„Frauen bekommen die schlechter bezahlten Jobs“

In Südafrika sind seit dem Ende der Apartheid 1994 rund 300.000 Arbeitsplätze in der Landwirtschaft verlorengegangen. Laut neuesten Erhebungen haben 46 Prozent der Farmarbeiterinnen und Farmarbeiter nur noch Teilzeitjobs, die ihnen keine soziale Sicherheit bieten. Vor allem Frauen akzeptieren häufig die schlechten Beschäftigungsbedingungen.

Ihre Organisation unterstützt Landarbeiterinnen. Was machen Sie konkret?

Wir klären die Frauen über ihre Rechte auf und helfen ihnen, sich zu organisieren. Nach dem Ende der Apartheid 1994  hat sich die Gesetzeslage sehr verbessert, so gibt es jetzt Kollektivverhandlungen für den Lohn und Schutz gegen rassische Diskriminierung. Aber die meisten Frauen, die auf Farmen arbeiten, kennen ihre Rechte nicht. Außerdem machen wir Lobbyarbeit bei Regierung und Parlament. Wir versuchen, die Gesetzgebung in landwirtschaftlichen Fragen zu beeinflussen. Wir schicken die Frauen zu ihren Parlamentsabgeordneten, damit sie ihnen von ihren unwürdigen Arbeitsbedingungen berichten. Und wir organisieren die Farmarbeiterinnen, die für höhere Löhne demonstrieren.

Warum werden die Frauen so schlecht bezahlt?

Das liegt zum Teil an den neuen Arbeitsverhältnissen. Landarbeiter werden nicht mehr von den Farmern unbefristet angestellt, sondern über Leiharbeitsagenturen vermittelt. In den vergangenen Jahren hat sich dieser Trend verstärkt. Früher war der typische Farmarbeiter männlich und fest angestellt, heute werden hauptsächlich Frauen beschäftigt, weil die über die Agenturen leichter vermittelt werden und schlechtere Bedingungen akzeptieren. In diesen Arbeitsverhältnissen haben sie keinen Anspruch auf Mutterschutz oder Arbeitslosenunterstützung. Für die Farmer ist das natürlich attraktiv. Die Landarbeit wird feminisiert und zunehmend informeller.

Ist die Leiharbeit das einzige Problem?

Frauen sind in ein patriarchalisches System eingebunden. Das beginnt im Haushalt, wo die Männer den Ton angeben. Oft sind Frauen Opfer von Gewalt, die häufig mit Alkoholmissbrauch oder Drogenkonsum kombiniert ist. Das hat historische Wurzeln. Früher wurde im sogenannten Tot-System, nach dem Afrikaans-Wort für Alkohol, den Landarbeitern ein Teil des Lohnes in Wein ausgezahlt. Das hat die häusliche Gewalt angeheizt. Frauen sind auch sonst benachteiligt. Ein Mietvertrag läuft immer auf den Namen des Mannes. Wenn Frauen von ihren Männern misshandelt werden, sind sie gezwungen zu bleiben, weil sie keinen eigenen Anspruch auf das Haus haben. Frauen bekommen außerdem die schlechter bezahlten Jobs. Männer werden zum Beispiel als Traktorfahrer eingesetzt, Frauen pflücken oder sortieren Obst. Das ist schlechter bezahlt. Aber selbst wenn sie die gleiche Arbeit wie die Männer verrichten, finden die Arbeitgeber Mittel und Wege, ihnen weniger Geld zu geben.

Ist das legal?

Natürlich nicht. Es wird da mit der Stundenanzahl getrickst.

Haben Sie mit Ihrer Lobbyarbeit schon Erfolge erzielt?

Wir haben einiges erreicht. Dank unseres Engagements diskutiert das Parlament ein Gesetz, das die Leiharbeit verbietet oder strengen Regeln unterwirft. Dann haben wir erreicht, dass eine Serie von Vertreibungen schwarzer Farmarbeiter im Stellenbosch-Tal gestoppt wurde. Wir haben alle Beteiligten und die Gemeindeverwaltung zusammengebracht und es gibt da jetzt ein Moratorium.

Wie gehen diese Vertreibungen vor sich? Mit Polizeieinsatz?

Meistens wird die Polizei gar nicht gebraucht. Die Arbeiter sind äußerst gefügig. Wenn der Farmer sagt, sie sollen bis Freitag von seinem Grund und Boden verschwinden, dann gehen sie ohne Protest. Manchmal kommt die Polizei für den Fall, dass es Widerstand gibt, aber ihre Präsenz reicht schon aus, um die Leute einzuschüchtern. Unser Rat ist, nicht zu gehen. Die Familien leben meist schon seit Generationen auf dieser Farm und haben Ansprüche erworben. In sieben von zehn Fällen ist der Farmer im Unrecht. Wenn die Leute aber einmal weg sind, ist es schwierig, ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Seit 1997 gibt es ein Gesetz, das den Landarbeitern Rechtssicherheit verschafft. Zumindest muss der Farmer drei Monate Kündigungsfrist einhalten. Vor 1994 konnte er einfach sagen: verzieht Euch!

In Südafrika ist das meiste Land immer noch in den Händen weißer Farmer. Warum kommt die Agrarreform nicht voran?

Das liegt daran, dass sie schlecht konzipiert ist. Sie beruht auf den Regeln des Marktes. Es muss einen Verkäufer geben und einen Käufer, der sich den Preis leisten kann. Keiner kann die Farmer zwingen, vernünftige Preise zu verlangen. Verschärfend hinzu kommt die Agrarpolitik der Regierung. Sie fördert vor allem die exportorientierte Landwirtschaft. Für Kleinbauern gibt es kaum Förderung. Und von den Subsistenzbauern und den Landlosen geht kaum Druck aus. Deswegen sind bislang nur sechs Prozent der Agrarfläche umverteilt. Das Ziel war, bis 2014 mindestens 30 Prozent zu erreichen. Das ist illusorisch, selbst wenn man jetzt große Anstrengungen unternehmen würde. Unserer Meinung nach muss die gesamte Landreform überdacht werden.

Gibt es keine Möglichkeit, Land zu enteignen?

Nein. Die soziale Funktion des Landes, dass also Eigentümer die Verpflichtung haben, das Land zu bebauen, gibt es in Südafrika nicht. Jemand kann zwei, fünf oder sechs Farmen haben und die sind dann mehrere hundert Hektar groß. Es ist unmöglich, dass einer das alles bearbeitet. Deswegen liegen auch oft drei Viertel davon brach. Der Staat hat aber keine Möglichkeit, da einzugreifen.

Hat die umstrittene Landreform in Simbabwe die Diskussion in Südafrika angeheizt?

Direkt und indirekt, ja. Simbabwe ist wie ein Gespenst, das hinter uns lauert. Die weißen Farmer, das weiße Kapital, die Investoren und die Weltbank leben mit der Bedrohung, „ein Simbabwe“ könnte sich in Südafrika wiederholen. Das soll vermieden werden. Deswegen gibt es eine Landreform. Aber die hat nichts verändert. Und trotz Simbabwe zeigen sich die Farmer nicht kooperativer. Obwohl die Ziele der Landreform sehr konservativ sind, zieren sich die Farmer und machen es den schwarzen Bauern nicht leicht. Und die sind sehr geduldig. Ich frage mich: wie lange noch? Auch der Afrikanische Nationalkongress will keine Verhältnisse wie in Simbabwe, wo wilde Vertreibungen von weißen Farmern zu einer Lebensmittelkrise geführt haben. In Südafrika haben die Farmer erreicht, dass das Land sich selbst versorgen kann und sogar netto exportiert. Das gilt aber nur für das Land als Ganzes. Auf lokaler Ebene ist das anders.

Das Gespräch führte Ralf Leonhard.

Colette Solomon ist Sozialanthropologin und Direktorin der südafrikanischen nichtstaatlichen Organisation „Women on Farms“. 2004 ist daraus eine Gewerkschaft für Saisonarbeiterinnen in der Landwirtschaft hervorgegangen.

erschienen in Ausgabe 8 / 2010: Metropolen: Magnet und Molloch
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