Einsatz ohne Plan

Im April wurden auf die Bundeswehr die zwei bisher schwersten Angriffe in Afghanistan verübt – insgesamt sieben deutsche Soldaten starben. Seitdem wird in Deutschland immer lauter nach der Strategie für Afghanistan gefragt. Klare Antworten sind Mangelware, wie eine Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum zwischen den beiden Angriffen gezeigt hat.

Einen sofortigen Abzug der Bundeswehr verlangte niemand – auch nicht die Vorsitzende des Bundes für soziale Verteidigung, Ute Finckh-Albrecht, oder der Friedensbeauftragte des Rates der EKD, Renke Brahms. Zu groß ist offenbar die Angst, Afghanistan dann einem neuen Bürgerkrieg zu überlassen. Umgekehrt konnten aber Politiker, Soldaten und Fachleute wenig Zuversicht verbreiten, dass mit dem gegenwärtigen Vorgehen das Land stabilisiert werden kann. Nach den Beschlüssen von London Anfang des Jahres sollen zunächst internationale Truppen unsichere Gebiete von Aufständischen „säubern“ und halten. Zugleich wolle man afghanische Sicherheitskräfte aufbauen, damit sie übernehmen könnten, und in den gesicherten Gebieten mit einer „Entwicklungsoffensive“ der Bevölkerung sichtbaren Nutzen verschaffen, sagte Thomas Kossendey, der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Das und Reintegrationsmaßnahmen für Aufständische, die die Waffen abgeben, sollten das Land so stabilisieren, dass die fremden Truppen abziehen können.

Ist eine Erhöhung der Entwicklungshilfe sinnvoll?

Martin Kipping, der Afghanistan-Referent im BMZ, und der frühere grüne Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei verweisen auf vielfältige Erfolge beim zivilen Aufbau. Selbst Nachtwei ist aber nicht sicher, dass dies insgesamt mehr bedeutet als Tropfen auf den heißen Stein. Citha Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik, die von April bis Dezember 2009 beim Sondergesandten der EU in Kabul gearbeitet hat, lehnt die geplante Verdoppelung der deutschen Entwicklungshilfe ab, da das Geld gar nicht sinnvoll ausgegeben werden könne und nur die tief verwurzelte Korruption fördern werde. Damit überschätzt sie laut Kipping allerdings die Probleme beim Abfluss der Hilfsgelder. Maaß fordert weiter, alle Entwicklungsmaßnahmen so anzulegen, dass sie von afghanischen Stellen fortgeführt werden können – die internationalen Truppen wollten ja bald abziehen. Hilfsprojekte, die auf schnelle Wirkung zielen, um die Bevölkerung zu gewinnen, seien nicht mehr angebracht.

Für Roderich Kiesewetter, Oberst a. D. und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, sind die Beschlüsse von London „eher neue Methoden – die Strategie hat sich nicht geändert“. Er fordert eine Debatte über die Gesamtstrategie statt nur über den Bundeswehreinsatz: Wie sollen afghanische Institutionen übernehmen können, wer soll ihre Sicherheitskräfte später bezahlen, wie gewinnt man zu Hause Unterstützung für den Einsatz? Ein Lagezentrum auf der Ebene des Kanzleramtes sei nötig, da die beteiligten Ressorts dem Bundestag bisher kein Gesamtbild lieferten.

Die Frage nach Verhandlungen mit Aufständischen und Wegen zu einer akzeptierten politischen Ordnung bleibt in Loccum unbeantwortet. Für den Journalisten Andreas Zumach haben aber die militärischen Mittel, die nun verstärkt werden, bisher versagt. Für den zivilen Aufbau – nicht zuletzt die Polizei – sei zu wenig getan worden. Und Entwicklungserfolge erforderten nicht nur Sicherheit, sondern auch die Überwindung der Drogenökonomie. Friedel Eggelmeyer, der Leiter der neuen, auch für Afghanistan zuständigen Abteilung im BMZ, teilte diese Problemanzeigen. Entwicklungshilfe könne Legitimität für den Staat schaffen, aber nicht kritische Gebiete befrieden, sagte er und räumte ein, er habe keine Lösung zur Hand. Doch der Londoner Ansatz sei die letzte Chance: „Wenn er nicht erfolgreich sein wird, dann war es das.“ Düstere Aussichten für die Afghanen. (bl)

 

erschienen in Ausgabe 5 / 2010: Menschenrechte - Für ein Leben in Würde
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