Verlustreiche Ernte

Purity Mwaniki verliert bei jeder Maisernte bis zu zehn Prozent ihres Getreides: Es wird von Schädlingen gefressen oder fällt dem Pilzbefall zum Opfer. So wie der Kenianerin geht es vielen Bauern in Afrika. Ihnen mangelt es vor allem an geeigneten Lagerstätten und Transportmöglichkeiten für ihr Getreide – und häufig auch an Anreizen, etwas gegen die Verluste zu unternehmen.

Wie Purity Mwaniki würden unwillkürlich wohl viele handeln, wenn sie das Feld der 57-jährigen Bäuerin im kenianischen Distrikt Nyahururu, 140 Kilometer nördlich der Hauptstadt Nairobi, abernten müssten. Mama Mwaniki schneidet die Maisstauden mit der Machete und gruppiert sie zu Bündeln, die danach wie spitze Hüte alle zehn Meter aufrecht im Feld stehen. Die selbstbewusste Frau trägt einen beigen Pullover und eine Perücke mit glatt gestrichenen Haaren. Sie erklärt, die Erntearbeiter hätten es leichter, wenn sie die Maiskolben an den Bündeln brächen statt von ungeschnittenen Stauden. Dies erspare ihr Lohnkosten. „Außerdem“, fügt sie hinzu und greift zum beliebtesten Argument aller Bauern,„haben wird das hier in der Gegend schon immer so gemacht.“

Maisbündel, die im offenen Feld stehen, sind in Kenia und anderswo jedoch eine der häufigsten und folgenschwersten Ursachen für die Vergeudung von Grundnahrungsmitteln auf dem Weg von der Ernte zu den Konsumenten. Finn Davey, ein kenianischer Landwirt und Umweltexperte, dessen Organisation Wajibu MS Kleinbauern über ökologisch angepasste Anbaumethoden berät, schätzt, dass die Nachernteverluste um etwa ein Drittel verringert werden könnten, wenn die Fruchtstände direkt von den Maisstauden geerntet würden. Mit den Bündeln täten die Bauern nur den Ratten, Würmern und Ameisen einen Gefallen. Wenn es dann noch über die Erntezeit hinaus regne wie in Kenia im vergangenen November, kämen weitere Verlustursachen wie Fäulnis, Pilzbefall und Schäden durch Vögel hinzu.

Autor

Markus M. Haefliger

ist Afrika-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung und lebt in Nairobi.

Mit dem Maisfeld, das ein Drittel der Fläche ihres Hofs von zwei Hektar ausmacht, will Purity Mwaniki, deren Mann in der Stadt arbeitet, Geld verdienen. Auf den übrigen Wiesen und Beeten pflanzt sie Kartoffeln, Gemüse und Früchte vorwiegend für den Eigenbedarf. Die Bäuerin ist sich des Risikos von Nachernteverlusten durchaus bewusst. Im besten Fall, glaubt sie, könne sie einen Maisertrag von 40 Säcken à 90 Kilo erwirtschaften. Tatsächlich verliere sie jedoch drei, in nassen Erntejahren vier Säcke.

Als wichtigste Ursache nennt Purity Mwaniki Schädlinge und den Pilzbefall. Sie gibt zu verstehen, dass sie in den kritischen Erntemonaten aus einer Reihe von schlechten Möglichkeiten auswählen muss. Lässt sie den Mais an den Stauden, machen sich Vögel und Ameisen darüber her, und die Lohnkosten steigen. Bündelt sie die Stauden, drohen Regen und durchziehende Elefantenherden. Lagert sie den Mais zu früh ein, werden die Kolben ein Opfer des Pilzbefalls.

Ihre Dilemmas sind noch milde im Vergleich zu denjenigen des reicheren Nachbarn, der mehrere Hektar mit Mais bepflanzt. Solange die Methoden gleich bleiben, vergrößert sich mit der Anbaufläche auch die Anfälligkeit für Verluste. So mietet der Nachbar einen Pflug mit Traktor und zur Erntezeit eine Dreschmaschine. Er warte meist wochenlang auf die Maschinen und könne weder zur besten Zeit säen noch ernten, sagt Purity Mwaniki. Bei der Aussaat im letzten April habe der Nachbar den ersten Regen verpasst, und vor der Ernte stünden seine Maisbündel ein, zwei Monate im Feld. Finn Davey schätzt, dass sich die Nachernteverluste in diesem Fall auf 25 Prozent summieren.

Das Problem wird vernachlässigt

Der Direktor für Anbau im kenianischen Landwirtschaftsministerium, Johnson Waithaka, nennt die ungünstige Zeitwahl für Aussaat und Ernte sowie die Tatsache, dass die Fruchtstände etwa bei der Bündelung der Stauden im Feld häufig mit dem Boden in Kontakt kommen, als Hauptursachen der Nachernteverluste bei Mais. Die Ausfälle ziehen in Kenia, wo 90 Prozent der Bevölkerung auf Mais als Grundnahrungsmittel angewiesen sind, beträchtliche wirtschaftliche Schäden nach sich. Trotzdem wird die Problematik von Verantwortlichen und den Medien kaum aufgegriffen, im Unterschied etwa zur Verbesserung von Sorten, der Verbreitung von Düngemitteln und Saatgut und anderen Maßnahmen zur Produktionssteigerung.

Auch internationale Organisationen haben sich zuletzt wenig darum gekümmert, nachdem noch in den 1970er Jahren die UNWelternährungsorganisation Lösungsvorschläge im Zusammenhang mit Nachernteverlusten als dringlich bezeichnet hatte. Erst der Preisanstieg bei Grundnahrungsmitteln 2008 und im vergangenen Jahr brachte die Problematik erneut auf die Tagesordnung.

Laut einem Bericht der Weltbank über Nachernteverluste in Afrika südlich der Sahara ist das Ausmaß der Ausfälle, die Kleinbauern durch falsche oder mangelhafte Erntemethoden erleiden, größtenteils nicht belegt. Das African Postharvest Losses Information System (APHLIS), eine von der EU-Kommission mit afrikanischen Regionalorganisationen und Agrarforschungsinstituten erstellte Datenbank, geht von vermeidbaren Ausfällen zwischen Ernte und Verarbeitung von zehn bis 20 Prozent aus. Dies entspricht einem kontinentweiten wirtschaftlichen Schaden von vier Milliarden US-Dollar pro Jahr, knapp 15 Prozent des Produktionswerts der Landwirtschaft. Mais, der 40 Prozent der Getreideproduktion in Afrika ausmacht, gilt als anfälliger als die Hirsesorten Sorghum und Millet (je rund 20 Prozent der Produktion). Am höchsten, aber nicht dokumentiert, sind die Nachernteverluste bei Gemüse. Der Agronom Jan Helsen vom Regionalbüro der FAO in Nairobi schätzt sie auf bis zu 50 Prozent.

Laut der Weltbank setzen in Kenia fehlende oder mangelhafte Lagerung von Getreide den Kleinbauern am meisten zu (34 Prozent der Nachernteverluste), vor Wetterschäden (28 Prozent), Verlusten beim Transport sowie Schädlingen (je 17 Prozent). Bei mittleren und großen Betrieben verursachen dagegen schlechtes Wetter und Schädlinge höhere Verluste, während die Folgen falscher Lagerung abnehmen oder ausbleiben.

Feuchte Luft im Speicher

Die riskante Lagerung lässt sich auf dem Bauernhof von Purity Mwaniki beobachten. Eigentlich sollten Fruchtstände fachgerecht so getrocknet werden, dass keine Schäden entstehen und der Feuchtigkeitsgehalt auf unter 13 bis 15 Prozent sinkt; bei Werten darüber steigt das Risiko des Pilzbefalls. Zur Hälfte der Erntezeit hat Mama Mwaniki rund anderthalb Tonnen Maiskolben im Speicher gleich neben dem Wohnhaus eingelagert. Die Fruchtstände sind trocken und wären zum Abtransport bereit, aber die Bäuerin will drei bis sechs Wochen warten, bis sie die Ernte an einen Zwischenhändler verkauft.

Die Kolben füllen den knapp bemessenen Raum bis einen halben Meter über den Boden. Die Luft im Speicher ist spürbar feucht, was das Risiko von Pilzbefall erhöht. Finn Davey schätzt, dass Purity Mwaniki von der Einlagerung bis zum Verkauf nochmals fünf Prozent ihrer Ernte verliert. Davey hätte ein patentes Mittel zu empfehlen, mit dem die Verluste auf dem Acker und im Speicher vermindert werden könnten: überdachte Krippen ähnlich unseren Wildfutterkrippen. Aber da es davon ein paar Dutzend pro Hof braucht, lassen sich Bauern nicht leicht von der Investition überzeugen.

Laut dem FAO-Experten Jan Helsen haben Kleinbauern nicht genügend Anreize, um in der Wertschöpfungskette kleine Verbesserungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Was die Trocknung angeht, weisen die Vorteile gar in entgegengesetzter Richtung: Mais wiegt umso schwerer, je feuchter er ist. Der Unterschied kann pro Feuchtigkeitsgrad in einem 90-Kilo-Sack leicht zehn Kilo ausmachen. Unter anderem deshalb verkauft Purity Mwaniki ihre Ernte nicht direkt dem National Cereals and Produce Board of Kenya (NCPB), dessen Außenstellen über Geräte zur Feuchtigkeitsmessung verfügen. Das NCPB zahlt zwar einen um 15 Prozent besseren Preis als Zwischenhändler, verlangt dafür aber einen bestimmten Trocknungsgrad. Zudem müssen die Bauern den Transport selbst organisieren und warten bis zu fünf Monate auf ihren Erlös. Zwischenhändler dagegen nehmen auch den noch feuchten Mais und zahlen sofort. Dazu kommt, dass die Funktionäre des NCPB im Ruf stehen, die Feuchtigkeitsmessungen zu verfälschen, um Großhändlern und sich selber korrupte Zusatzgewinne zuzuschanzen: Sie attestieren der Ernte einen höheren Feuchtigkeitswert und damit niedrigere Qualität, als sie tatsächlich hat, und zahlen den Bauern zu wenig.

Wenn Getreide in einem regenreichen Jahr mit Aflatoxin verseucht wird, einem krebsfördernden Nebenprodukt von Pilzbefall, dann können sogar ganze Ernten abgeschrieben werden. Eine von der Gates-Stiftung finanzierte Studie des International Food Policy Research Institute (IFPRI) kam vor einem Jahr zum Schluss, dass die Aflatoxinverseuchung in Kenia weiter verbreitet ist als angenommen. Laut der Studie weisen 30 bis 40 Prozent der Maisernten von Kleinbauern Aflatoxinmengen auf, die über dem für die menschliche Ernährung zulässigen Grenzwert liegen.

Die Studie weist nach, dass die Aflatoxinwerte auf ländlichen Märkten deutlich höher liegen als bei Analysen im Feld. Daraus schließen die Autoren, dass das Getreide bei der Verarbeitung weiter verseucht wird. Als Ursachen werden genannt, dass Bauern den Mais auf dem nackten Boden trockneten, lagerten und dröschen. Dabei erhöhe sich jedes Mal der Pilzbefall und die Bildung von Aflatoxin. Die Verseuchungsgefahr, die in ostafrikanischen Ländern nach langen Regenzeiten wie Ende 2011 die Versorgungssicherheit gefährdet, sollte durch Maßnahmen entlang der ganzen Wertschöpfungskette von der Ernte bis zum Verkauf gebannt werden, heißt es in der Ifpri-Studie. Dazu müssten Bauern, Großhändler, staatliche Beratungsdienste und Regierungen an einem Strick ziehen.

Auch die Weltbank rückt Lösungen entlang der Wertschöpfungskette in den Vordergrund. Verbesserungen beim Anbau, der Ernte, der Trocknung und Lagerung, der Früherkennung von Schäden oder der Verpackung entfalteten ihre volle Wirkung erst dann, wenn sie verknüpft würden, heisst es im bereits zitierten Weltbankbericht. Kleinbauern sollten an die Märkte herangeführt werden. Unter anderem stehen dafür technische Systeme bereit, mit denen sich die Herkunft von Getreide zurückverfolgen lässt, was die Auszahlung von Qualitätsprämien ermöglicht.

Privatunternehmen, beispielsweise Warenhausketten oder industrielle Verarbeiter, die auf zuverlässige Lieferanten angewiesen sind, haben nach Ansicht von Fachleuten bei der Marktintegration afrikanischer Kleinbauern eine wichtige Rolle zu spielen. Im Bereich hochwertiger Agrargüter wie Kakao, Kaffee oder Früchten macht das Prinzip schon länger Fortschritte. Bei Grundnahrungsmitteln bleiben entsprechende Innovationen dagegen noch immer weit hinter den Möglichkeiten zurück.

Tonnenweise Mais liegt auf der Straße

Im ländlichen Kenia trifft man allenthalben auf vergeuderische Methoden, an denen anscheinend niemand Anstoß nimmt. Einige Kilometer vom Hof Mama Mwanikis entfernt muss der Fahrer plötzlich anhalten, weil Feldarbeiter zur heißen Mittagszeit tonnenweise Mais auf die Straße schütten. Der Chef der Gruppe, Daniel King‘on, gibt sich als Besitzer einer Farm von 50 Hektar zu erkennen. Seine Ernte messe jetzt 18 Feuchtigkeitsgrade, das seien einige zu viel, erklärt der Großbauer das grobe Verfahren. Über der Straße liegt der malzige Geruch von feuchtem Getreide. Die Arbeiter lassen die Körner aus Säcken rinnen, während sie den belegten Strassenabschnitt entlang rennen. Danach wenden sie das Getreide, das mit einer ausgelegten Plastikplane nur ungenügend vor den Einwirkungen des Bodens geschützt ist, mit Fußtritten in der Sonne. Neben Bauern schütten in der Gegend auch Zwischenhändler ganze Lastwagenladungen von Mais aus. Als Unterlage dient statt Asphalt oft der erdige Grund von Hinterhöfen oder Dorfplätzen.

Beim Dreschen wird ebenfalls Getreide vergeudet. Im Marktflecken Muthengera im Distrikt Laikipia, 30 Kilometer nördlich von Nyahururu, wirft Joseph Mwangi eine seiner selbstgebauten Maschinen an. Die Kolben, weggeworfene Fahrradachsen, drehen sich in einem von Hand geschlagenen Blechzylinder. Wenn Bauern seine Dienste anfordern, spannt Mwangi drei Esel vor die benzingetriebene Dreschmaschine und zieht von Hof zu Hof. Bei der Demonstration vor seiner Werkstatt zerstieben neben den Hülsen immer auch ein paar Körner, die von Hühnern erspäht und aufgepickt werden. Finn Davey schätzt, dass Mwangis Maschine ein Prozent der Ernte verschleudert. Die Faustregel laute, dass auf dem Land jeder Verarbeitungsschritt ein Prozent Verluste verursache, sagt der Bauernberater. „Je mehr Händler, Drescher und Transporteure, desto mehr geht verloren.“

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erschienen in Ausgabe 3 / 2012: Hunger: Es reicht!
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