In der Wirklichkeit angekommen

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat im Februar in einem Positionspapier die Kontrolle des Kapitalverkehrs als „legitimes“ wirtschaftspolitisches Instrument bezeichnet. Ökonomen, die der klassischen Theorie anhängen, hoben sogleich mahnend den Zeigefinger: Kapital müsse ungehindert um den Globus fließen dürfen, um dort anzukommen, wo es seine beste Verwendung findet. Wie verbohrt muss man eigentlich sein, um im Jahr 2 nach der Pleite von Lehman Brothers immer noch dieses Hohelied freier Finanzmärkte zu singen?

Mit dem IWF kippt ein wichtiger Pfeiler aus dem Bollwerk, hinter dem sich jene Ökonomen verschanzen, die sich der Realität verweigern und getreu der orthodoxen Lehre – und im Einklang mit den Profiteuren aus der Finanz­industrie – Eingriffe in den Markt für Teufelszeug halten. Dabei ist die Steuerung von Kapitalzu- oder -abflüssen ein Mittel, das spätestens seit den Finanzkrisen in Lateinamerika und Asien in den 1980er und 1990er Jahren überall auf der Welt zur Anwendung kommt und seine Wirkung längst bewiesen hat. Vor allem Schwellenländer schützen sich mit Steuern, Bardepotpflichten oder Mengenbeschränkungen gegen den exzessiven Zufluss vor allem kurzfristiger Anlagen. Sie beugen damit wirtschaftlich schädlichen Währungsaufwertungen vor und verhindern das Entstehen von Finanzblasen, die nach dem Platzen Schuldenkrisen hinterlassen.

Das erkennt nun auch der IWF an, indem er Kapitalverkehrskontrollen nicht nur als legitim bezeichnet, sondern ihnen anhand von Beispielen wie Brasilien, Chile, Kolumbien oder Malaysia auch Wirksamkeit bescheinigt. In Ländern, die schon vor Ausbruch der derzeitigen Krise Kapitalzuflüsse kontrolliert haben, ist die Wirtschaft weniger stark eingebrochen als in anderen, stellt die Forschungsabteilung des Fonds in ihrem Papier fest. Der IWF folgt mit dieser Anerkennung arg verspätet seiner Schwesterorganisation Weltbank: Die hatte vor dem Hintergrund der Asienkrise schon vor zehn Jahren solche Kontrollen als notwendige Maßnahme bezeichnet, solange das internationale Finanzsystem nicht reformiert sei.

Die IWF-Forscher sprechen sich für internationale Regeln für Kapitalverkehrskontrollen aus, um Schäden für andere Länder möglichst klein zu halten. Der Ökonom Dani Rodrik, seit langem ein Verfechter von Kontrollen, fordert darüber hinaus den Fonds auf, selbst Richtlinien zu erstellen, welche Form der Steuerung für welche Länder am besten geeignet ist. Das ist in der Tat überfällig – und entspräche im Übrigen einer Empfehlung der internen Evaluierungsabteilung des Währungsfonds: Die hat den IWF bereits 2005 in einem Gutachten aufgefordert, Ländern mit Kapitalverkehrskontrollen bei der Prüfung zu helfen, ob diese ihr Ziel erreichen und wie sie verbessert werden könnten.

Der Fonds wäre gut beraten, dem zu folgen. Den ersten Schritt hat er getan, indem er die Steuerung von Finanzströmen nicht mehr ideologisch verdammt. Im Lager der Marktradikalen werden langsam die Argumente knapp. (ell)

 

 

erschienen in Ausgabe 4 / 2010: Globale Eliten - Von Reichtum und Einfluss
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