Karatekick gegen die Angst

Bangladesch
Frauen in Bangladesch leben gefährlich. Um sie besser zu schützen, müsste der Staat ein paar Gesetze ändern. Aber das reicht nicht.

Sheuli Begum trägt einen blauen, paillettenbesetzten Sari. Sie lächelt, als sie erzählt, warum sie auf dem linken Fuß hinkt. „Ich werde dich töten”, habe ihr Ehemann geschrien, als er sie gnadenlos mit dem Spazierstock seiner Großmutter verprügelte. Die beiden leben mit seiner Familie zusammen. Doch niemand kam ihr zur Hilfe, nicht einmal, als sie blutete, ihr Unterleib von den heftigen Tritten ganz schwarz war und sie nicht mehr gehen konnte. Die Gründe für den Gewaltausbruch: Sheuli Begum wusste von der außerehelichen Affäre ihres Mannes, und ihr Vater konnte die Mitgift nicht zahlen.

Vergewaltigung, Säure-Angriffe, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und religiös begründete Übergriffe: Das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen ist in Bangladesch extrem hoch. Doch nur grobe Gesetzesbrüche wie Vergewaltigung und Mord sorgen für Aufmerksamkeit. Laut der bangladeschischen Statistikbehörde erleben mehr als vier Fünftel der Frauen im Land häusliche Gewalt – doch das wird weitgehend ignoriert. Darunter fällt auch psychischer Missbrauch: Viele Frauen werden unter Druck gesetzt und bedroht, wenn sie versuchen, sich zu wehren.

Gewalt gegen Frauen gibt es in allen Bereichen der Gesellschaft, egal ob im Namen von Kultur, Tradition oder Religion. Oft steht sie in Zusammenhang mit der Mitgift oder der muslimischen Rechtsprechung. Das zeigt, dass Missbrauch fördernde Einstellungen tief in der Gesellschaft verankert sind. Obwohl Bangladesch wirtschaftlich und sozial große Fortschritte gemacht hat, hält sich ein uralter Wert hartnäckig: Die „ijjat“, die Würde der gesamten Familie, wird ruiniert, wenn Frauen sich nicht vor physischen oder sexuellen Bedrohungen schützen können. Alle frischgebackenen Eltern beschäftigen sich deshalb mit der Sicherheit ihrer Töchter und den Möglichkeiten, sie vor sexueller Gewalt zu bewahren. Es ist der Beginn eines Werte-Drills: Töchter lernen früh, dass sie die einzige Hüterin der Ehre, der Würde und der sozialen Stellung der Familie sind.

U. M. Habibun Nessa ist Anwältin am Obersten Gerichtshof in Bangladesch und tritt seit Jahrzehnten für Frauenrechte ein. Sie beobachtet ein Muster in diesem sozialen Verhalten. „In Bangladesch ist der Glaube weit verbreitet, dass der Körper einer Frau unheilig wird, wenn jemand sie vor der Heirat berührt. Das ständige Eintrichtern, dass sie sich selbst vor Gewalt schützen muss, ruiniert ihre Selbstachtung“, sagt sie. Das sei sehr belastend und könne dazu führen, dass eine Frau ihren Handlungsspielraum immer mehr einenge, um nicht an soziale Grenzen zu stoßen.

Die bangladeschische Gesellschaft für Menschenrechte (BSEHR) wertet täglich Zeitungsberichte über Gewalt und Menschenrechtsverletzungen aus. Danach haben laut ihrem Direktor Mostafa Sohel allein im April drei Frauen ihr Leben bei Streitereien um die Mitgift verloren; bei Familienfehden gab es neun Tote und elf Verletzte. Mehr als 34 Frauen wurden vergewaltigt, darunter elf Minderjährige. Sechs wurden Opfer einer Massenvergewaltigung und drei nach der Vergewaltigung ermordet.

Bangladeschs Ministerium für Frauen und Kinder hat eine eigene Abteilung eingerichtet, die sich mit Gewalt gegen Frauen befasst. Landesweit bieten sechs Zentren Opfern von Gewalt medizinische und polizeiliche Hilfe, Rechtsberatung und psychosoziale Rehabilitation an. Doch die Angebote der Regierung reichen nicht aus. Nichtstaatliche Organisationen wie das BSEHR unterstützen die Frauen deshalb zusätzlich mit Kampagnen für Frauenrechte und juristischer Beratung. Hier sucht auch Sheuli Begum Hilfe. Sie trägt ihren besten Sari und hat eine tapfere Miene aufgesetzt. Doch das kann ihren Schmerz nicht verbergen.

0Wir verstehen uns als Vermittler und drängen niemandem eine Entscheidung auf“, erklärt Salma Sultana, die als Anwältin beim BSEHR arbeitet. In Fällen wie dem von Sheuli Begum sei die Organisation jedoch hilflos: Sie will zu ihrem Mann zurückkehren, auch wenn sie dabei ihre Gesundheit riskiert. „Wir können die Situation höchstens für ein paar Monate überwachen, aber dennoch steht ihr Leben auf dem Spiel“, sagt Sultana.

Die Manusher-Jonno-Stiftung (MJF) und ihre 21 Partnerorganisationen helfen Frauen auf eine andere Weise. Sie bieten Selbstverteidigungskurse für junge Mädchen an. „Das ist gerade ein besonders heißes Thema“, erklärt Mitarbeiterin Banasree Mitra Neogi. Frauen würden in Bangladesch schnell zu Objekten degradiert; wenn die Mädchen einen Sport wie Karate ausüben, erhöhe das ihr Selbstbewusstsein. Über sensible Themen wie reproduktive Gesundheit zu reden sei aber nach wie vor schwierig.

Neogi findet es wichtig, auch Männer und Jungen in die Arbeit einzubinden: „Mädchen haben wie alle Menschen das Recht, ohne Angst zu leben. Das sollte stetig in das Bewusstsein unserer patriarchalischen Gesellschaft gehämmert werden“, sagt sie.

Traditionen und Gesetze halten die Frauen klein

Für die Anwältin Habibun Nessa sind Selbstverteidigungskurse alleine keine Lösung. Nicht nur die Familie, auch der Staat bürde Frauen in Bangladesch die Pflicht auf, sich selbst zu schützen: „Dabei ist es doch die Aufgabe des Staates. Was, wenn ich meinen Angreifer gar nicht niederboxen will?“ Der Staat könnte einige der Gesetze ändern, mit denen Frauen unterjocht werden. Denn nicht nur die familiären, sozialen und kulturellen Normen sorgen dafür, dass Frauen kleingehalten, benachteiligt und eher als Besitz statt Familienmitglied wahrgenommen werden.

Eines dieser diskriminierenden Gesetze steht unter Paragraph 312 in Bangladeschs Strafgesetzbuch. Darin geht es um Abtreibung. Frauen dürfen die Schwangerschaft zwar abbrechen, wenn der Fötus die Gesundheit der Mutter gefährdet. Doch der legale Vormund des Fötus – der Erzeuger selbst oder irgendein Mann von der väterlichen Seite – muss zustimmen.

„Was geschieht, wenn das Kind außerhalb der Ehe gezeugt wurde oder wenn die Mutter das Opfer einer Vergewaltigung war? Soll sie dann ihren Vergewaltiger um Erlaubnis für die Abtreibung bitten?“, fragt Habibun Nessa. Sie findet: Alle Gesetze, die Frauen diskriminieren, müssen sofort abgeschafft werden. Darin sind sich auch alle NGOs einig, die für Frauenrechte eintreten.

Doch strengere Gesetze reichen nicht immer. Frauen werden auch an bevölkerten Orten betatscht und gehänselt, und gegen das Starren der Männer hilft oft kein Schleier. Viele Frauen fühlen sich an öffentlichen Plätzen wie Parks oder Bushaltestellen nicht sicher, einfach nur deshalb, weil es nicht genügend Straßenlaternen gibt. Viele Frauen versuchen deshalb mit einfachen Mitteln – wie dem Tragen eines Hidschabs – sich unsichtbar zu machen. Sie meiden es, nachts zu reisen oder bewegen sich nur in Gruppen.

Versandet im Labyrinth der polizeilichen Ermittlungen

Das ist jedoch kein Garant für Sicherheit, wie der Mord an Sohagi Jahan Tanu zeigt. Die Geschichtsstudentin und Kulturaktivistin wurde im März etwa 400 Meter neben ihrem Haus im südöstlichen Bangladesch tot aufgefunden. Ihr Vater entdeckte die Wunden an Hinterkopf und Nase. Erste Berichte in sozialen Netzwerken deuteten darauf hin, dass Tanu vergewaltigt worden war. Das bestätigte auch die örtliche Polizei: Die Ermittler glauben, Tanu wurde nach einer versuchten Vergewaltigung getötet. Allerdings versandeten die Ermittlungen im Labyrinth der polizeilichen Ermittlungen und der Bürokratie.

Im Kampf gegen Gewalt an Frauen spielten die Medien eine wichtige Rolle, meint Anwältin Nessa. Zwar könnten sich Frauen noch verletzlicher fühlen, je mehr sie über gewalttätige Übergriffe lesen. Doch eine ausführliche Berichterstattung auch über soziale Netzwerke könne zugleich dafür sorgen, dass ein ausgeprägteres Bewusstsein entsteht: „Frauen teilen sich mehr mit und tauschen sich zunehmend über Drohungen oder häusliche Gewalt aus“, sagt sie. Das sei Teil der Verarbeitungsstrategie. Soziale Tabus verblassten, und Frauen machten sich weniger selbst für die Gewalt verantwortlich.

###autor###Von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod sind Frauen nicht frei. Damit sich das ändert, muss der  Staat sicherstellen, dass Mädchen Zugang zu Bildung erhalten und ihre Ausbildung abschließen. Vor allem im ländlichen Raum müsse das überwacht werden, fordert Habibun Nessa: „Wir müssen die Einschreibungsquote auf 100 Prozent erhöhen, die Abbruch-Quote auf null senken, und dafür sorgen, dass Mädchen mindestens zehn Jahre zur Schule gehen.“

Wenn Frauen mehr Selbstvertrauen gewinnen, ihre Familie sie unterstützt und sie das richtige soziale Umfeld haben, kommen manche von ihnen vielleicht eines Tages als gefeierte Künstlerinnen, Sportlerinnen oder Anführerinnen einer sozialen Bewegung groß raus. Und sobald sie politisch stärker sind, werden sie auch finanziell unabhängiger. Für Frauen wie Sheuli Begum liegt jedoch die wahre Herausforderung darin, den Bedrohungen und Übergriffen die Stirn zu bieten und ihr Leben weiterzuführen – in all seiner Unsicherheit.

Aus dem Englischen von Hanna Pütz.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2016: Sicherheit: Manchmal hilft die Polizei
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