„Unerwünschte Wirkungen im Blick haben“

Ob Kampf gegen Kinderarbeit oder die Aufklärung über HIV/Aids: Auch die Advocacy-Arbeit muss sich fragen lassen, wie und ob sie ihre Ziele erreicht. Franziska Krisch von der Stuttgarter Beratungsfirma FAKT hat für „Brot für die Welt“und seine Partner die erste Handreichung zur Wirkungsorientierung für Advocacy im deutschsprachigen Raum entwickelt. Sie erklärt, wo die gröbsten Fallstricke liegen.

Frau Krisch, es gilt als besonders schwierig, den Erfolg von Advocacy zu messen. Warum?

Bei Advocacy geht es oft um Konflikte. Widerstreitende Parteien kämpfen um Einfluss. Deshalb ist es wichtig, nicht nur die eigenen Aktivitäten zu beobachten, sondern auch das, was andere machen. Außerdem sind die Ziele meist nicht direkt zu erreichen. Wenn etwa eine Organisation eine Gesetzesänderung durchsetzen will, kann sie zunächst in einer Studie Probleme und Lösungsansätze aufzeigen. Sie kann die Studie über die Medien bekannt machen. In einer Demokratie kann sie Parlamentarier einladen und ihnen die Studie vorstellen. Doch die nächsten Schritte zur Gesetzesänderung müssen andere tun, zum Beispiel die Abgeordneten. Die Organisation hat keinen direkten Einfluss mehr.

Kann sie trotzdem messen, ob sie ihre Ziele erreicht hat?

Ja, in der Regel schon. Aber es ist schwierig, die Ziele den Maßnahmen zuzuordnen, also nachzuweisen, was zu welcher Wirkung beigetragen hat. Eine gute Recherche und eine sorgfältige Planung sind deshalb sehr wichtig. Oft sehen Organisationen einen Missstand, wollen sofort aktiv werden und legen sich mit mächtigen Gegnern an, mit dem Staat oder mit Unternehmen. Um erfolgreich zu sein, müssen sie aber die unterschiedlichen Interessengruppen und ihre Positionen kennen und überlegen, wie sie sie erreichen können. Und sie müssen verschiedene Wirkungsebenen im Blick haben. Zum Beispiel bei der geplanten Gesetzesänderung: Die Medien haben die Studie aufgegriffen und publiziert, Abgeordnete haben Anträge eingebracht, aber jetzt stockt das Verfahren. Dann kann man zusätzliche Aktionen planen, etwa eine Demonstration, um den Druck zu erhöhen.

Das hört sich ziemlich aufwendig an. Sind die Organisationen im Süden denn bereit, sich darauf einzulassen?

Viele von ihnen sehen darin einen Nutzen. Sie lernen, sich bewusst zu machen, wo sie Einfluss nehmen können, und sich auf ihre Stärken zu konzentrieren. Ich habe in Indien Partner von „Brot für die Welt“ beraten, von denen einige sehr erschöpft waren, weil sie sehr viele unterschiedliche Aktivitäten vorantreiben und dabei manchmal das Ziel aus den Augen verlieren. Für sie war die Wirkungsbeobachtung sehr hilfreich. Aber sie ist natürlich zeitaufwendig. Die Beobachtung von Medien und parlamentarischen Prozessen kann man in den Griff kriegen. Schwieriger wird es bei Prozessen des Bewusstseinswandels und der Verhaltensänderung. Die müssten mit Hilfe von Meinungsforschungsinstituten erfasst werden. Aber das ist teuer, die meisten Organisationen können sich das nicht leisten.

Gibt es andere Möglichkeiten?

Eine Alternative sind eigene Befragungen kleinerer Gruppen, die eine Zielgruppe repräsentieren. Das sind in der Regel acht bis zehn Personen, mit denen man eine strukturierte Diskussion führt, die aber auch miteinander diskutieren sollen, um eine Änderung in ihren Einstellungen und Verhaltensweisen zu erfassen. Zum Beispiel Aids: Wie ändern sich Einstellungen gegenüber der Krankheit, wie ändern sich Praktiken bei der Vorsorge, beim Umgang mit Erkrankten, wie ändern sich Werte oder schädliche Vorstellungen über die Ursachen?

Über welche Fallstricke stolpern die Organisationen bei der Evaluierung von Advocacy am häufigsten?

Das fängt schon bei der Recherche und der Planung an. Man braucht einen Satz von grundlegenden Daten, um Veränderungen zu erfassen. Das ist ein großes Problem in vielen Projekten. Dann muss es jemanden geben, der die Monitoring-Daten zusammenträgt. Und auf der Führungsebene muss eine Person dahinter her sein, dass das auch gemacht wird. Denn es ist ja lästig. Schließlich geht es darum, die Daten zu nutzen. Bei vielen Organisationen werden sie einmal im Jahr herausgekramt, wenn ein Bericht geschrieben werden muss. Das reicht aber nicht. Monitoring-Daten müssen regelmäßig in quartalsmäßigen Besprechungen reflektiert und für Entscheidungen genutzt werden. Das schaffen viele Organisationen nicht.

Bei Advocacy-Arbeit erzielt man manchmal auch Effekte, die gar nicht beabsichtigt waren.

Ja. Ein besonders krasses Beispiel aus Ecuador: In ihrem Kampf gegen Gewalt gegen Frauen hat eine Frauenrechtsorganisation angeprangert, dass Männer ihre Ehefrauen schlagen und verletzen. Einige Männer haben daraufhin nicht etwa aufgehört, zu schlagen, sondern ein Handtuch untergelegt, damit die Spuren weniger sichtbar waren. Manchmal treibt man also Dinge, die bisher offensichtlich waren, in den Untergrund, ohne sie wirklich zu verändern.

Wie kann man solche unerwünschten Effekte besser in den Griff kriegen?

In dem Fall hat man damit begonnen, Männer direkt in die Anti-Gewalt-Arbeit einzubinden. In Konfliktsituation hat sich das„Do no harm“-Prinzip bewährt. Wem könnte man schaden, wenn man eine bestimmte Gruppe fördert? Das muss schon bei der Recherche berücksichtigt werden.

Advocacy-Ziele sind langfristig, Förderungen laufen oft nur über drei Jahre. Wie lässt sich das vereinbaren?

Das ist ein Dilemma. Zum einen muss man sich ein attraktives Ziel setzen, um die Mitstreiter oder das Netzwerk zu motivieren. Zum anderen müssen die Ziele nach den immer strengeren Rechenschaftskriterien realistisch sein. Wenn jemand bei der Konkurrenz um Fördermittel mit einem realistischen, aber nicht attraktiven Ziel kommt und bei einem anderen ist es umgekehrt, kann man sich ausrechnen, wer das Geld bekommt. Eine Organisation sollte deshalb eine langfristige Strategie von etwa zehn Jahren haben und daraus Teilschritte entwickeln. Sie kann nicht sicher sein, über mehrere Teilschritte gefördert zu werden. Aber die Chancen sind mit langfristigem Ziel höher. 

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2012: China: Alles unter Kontrolle?
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