Der König von Togo

Faure Gnassingbé
Die Präsidentschaftswahlen im westafrikanischen Togo sind nach bekanntem Muster abgelaufen: Der Amts­inhaber hat Proteste unterdrückt und seine Gegner ausgespielt.

Am 25. April haben in Togo die lang erwarteten Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Wenig überraschend hat der Amtsinhaber Faure Gnassingbé Eyadéma gewonnen und bleibt für fünf weitere Jahre Staatsoberhaupt. Die Wahl war ursprünglich für 8. März geplant und zweimal verschoben worden. Diese Verschiebungen können als verräterisches Zeichen für Unsicherheit im Lager des Präsidenten gedeutet werden. Zugleich zeigen sie aber, wie politische Zermürbungskriege geführt und gewonnen werden: Bis endlich abgestimmt wurde, welkte die Opposition vor den Augen der Wähler dahin.

Faure Gnassingbé besaß die direkte Kontrolle über das Verfassungsgericht, das Entscheidungen über die Wahl trifft. Und er nutzte den Faktor Zeit, der in der Politik oft ausschlaggebend ist, um die Kandidaten der Opposition zu schwächen und um Wahlmüdigkeit in den Reihen der politischen Gegner und bei den Wählerinnen und Wählern zu erzeugen.

Der Verein Le Balai Citoyen (der Bürgerbesen) ist ein Beispiel dafür. Er trat 2014 auf die politische Bühne – dem Beispiel einer ähnlichen Bewegung in Burkina Faso folgend – und forderte ein Ende der „demokratischen Diktatur“ und der Sitte, dass machthungrige Politiker ihre Mandate über zwei Amtszeiten hinaus endlos verlängerten. Le Balai Citoyen entwickelte sich schnell zu einer bekannten Graswurzelbewegung mit gewichtiger Stimme. Er wollte verhindern, dass der amtierende Präsident für eine dritte Amtszeit kandidieren dürfte.

Anfangs verschaffte Le Balai Citoyen sich damit erfolgreich Gehör. Die Hoffnung in Togo war groß, hatte doch der nördliche Nachbar Burkina Faso auf diese Art Präsident Blaise Campaoré zum Rückzug gedrängt. Im November 2014 gingen in Lomé Demonstranten auf die Straße. Ihre wichtigste Forderung war die Rückkehr zu der Verfassungsreform, für die das togoische Volk 1992 in einem Referendum gestimmt hatte.

Doch als die Wahl näher rückte und die Kampagnen auf Hochtouren liefen, fielen Oppositionsparteien, Menschenrechtsorganisationen und andere prodemokratische Bewegungen nach und nach auseinander. Le Balai Citoyen hatte mit internen Querelen zu kämpfen. Dass innerhalb der Bürgerbewegung ein Streit um Legitimität ausbrach, muss als Sieg für Gnassingbé gedeutet werden. Die Glaubwürdigkeit von Le Balai Citoyen wurde empfindlich angekratzt, ihr Zusammenhalt erschüttert und die Führungsriege löste sich mehr oder weniger auf. Das zeugt davon, wie wirksam erfahrene Politiker alle Versuche untergraben können, die Muster der Politik in solchen Pseudo-Demokratien wirklich zu verändern.

Der lange Weg zur Demokratie

Dem Konflikt liegt eine langjährige, aber bis jetzt eher fruchtlose Debatte zwischen dem Präsidenten und der Wählerschaft zugrunde über die Bedeutung und die praktische Gestaltung von Demokratie im postmodernen und postkolonialen Afrika. Die 1990er Jahre waren, mit Ausnahme der Unabhängigkeitskriege selbst, eine der turbulentesten Zeiten auf dem Kontinent. Sie brachten in manchen Ländern Reformen, die die verfassungsmäßigen Institutionen stärkten und Spannungen in der Gesellschaft entschärften.

Demokratiebewegungen entstanden im damaligen Zaire und der Zentralafrikanischen Republik, in Gabun, in Benin, Togo und anderen Ländern. Sie prangerten nicht nur die Verschwendungssucht und die fehlende Rechenschaftspflicht ihrer politischen Führer an, sondern auch die Tatsache, dass die nachkolonialen politischen Ordnungen sich als Wege zur lebenslangen Regentschaft entwickelt hatten. Die Macht wurde konzentriert in den Händen einiger weniger Personen, die Monarchen ähnelten und ihre Privilegien rücksichtslos und gewaltsam durchsetzten. Zwar wurden in regelmäßigen Abständen „demokratische“ Wahlen abgehalten, doch das Ergebnis war immer das Gleiche: Die amtierenden Präsidenten wurden wiedergewählt.

Togo erlangte traurige Berühmtheit aufgrund der Meisterleistung seines früheren Präsidenten Gnassingbé Eyadéma. Der Vater des gegenwärtigen Staatsoberhauptes konnte sich trotz massiver Proteste von prodemokratischen Bürger- und Menschenrechtsbewegungen an der Macht halten. Über viele Jahre rieben sich diese demokratischen Kräfte mehr und mehr auf. Ihr Abnutzungskampf forderte unzählige Tote. So wurden Berichten zufolge Mitte der 1990er Jahre mehrere Dutzend Oppositionelle auf offener See versenkt, ihre Leichen wurden später an der Küste des benachbarten Ghana angespült.

Dennoch wurden auch Verfassungsreformen auf den Weg gebracht. Am 27. September 1992 hatten die Togoer in einem nationalen Referendum unter anderem für das Recht votiert, ihre Führer demokratisch zu wählen, sowie für die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf nur zwei Mandate zu je fünf Jahren. Doch selbst danach schaffte es Eyadéma der Ältere, Wahl für Wahl zu gewinnen; internationale Beobachter konnten sich darüber nur erfolglos beschweren. Er hatte sich unverzichtbar gemacht, indem er es schaffte, ethnische Spannungen einzuhegen und seine politischen Gegner in Institutionen der Macht einzubinden, sodass es unmöglich wurde, sich ungestraft gegen die Regierung zu äußern. Das prominenteste Beispiel war, dass Gnassingbé der Ältere 1991 den Menschenrechtsanwalt und Leiter der Togoischen Liga für Menschenrechte, Joseph Kokou Koffigoh, zum Premierminister ernannte und damit aus seinem früheren Arbeitsfeld herauslöste. Die Armee spielte eine große Rolle im dafür nötigen Überzeugungsprozess.

Als Gnassingbé der Ältere 2005 starb, konnte er die Krone des am längsten amtierenden Präsidenten der afrikanischen Geschichte für sich beanspruchen: Er hatte das Amt 38 Jahre innegehabt. Damit schlug er sogar den Rekord des berüchtigten Diktators Mobutu Sese Seko in Zaire. Seinen Tod sahen viele als Chance, aufs Neue politische Reformen in die Wege zu leiten und die von 1992 wiederzubeleben. Obwohl sie so unverhohlen missachtet wurden, gelten sie heute noch als Meilenstein auf dem langen Weg Togos zur Demokratie. Die Hoffnung war weit verbreitet, dass endlich ein rechtmäßig gewählter Präsident eingesetzt würde.

Wie der Vater, so der Sohn

Doch es sollte anders kommen. Sofort nach Gnassingbé Eyadémas Tod verfügte die Armee – die traditionell die meisten ihrer Offiziere aus der ethnischen Gruppe des verstorbenen Präsidenten rekrutierte –, dessen Sohn Faure Gnassingbé sollte ihm nachfolgen. Die Afrikanische Union und andere einflussreiche Organisationen wie die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (Ecowas) und die Europäische Union (EU)  protestierten öffentlich dagegen. Sie erklärten das Vorgehen für illegal und für gleichbedeutend mit einem Putsch. Faure Gnassingbé trat zurück, wurde aber zwei Monate später, im April 2005, mit überwältigender Mehrheit und mit Unterstützung der Armee zum Präsidenten gewählt. Diese Wahl verurteilten Oppositionsführer und die Vereinten Nationen (UN) weithin als undemokratisch. Laut den UN haben unverhältnismäßige Militär- und Polizeieinsätze im Umfeld des Urnengangs rund 500 Tote gefordert.

Jetzt, zehn Jahre später, hat Faure Gnassingbé die Forderungen ignoriert, sich an die Begrenzung seiner Amtszeit zu halten. Nur wenige Tage vor dem zunächst angekündigten Wahltermin stellte er dem Verfassungsgericht seine Kandidatur vor. Das führte Anfang März zu Protesten und Streiks im ganzen Land. Hochschulmitarbeiter gingen auf die Straße und lösten eine Solidaritätsbewegung unter ihren Studenten aus. Doch all das hatte man in Togo bereits zuvor erlebt: Forderungen der Wähler nach mehr Freiheit und einen geschickten Zermürbungskrieg der Machthaber. Faure Gnassingbé verschob die Wahlen mit dem Argument, die Lage sei zu instabil für einen Urnengang. Der 15. April wurde als neuer Termin festgelegt.

Zehn Tage später war es schließlich soweit. Faure Gnassingbé gewann laut dem Verfassungsgericht unangefochten mit mehr als zwei Dritteln der Stimmen. Sein Hauptgegner Jean-Pierre Fabre trat an für Combat pour l’Alternance Politique en 2015 (CAP 2015, Kampf für eine politische Alternative 2015), eine Koalition von Oppositionsparteien, und erzielte offiziell rund 35 Prozent der Wählerstimmen. Er erklärte sich nach der Wahl zum wahren Sieger einer angeblich von Betrug, Korruption und Hinterhältigkeit geprägten Abstimmung. Dennoch kündigte er an, keinen Einspruch gegen die Feststellung des Verfassungsgerichts einlegen zu wollen. Das zeigt, wie verfahren die Lage ist: Fabre wirft dem Verfassungsgericht vor, nicht mehr zu sein als eine Institution in der Händen der Regierenden mit dem Zweck, deren Beschlüsse abzusegnen. Deshalb legt er keine Beschwerde ein – sonst müsste der Gerichtshof gegen seine eigene Arbeitsgrundlage vorgehen.

Der lange Schatten der Armee

Eine der Kräfte hinter der politischen Bühne ist die Armee. Ihr Schatten fällt auf alle politischen Geschäfte, aber ihre Rolle wird nie offengelegt. Im herrschenden Kräfte-Gleichgewicht scheint ihre Unterstützung unverzichtbar zu sein, um die politische Szene zu steuern. Gleichzeitig muss die Truppe aber in Schach gehalten werden, um einen Militärputsch und eine Militärdiktatur zu vermeiden. So schloss sich nach Faure Gnassingbés Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2010 der damalige Führer der größten Oppositionsparty, der legendäre Gilchrist Olympio, der Regierung an. Seine Parteikameraden von der UFC, die das völlig unvorbereitet traf, verurteilten das scharf. Einige politische Strategen verteidigten Olympio jedoch: Er schaffe damit ein Gegengewicht zur Macht der Armee über den Präsidenten. Damals hieß es, wenn diese Koalition scheitere, erhalte die Armee mehr Macht und das würde die fragilen demokratischen Institutionen weiter schwächen. Nicht alle hat das überzeugt. Jean-Pierre Fabre, damals Generalsekretär der UFC, erklärte: Die Partei des Präsidenten „ist die Partei des Militärs. Wir können nicht von geteilter Macht sprechen, wenn in Togo in Wahrheit die Armee die Macht hat.“

Auch die Rolle der ethnischen Politik – die Mobilisierung mit Bezug auf die Volksgruppen – erschwert die Aufgabe der Opposition. Zu Zeiten von Gnassingbés Herrschaft waren die Regeln einfach: Er war 1967 nach einem Militärputsch an die Macht gekommen und herrschte als Oberbefehlshaber der Armee, die von Mitgliedern seiner eigenen ethnischen Gruppe dominiert wurde, den Kabiyé aus dem Norden Togos. Die Front zwischen regierungstreuen Gruppen aus dem Norden und der oppositionellen Ethnien aus dem Süden schien ziemlich klar. Faure Eyadéma ist indessen der Sohn von Gnassingbé und einer Ewe-Frau aus dem Süden. Das hat er als Trumpf zu seinem Vorteil genutzt, um die mehr oder weniger klaren Frontlinien der Unzufriedenheit zu verwischen. Die Opposition kann die ethnische Karte nicht mehr mit derselben Wirkung ausspielen.

Autorin

Nadia I. Lovell

ist promovierte Anthropologin und freie Autorin. Sie hat unter anderem das Buch „Cord of Blood: Possession and the Making of Vodun“ vorgelegt. Nilovell@yahoo.com
Von der Wahl 2010 bleibt in Erinnerung, dass die wichtigste Oppositionspartei UFC sich im Inneren zerstritt und zersplitterte. Ihr damaliger Generalsekretär Jean-Pierre Fabre gründete eine neue Partei, bevor er sich der CAR (Comité d’Action pour le Renouveau, Aktionskomitee für die Erneuerung) anschloss, dem heute größten Zusammenschluss der Oppositionsparteien. Sie bestand bereits, als Olympio zur Regierung überlief, damals allerdings noch als lose Gruppierung.

Vor dem Urnengang am 25. April hatten die Oppositionsparteien ein Netzwerk unabhängiger Wahlbeobachter eingerichtet. In 26 der 42 Wahldistrikte stellte es keine größeren Regelwidrigkeiten fest. Doch in den übrigen 16 Distrikten – allesamt Hochburgen des Amtsinhabers – beobachteten sie erhebliche Betrugsversuche, die den Ausschlag zu seinen Gunsten brachten. Bei Umfragen in den 26 betrugsfreien Distrikten erklärte die CAP, sie habe die Wahl mit 52 zu 44 Prozentpunkten gegen Gnassingbé gewonnen. Doch Beobachter der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der Europäischen Union und den Vereinten Nationen, hatten keine eindeutigen Verstöße registriert. Somit werden die Zahlen, nach denen Faure Gnassingbé der Sieger ist, Bestand haben.

Anscheinend festigt sich in Togo eine politische Dynastie, deren Macht jetzt 48 Jahre währt und immer weiter wächst. Sie hat den Staat und seine Behörden – einschließlich jener, die eigentlich unabhängige Wächter der Verfassung sein sollten – so fest im Griff, dass sich niemals eine aussichtsreiche Opposition herausbilden kann. Dass die Gegner des Präsidenten einen Mangel an Erfahrung offenbaren, unterstreicht ihre Schwächen. Bündnisse mit dem Präsidenten werden geschlossen, nur um kurze Zeit später wieder zu zerbrechen. Zurück bleiben enttäuschte und am Ende gleichgültige Wähler. Es scheint, als ob die Debatten unter Dissidenten sich im Kreis drehen, ohne dass eine langfristige Lösung in Sicht kommt. Doch andererseits: Wo Politik als Maskerade betrieben wird, kann auch der Zufall eine wichtige Rolle erhalten, wenn es darum geht, Macht auszuüben.

Aus dem Englischen von Hanna Pütz

 

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erschienen in Ausgabe 6 / 2015: Indien: Großmacht im Wartestand
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