rechtsstaatlichkeit dieser Enklave strahlen dann aus, eine Charter City regt den Bau der nächsten an, bis Armut und Missmanagement überwunden sind.

Natürlich soll so eine Stadt verkehrsgünstig gelegen sein, die dort produzierten Waren müssen schnell auf den Markt. Lobo hat den idealen Standort schon gefunden: Die Gegend zwischen den Hafenstädten Trujillo und Puerto Cortés an der karibischen Küste. Das sei gewissermaßen der Mittelpunkt der Welt, erklärt ein Werbeprospekt für das Projekt; nur zwei Flugstunden von den USA entfernt oder drei Tage mit dem Schiff. Von China braucht ein Frachter drei Wochen bis in die Vereinigten Staaten. Und wie einst in Shenzhen ist auch an dieser Küste heute ein verschlafenes Fischerdorf.

Mit seinen 10.000 Einwohnern ist El Triunfo de la Cruz fast schon ein kleines Städtchen. Es ist heiß dort, die Schotterstraßen sind breit und staubig. Die eingeschossigen Häuser bestehen aus Holz oder bunt verputzten Hohlblocksteinen, die Dächer aus Zinkblech. Ein paar stehen auf Stelzen, wegen des vielen Wassers in der tropischen Regenzeit, das die Pfützen schnell zu kleinen Teichen wachsen lässt. Wenige Hütten sind noch traditionell gebaut, mit Wänden aus Bambus und Dächern aus Palmstroh. Sie gruppieren sich um kleine Freiflächen, auf denen die Nachbarn hocken und schwatzen. Schreiner arbeiten auf der Straße und vorne am Strand, wo das karibische Meer träge am feinen Sand leckt, liegen einfache Kähne, daneben spielen junge Männer Fußball. Ihre Haut ist dunkelbraun oder schwarz.

El Triunfo de la Cruz ist eine der größten Siedlungen der Garífuna, einer ethnischen Minderheit in Honduras, die aus dem Zusammentreffen entlaufener Sklaven und den inzwischen ausgestorbenen Kariben entstanden ist. Sie lebten zunächst auf den kleinen Antillen und wurden von den britischen Kolonialherren wegen ihrer Aufmüpfigkeit vor 215 Jahren an die honduranische Karibikküste deportiert. Damals war diese Gegend nur ganz dünn besiedelt. Heute sind die Garífuna im Weg.
„Wir sind besorgt um unser Land“, sagt Secundino Torres, der Vorsitzende des Komitees zur Verteidigung des Landes in El Triunfo de la Cruz. „Wir führen einen Kampf gegen den Staat.“ Fünf Mitglieder seines Komitees seien in den vergangenen Jahren ermordet worden, nachts von bezahlten Killern. Er selbst hat einen verkrüppelten Arm von einem Angriff mit einer Machete und „viele, sehr viele waren schon im Gefängnis“. Torres sitzt auf einem ausgeleierten Plastikstuhl im Schatten vor dem Tante-Emma-Laden, den seine Frau betreibt. Er ist klein und faltig. Beim Lachen werden seine geröteten Augen groß und rund, und er zeigt seine schlechten Zähne. Er war lange weg, als Matrose, wie viele Männer aus dem Dorf. Sie fahren zwanzig oder dreißig Jahre zur See und kommen dann abgeschafft und ausgemergelt zurück.

Die Garífunas leben schon immer mit dem Meer. Sie wurden gewissermaßen aus dem Ozean geboren, ihre Geburt lässt sich genau datieren: 1655 sanken vor der kleinen Karibik-Insel St. Vincent zwei spanische Schiffe, beladen mit Sklaven aus Afrika. Die Insel hieß damals noch Yolome und war eine neutrale Zone im karibischen Gerangel der Kolonialmächte England, Frankreich, Spanien und Holland. Die Schwarzen, die sich nach dem Schiffsbruch nach Yolome retten konnten, flohen ins Hinterland und vermischten sich dort mit den einheimischen Kariben. Sklaven, die von den Zuckerrohrplantagen der Nachbarinseln geflohen waren, kamen dazu.

Bis heute sprechen die Garífuna neben Spanisch ihre eigene Sprache, in der Linguisten außer dem Ursprung in der Karibensprache Arawak Einflüsse von Suaheli, Yoruba und Bantu, aber auch von Englisch, Französisch und Spanisch festgestellt haben. Ihre vom Katholizismus übertünchte Religion ähnelt dem Voodoo-Kult von Haiti, ihre Punta genannte Musik erhebt sich über dem Rhythmus vieler Trommeln. So hartnäckig, wie sie an ihrer Kultur festhalten, sträubten sie sich auch gegen die Kolonialherrschaft der Engländer, als diese 1775 St. Vincent einnahmen. 1797 wurden sie deshalb deportiert und kamen am 12. April im Hafen von Trujillo an. Historiker schätzen, dass es um die 5.000 Männer, Frauen und Kinder waren, die damals die honduranische Karibikküste besiedelten.

Heute gibt es 43 Garífuna-Gemeinden in Honduras. Dazu kommen sechs in Belize, zwei in Nicaragua und eine in Guatemala. Zusammen- genommen leben dort rund 200.000 Menschen, traditionell vom Fischen und vom Landbau. Der Boden und sein Ertrag sind genauso wie die Fänge bis heute Gemeineigentum. „Das Meer ist unser Vater, das Land unsere Mutter“, sagt Secundino Torres. Dieses Elternpaar will er verteidigen.

Vor hundert Jahren wurde unser Land an die Bananenkonzerne verschenkt“, fasst er die Geschichte seines Volks in Honduras zusammen. „Dann kamen die großen Viehzüchter, und vor 15 Jahren die Tourismusindustrie.“ Nach dem verheerenden Wirbelsturm Ende 1998 und den von ihm angerichteten Milliardenschäden vergab die Regierung freizügig Baugenehmigungen an der Küste, egal, ob dort Garífunas siedelten oder nicht. „Und heute wirft der Präsident unser Land den internationalen Konzernen hinterher.“

In der Regel ist das rechtlich kein Problem. Die Garífuna kennen keinen privaten Landbesitz. Im Katasteramt ist der Boden der Gemeinde zugeordnet und die Grenzen sind dabei meistens ganz eng um die besiedelte Fläche des Dorfes gezogen. Das Umland aber, das die Bewohner für den Landbau brauchen, gehört in diesen Fällen dem Staat. „El Triunfo de la Cruz ist eine von nur vier Garífuna-Siedlungen, die in langen Jahren des Kampfes durchgesetzt haben, dass auch das Umland zur Gemeinde gehört“, sagt Secundino Torres stolz.

Doch ein Landtitel allein ist in Honduras wenig wert. Man kann ihn rechtlich erkämpfen, man kann aber auch einfach einen Beamten bestechen, um ihn zu bekommen. Oder man kann die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern. Im Jahr 2000 hat die Regierung den gesamten Küstenstreifen vom Dorf bis zur Gemeindegrenze zum Naturschutzgebiet erklärt. Die Garífuna dürfen dort kein Palmstroh mehr für die Dächer ihrer Häuser holen und auch das Fischen ist verboten. Miguel Facussé hingegen, der reichste Unternehmer des Landes und einer der Financiers des Militärputschs von 2009, hat mitten in diesem Naturschutzgebiet die Genehmigung für den Bau eines großen Anwesens bekommen. Für einen Hubschrauber-Landeplatz durfte er sogar Wald roden und einen Berg einebnen. Natürlich hat er wie die Garífuna einen Besitztitel für das Land.

Ein weiterer Unternehmer darf ein Strandhotel errichten. Er ließ rund um das Gelände eine Mauer ziehen. „Er wollte uns den Zugang zum Strand verwehren“, sagt Torres. „Da haben wir im September vergangenen Jahres 200 Meter einfach niedergerissen.“ Die Trümmer sind noch immer zu besichtigen. Seither herrscht Ruhe an dieser Front. Vorläufig. Wenn Präsident Lobos Charter City konkreter wird, erwartet Torres, dann gebe es erst richtig Streit.

Lobos Mann für dieses Projekt ist Octavio Sánchez, der Chef seines Kabinetts im Ministerrang. Der schüchtern wirkende Mitvierziger empfängt in der Hauptstadt Tegucigalpa im Präsidentenpalast, im Vorzimmer des Saals, in dem montags der Ministerrat tagt. „Wir werden Stabilität schaffen mitten in der Instabilität“, sagt er sanft. Kapital werde ins Land strömen, aus Armut werde Reichtum und die erste Modellstadt werde den Anstoß zur Gründung von weiteren geben. „In dreißig Jahren wird die Mehrheit der Honduraner in solchen Zonen leben. Sie werden besser ausgebildet sein und besser verdienen und niemand wird mehr in die USA auswandern.“

Der rechtliche Rahmen dafür ist schon geschaffen. Im Dekret 123 von 2011 werden Lobos Modellstädte „besondere Entwicklungszonen“ genannt, mit dem spanischen Kürzel RED. Sie sind vollkommen abgekoppelt vom Rechtssystem von Honduras, die Regierung von Tegucigalpa darf sich nicht in ihre inneren Angelegenheiten einmischen. Die Regierung ist eine Kommission aus neun Mitgliedern, die dann einen Gouverneur ernennt. Nur die Gründungskommission wird von Lobo berufen und ersetzt dann ausscheidende Mitglieder selbst. Ihre Nationalität spielt keine Rolle. „Wir stellen uns vor, dass ein paar Nobelpreisträger dabei sind und weltweit angesehene Unternehmer“, sagt Sánchez.

Eine RED hat ihre eigene Verwaltung, ihre eigene Gerichtsbarkeit und Polizei, ein eigenes Bildungs- und Gesundheitssystem. Sie ist zollfreies Gebiet und betreibt eine eigene Steuerpolitik. Von den Einnahmen wird nichts an Honduras abgegeben. Der Gouverneur kann internationale Verträge abschließen, Wirtschaftskonsulate im Ausland eröffnen und von Ausländern für einen Besuch ein Visum verlangen. Für Honduraner genügt für den Grenzübertritt im eigenen Land ein Personalausweis.

Demokratische Wahlen sind nicht vorgesehen. So eine Sonderzone wird gemanagt wie eine Aktiengesellschaft. Den Chefplaner Sánchez stört das nicht. „Niemand wird gezwungen, in einer RED zu leben“, sagt er. Aber was ist mit den Menschen, die jetzt schon dort leben, wo die erste Modellstadt entstehen soll? Sánchez weicht aus und verrät lieber nicht, wo genau die erste Charter City aus dem Boden wachsen soll. Die Werbeprospekte für potenzielle Investoren sind da konkreter: Zwischen den Hafenstädten Puerto Cortés und Trujillo. Mitten drin liegt El Triunfo de la Cruz. Inzwischen ist die geplante Charter City auch von anderer Seite in die Kritik geraten: Nach Unterzeichnung der Absichtserklärung zwischen Regierung und Investoren Anfang September monierte die international besetzte Transparenzkommission, die das Projekt überwachen soll,  sie sei in die Verhandlungen nicht einbezogen worden. Ihr Vorsitzender Paul Romer hat sich vom Vorgehen der Regierung Lobo deutlich distanziert. 

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erschienen in Ausgabe 10 / 2012: Spuren des Terrors
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