Ausbilden statt ausweisen

Flüchtlinge
In der Schweiz sollen ab 2018 jährlich etwa tausend Flüchtlinge eine sogenannte Vorlehre absolvieren, um Anschluss an den Arbeitsmarkt zu finden. Noch ist allerdings offen, ob die Unternehmen genügend freie Stellen schaffen können.

Schweizer Unternehmen holen jedes Jahr Zehntausende Arbeitskräfte aus dem Ausland, obwohl in der Schweiz tausende erwerbsfähige Flüchtlinge Sozialhilfe beziehen. Justizministerin Simonetta Sommaruga findet das absurd: „Oder will da wirklich jemand ernsthaft behaupten, dass es unter den Flüchtlingen keine entsprechenden Arbeitskräfte gegeben hätte?“, fragte die Bundesrätin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) im Januar beim Asylsymposium in Bern. In der Tourismusbranche etwa wurden 2014 rund 32.000,  für die Landwirtschaft rund 9000 Arbeitskräfte im Ausland rekrutiert. Hier brauche es ein Umdenken, erklärte Sommaruga.

Beide Branchen engagieren sich zwar bereits in Integrationsprojekten für Flüchtlinge, doch das ist kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. So fällt die bisherige Bilanz des vor knapp einem Jahr gestarteten Pilotprojekts des Bauernverbandes ernüchternd aus. Nur rund ein Dutzend Flüchtlinge fand bislang einen Arbeitsplatz auf einem Bauernhof. Besser sieht es in der Gastro- und Hotelbranche aus. Diese bietet bereits seit mehreren Jahren einen eigenen Lehrgang für Flüchtlinge an. Die meisten Absolventen finden anschließend einen Job.

Der bisherige Behördenmarathon entfällt

Künftig soll die Zahl der Lehrstellen für Flüchtlinge stark erhöht werden – und zwar in allen Branchen. Dafür will die Regierung bis zu 54 Millionen Franken (knapp 49 Millionen Euro) investieren. Im Gegenzug spart allein der Bund für jeden Flüchtling, der ein Jahr früher eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, rund 18.000 Franken (gut 16.000 Euro) an Sozialhilfebeiträgen. Die Hürden für die Anstellung von Flüchtlingen sollen ebenfalls gesenkt werden. Bislang brauchten Arbeitgeber dazu eine Bewilligung, was bisher mit einem abschreckenden Behördenmarathon verbunden war. Deshalb holten viele Firmen lieber Personal aus Portugal oder Deutschland. Auch mussten die Flüchtlinge zehn Prozent ihres meist ohnehin schon niedrigen Lohns als Sondersteuer abgeben, was die Motivation bremste, überhaupt einen Job zu suchen. Beide Auflagen sollen nun wegfallen.

2014 hatte nur jeder fünfte anerkannte Flüchtling (Ausweis B) einen gemeldeten Job. Bei „vorläufig Aufgenommenen“ (Ausweis F) lag die Erwerbsquote mit 30 Prozent etwas höher. Ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt ist besonders prekär: Anders als ihr Status vermuten lässt, bleiben 90 Prozent von ihnen langfristig in der Schweiz. Die „vorläufig Aufgenommenen“ machen mit 33.000 Personen etwa die Hälfte der Asylbewerber aus. Ihnen wird kein Asyl gewährt, sie können aber nicht ausgewiesen werden, etwa weil sie unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen.

Der Knackpunkt für das Vorhaben liegt in der Beteiligung der Wirtschaft, denn ohne genügend Lehrstellen und Praktikumsplätze kann es nicht funktionieren. Der Arbeitgeberverband signalisiert Unterstützung, will aber einen direkten Nutzen sehen. Potenzial sieht der Verband im Bausektor, in Teilen der Industrie, im Gastgewerbe, in der Gesundheitsbranche oder im Reinigungsdienst. Die Gewerkschaften begrüßen die Integration von Flüchtlingen, befürchten aber, dass durch das Projekt die Löhne weiter nach unten gedrückt werden.

Immerhin: Seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative, nach der die Zuwanderung begrenzt werden soll, sind die in der Schweiz lebenden Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt gefragter denn je: Denn rein technisch gelten sie jetzt nicht mehr als Ausländer, sondern als Teil des „inländischen Fachkräftepotenzials“, das zunächst ausgeschöpft werden muss, bevor Unternehmen im Ausland Arbeitskräfte rekrutieren.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2016: Flucht und Migration: Dahin, wo es besser ist
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