Freiheit unter Al-Sisi

Christen in Ägypten
In Menschenrechtsfragen sorgt Ägyptens Machthaber Abdelfattah Al-Sisi für negative Schlagzeilen. Die christliche Minderheit aber atmet nach Jahrzehnten der Diskriminierung auf. Der Staat will nun sogar die Kosten für den Wiederaufbau zerstörter Kirchen übernehmen.

Seit der Machtübernahme Al-Sisis im Juli 2013 erleben die Christen in Ägypten eine Charmeoffensive der besonderen Art. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten meint es ein Regime mit der Gleichberechtigung der Religionen offenbar ernst. Spontan und ohne Vorankündigung besuchte Al-Sisi den koptischen Weihnachtsgottesdienst am 6. Januar 2014 und schrieb damit Geschichte. Das hatte vor ihm noch kein Präsident getan. Es blieb nicht bei der Symbolpolitik. Immer wieder gab es seither Entscheidungen zugunsten der christlichen Minderheit. Per Dekret hatte Al-Sisi beispielsweise bestimmt, dass für die Parlamentswahl Ende 2015 nur Parteien zugelassen wurden, die auch christliche Kandidaten in ihren Reihen aufweisen konnten. Im neuen Parlament sind nun 37 der insgesamt 568 Abgeordneten Christen – so viele wie nie zuvor.

Geschichte schrieb Al-Sisi auch, als er für die im Februar 2015 vom Islamischen Staat in Libyen ermordeten koptischen Gastarbeiter eine dreitägige Staatstrauer ausrufen ließ. Für Kopten hatte es diese Ehre bisher nicht gegeben. Der muslimische Ex-General ging sogar noch weiter: Er versprach, dass zum Gedenken an die 21 Männer in Oberägypten eine Kirche gebaut werden solle – auf Staatskosten.

Insgesamt wird beim Kirchenbau besonders deutlich, wie sehr dem Regime an einer Gleichberechtigung unter den Religionen gelegen ist. Bisher war dies der Punkt, an dem die staatliche Diskriminierung der Christen offen zu Tage kam. Genehmigungen für Neubauten, Erweiterungen und selbst für Renovierungen erteilte nur der Präsident. Viele Gemeinden warteten jahrelang auf einen Bescheid, während die muslimischen Nachbarn oft schon nach wenigen Wochen mit dem Bau einer Moschee beginnen konnten. Vor wenigen Monaten hat nun das Oberste Verfassungsgericht festgelegt, dass Kirchen und Moscheen gleichwertig seien und es bei Baubestimmungen keine Unterschiede geben dürfe.

Darüber hinaus hat Anfang April der Oberste Rat für religiöse Angelegenheiten einen Leitfaden zum Schutz von Kirchen angekündigt. Al-Sisi persönlich ließ verlautbaren, dass alle Kirchen, die bei extremistischen Unruhen zerstört worden seien, auf Staatskosten wiederaufgebaut werden sollen.

Und zerstörte Kirchen gibt es am Nil einige. Unmittelbar nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi und der Machtübernahme durch General Al-Sisi im Sommer 2013 zerstörte ein christenfeindlicher Mob landesweit insgesamt 63 Kirchen, Klöster und christliche Einrichtungen. Extremisten warfen den Christen vor, den neuen Machthaber allzu offen zu unterstützen.

Schutz der Minderheiten wird ernst genommen

Es ist nicht das erste Mal im Nahen Osten, dass sich die christliche Minderheit eines Landes hinter den Herrscher stellt. Wie schnell den Christen das zum Fallstrick werden kann, zeigen die Beispiele Irak und Syrien. In beiden Ländern stehen die christlichen Minderheiten heute mehr denn je unter Druck. Im Gegensatz zum Irak und zu Syrien ist Ägypten allerdings kein ethnisch-religiöser Flickenteppich, der nur von einem autokratischen Herrscher mit Zuckerbrot und Peitsche zusammengehalten werden kann. Vielmehr ist das Land mit den 90 Millionen Einwohnern relativ homogen. Der Mehrheitsislam ist fast vollständig sunnitisch und bei den Christen dominieren die koptisch-orthodoxen Christen mit 90 Prozent.

Das Regime begründet seine christenfreundliche Politik auch damit, die nationale Einheit Ägyptens zu wahren. Mit diesem Argument rechtfertigt es allerdings auch das drakonische Vorgehen gegenüber Journalisten und Oppositionellen jeglicher Couleur und billigt es, wenn Ägyptens Justiz im Handstreich Hunderte Muslimbrüder ohne ordentliches Verfahren zum Tode verurteilt. Während die allgemeinen Menschenrechte in Ägypten weniger denn je geachtet werden, wird der Minderheitenschutz offenbar ernst genommen.

Das heißt noch lange nicht, dass die zehn Millionen Christen in dem Land am Nil sich nun alles erlauben könnten. Im Gegenteil: Der Blasphemieparagraph, der jede Beleidigung des Islam ahndet, wird strenger denn je ausgelegt. In einem Verfahren 2014 wurde ein Kopte zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, weil er auf Facebook eine Seite geliked hatte, die Muslime unterstützt, die zum Christentum konvertieren wollen. Laut der Egyptian Initiative for Personal Rights ist die Zahl der Fälle, in denen der Blasphemieparagraph angewendet wurde und zu Gefängnisstrafen führte, von drei im Jahr 2011 auf 21 im Jahr 2015 gestiegen. Dies wird als ein Zugeständnis an die fundamentalistischen Kräfte in der ägyptischen Gesellschaft interpretiert, die missgünstig beobachten, wie die ungeliebten Christen auf einmal vom Staat aufgewertet werden.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2016: Religion: Vom Glauben und Zweifeln
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