Warten auf Touristen

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Ethischer Tourismus
Mongolei
Die Mongolei übt sich im nachhaltigen Tourismus. Die Bedingungen in dem asiatischen Binnenstaat sind trotz der kalten Winter gut. Allerdings geht es schleppend voran – und den Gewinn haben selten die Einheimischen.

Das ist nicht Sea World, das ist der offene Ozean.“ Zanjan Fromer von der Stiftung des Reiseveranstalters Ger to Ger zeigt auf die Karte. Das junge Paar stutzt. Ozean? In der Mongolei? Die beiden wollen eine Woche mit Nomadenfamilien in der Steppe verbringen, ohne Reiseleiter und ohne Dolmetscher – und Fromer weist sie mit seinem Ozean-Vergleich darauf hin, dass die Steppe kein Freizeitpark ist. In seinem Büro in der Hauptstadt Ulan-Bator bereitet er das Paar mit einem zweistündigen Vortrag darauf vor. Die wichtigste Botschaft: Sie mögen bitte ihre Erwartungen über Bord werfen. Wenn sie dann noch Respekt gegenüber den Gebräuchen der Gastgeber mitbringen und einige Verhaltensregeln beachten, tragen sie dazu bei, dass auch die Nomadenfamilien von ihrer Reise profitieren.

In den nächsten Tagen wird das Paar von Ger zu Ger – von Jurte zu Jurte – ziehen. Eine Familie bereitet das Mittagessen zu, eine andere organisiert den Transport zu Pferd oder mit dem Ochsenkarren, eine weitere beherbergt die Gäste in einem separaten Ger. Kühe melken, Käse herstellen, Bogenschießen – so werden die Besucher in den Alltag der Familien eingebunden. Dabei verstehen sich die Nomaden nicht als Dienstleister im westlichen Sinne. Nach dem Ende des Sozialismus wurde in der Mongolei erst Anfang der 1990er Jahre die freie Marktwirtschaft eingeführt. Die mongolischen Nomadenfamilien leisteten keinen „Kundenservice“, erklärt Zanjan Fromer. Ihre Gastfreundschaft gegenüber Reisenden sei traditionell sehr ausgeprägt, tief in ihrer Kultur verwurzelt und habe das Überleben in einer rauen Umgebung über Jahrhunderte erleichtert.

Tourismus in der Mongolei ist anders als in vielen anderen asiatischen Ländern. Architektonische Meisterwerke findet man kaum in diesem weiten Land, das vier Mal so groß ist wie Deutschland. Von Karakorum, dem einstigen Zentrum des mongolischen Weltreiches ist wenig übrig geblieben. Erst seit einigen Jahren besinnt man sich  stärker auf die eigene Geschichte. Dem Mongolenherrscher Dschingis Khan werden Denkmäler errichtet, der heilige Berg Burkhan Khaldun, wo er geboren und begraben sein soll, wurde 2015 von der UNESCO zur Welterbestätte erklärt.

Wer heute in die Mongolei reist, kann unter dem „ewig blauen Himmel“ in den Steppen-, Wüsten- und Berglandschaften reiten, wandern oder die Natur fotografieren. Nomaden verschiedener Volksgruppen geben Einblick in alte Traditionen, die noch immer aufrechterhalten werden. Doch auch auf dem Land hat die Moderne Einzug gehalten. Viele Jurten sind mit Solarmodulen und Satellitenschüsseln ausgestattet. Immer mehr junge Leute lernen Englisch. Und es gibt nicht nur mehr Pferde als Einwohner, sondern inzwischen auch mehr Mobiltelefone – allerdings nicht immer Empfang.

Die Mongolei ist wie geschaffen für einen entschleunigten Tourismus. Mit den Nomaden zu Pferd, auf Kamelen, Yaks oder mit Ochsenkarren könnte die Fortbewegung kaum klimaschonender sein. Aus Europa und vielen Teilen Asiens muss man nicht zwangsläufig mit dem Flugzeug anreisen. Die transsibirische Eisenbahn führt von Moskau nach Peking über Ulan Bator.

Zugleich hat sich ein weniger sanfter Tourismus entwickelt, der schon heute empfindliche Ökosysteme schädigt. Der Nationalpark am Khuvsgul-See im Norden der Mongolei war lange nur über unbefestigte Straßen zu erreichen. Mittlerweile ist die Infrastruktur besser und die Besucherzahlen steigen. „Es gibt 36 Touristencamps, und die Leute campen wild rund um den See“, sagt Tsenddavaa Nasanjargal vom Mongolian Natural History Institute. Die Camps verdienen das Geld und das fließt dann zurück nach Ulan Bator.

Das gilt auch in Terelj, einem Nationalpark rund 60 Kilometer nordöstlich von Ulan-Bator. Hierher kommen viele Tages- oder Wochenendausflügler. Der größte Teil des Einkommens aus dem Tourismus geht an die Besitzer oder Manager der größeren Camps und Hotels. In der Regel sind es Unternehmen aus dem Ausland, Einheimische sind kaum beteiligt. In der Saison können sie hin und wieder ein wenig durch den Verkauf von Essen, den Verleih von Pferden oder als Guides verdienen. „Die Familien vor Ort sehen zwar die Touristen, haben aber nichts davon. Einige bekommen Gäste, doch am Ende bleiben ihnen vielleicht zehn Dollar, mehr nicht“, sagt Bayar­suren Yalalt vom Reiseveranstalter Ger to Ger. Die wenigen längerfristigen Tätigkeiten sind Gelegenheitsjobs wie Putzen oder Sicherheitsdienste. Qualifizierte Angestellte und das Führungspersonal stammen in der Regel aus der Hauptstadt.

Die Weltbank hatte 2009 festgestellt, dass der südliche Teil des Nationalparks mit mehr als 80 Camps zwischen den Flüssen Tuul und Terelj vom Tourismus überlastet ist. Der Zustand der Böden hatte sich deutlich verschlechtert, Wege waren erodiert, es gab Schwierigkeiten mit der Müll- und Abwasser­entsorgung. Hinzu kamen soziale Spannungen und Konkurrenz unter den Einheimischen. Hier setzte die Arbeit von Ger to Ger an. Die Mitarbeiter schulten Nomadenfamilien, um sie auf den Umgang mit Gästen vorzubereiten. Der Weg zur Kooperation war lang. Um ihre Probleme konstruktiv zu lösen, habe die Gemeinschaft fünf Jahre gebraucht, sagt Zanjan Fromer – länger als die übliche Finanzierung für solche Projekte. Heute sind die Familien untereinander besser organisiert und sprechen sich ab, wer den Besuchern welche Aspekte ihres Nomadenlebens näherbringt.
Diese Form des Tourismus bringt den Nomaden ein wichtiges Zusatzeinkommen. Einige von ihnen haben ihren Kindern damit eine bessere Ausbildung ermöglicht, andere konnten auch unter widrigen Umständen ihren traditionellen Lebensstil aufrechterhalten. Als viele Züchter in dem besonders harschen Winter 2010 ihr gesamtes Vieh verloren, musste ein großer Teil der Familien mit ihren Jurten in die Hauptstadt ziehen, um zu überleben. Doch Jobs gibt es dort für sie kaum, die Luftverschmutzung ist hoch und die Wasser- und Sanitärversorgung teils unzureichend. Familien, die durch den Tourismus Geld verdient hatten, fiel es leichter, auf dem Land zu bleiben. Sie hatten Erspartes auf der Bank, erhielten Kredite und konnten ihre Herden wieder aufbauen.

Die Wirtschaft in der Mongolei ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen, 2011 mit einer Rekordrate von rund 17 Prozent. Doch weiterhin leben nach dem UN-Bericht über die menschliche Entwicklung 2016 etwa 5,4 Prozent der Mongolen in mehrdimensionaler Armut. Diese Kategorie erfasst Entbehrungen nicht nur beim Einkommen, sondern zum Beispiel auch bei der Gesundheitsversorgung, bei der Qualität der häuslichen Unterkunft, bei der Bildung und beim Lebensstandard. Weitere 15,4 Prozent der Bevölkerung laufen Gefahr, unter die Schwelle zu rutschen. Das gilt besonders für Nomaden, die den Launen der Natur, den Folgen des Klimawandels und der Umweltzerstörung in hohem Maße ausgesetzt sind. Nicht nur den „Dzud“ – einen extrem kalten und oft schneereichen Winter mit Tiefsttemperaturen von bis zu minus 55 Grad Celsius – kann das Vieh kaum überleben. Auch Wald- und Steppenbrände oder Staubstürme können verheerende Schäden anrichten. Früher kam ein „Dzud“ etwa alle zehn bis 20 Jahre vor, inzwischen muss alle fünf bis sechs Jahre damit gerechnet werden.

Auch in einem normalen Winter, in dem die Temperaturen in einigen Regionen einschließlich der Hauptstadt auf bis zu minus 40 Grad Celsius fallen, bleiben die Touristinnen und Touristen weitgehend aus. Die Hauptreisezeit beschränkt sich auf Juni bis August. Viele kleine Reiseveranstalter stellen ihre Angebote im Winter vollständig ein. Mit Arbeitsplätzen im Tourismus lässt sich über die Saison hinaus kaum der Lebensunterhalt decken. Dauerhafte Beschäftigung bietet hingegen die Herstellung von Souvenirs. Verschiedene Genossenschaften und Fairtrade-Initiativen helfen Kleinunternehmen, die Wertschöpfung für ihre Wollprodukte zu erhöhen, und verschaffen ihnen einen Zugang zum Markt. Über Generationen überlieferte Techniken und Design-Elemente mongolischer Kultur werden genutzt, um marktfähige Produkte zu entwerfen.

Um Reisen in die Mongolei auch in der kalten Jahreszeit spannender zu machen, werben Reiseveranstalter gezielt für Feste in verschiedenen Teilen des Landes. Dazu gehört ein Eis-Fest auf dem zugefrorenen Khuvsgul-See im März, im November findet in der Gobi-Region im Süden des Landes ein Kamelfest statt. Dorthin sind Reisen dank des milderen Klimas bereits ab Mai und bis in den Oktober hinein gut möglich. Die Gobi ist Teil des größten Steppen-Ökosystems der Welt und Heimat bedrohter Tiere, darunter wandernder Tierarten wie mongolischer Gazellen, asiatischer Esel und wilder Kamele. Doch ihr Überleben ist durch den großflächigen Abbau von Kohle, Kupfer und Gold gefährdet. Straßen durchschneiden die Wanderungsrouten, der Bergbau gräbt den Tieren das Wasser ab. Die ökologischen Schäden reichen weit über die Abbaugebiete hinaus.

Der Straßenbau folgt dem Bedarf der Bergbauunternehmen. Das nationale Straßen- und Wegenetz ist bislang kaum asphaltiert. Ausbau und Instandhaltung sind teuer, gemessen an den Kosten pro Kopf der Bevölkerung, die nur etwa drei Millionen Einwohner zählt. Die Straßen müssen zudem große Temperaturschwankungen und starken Wind aushalten. So besteht das Verkehrsnetz weitgehend aus unbefestigten Wegen. Derzeit wird mehr in die Infrastruktur investiert, darunter in den Bau eines neuen Flughafens etwa 60 Kilometer südlich von Ulan-Bator, der auch den Tourismus voranbringen soll.

Doch aufgrund häufiger Regierungswechsel fehlt es in der mongolischen Tourismuspolitik an Kontinuität. Der jüngste fand im Juni 2016 mit den Wahlen zum großen Staats-Chural statt, dem mongolischen Parlament. Unter der nun abgelösten Demokratischen Partei (DP) hatte die Mongolei als offizielles Partnerland der Internationalen Tourismusbörse (ITB) Berlin 2015 mit dem Motto „Nomadic by Nature“ um mehr internationale Gäste geworben. Das Ziel von mehr als einer Million Touristen in den nächsten Jahren wird allerdings schwierig zu erreichen sein. Bislang liegen die Zahlen mit einigen Hunderttausend pro Jahr deutlich darunter.

Autorin

Christina Kamp

ist freie Journalistin und Übersetzerin mit Schwerpunkt Tourismus und Entwicklung.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die internationale Lage, etwa in Folge terroristischer Anschläge. Nach einer Studie des Tourismusberatungsunternehmens IPK International beeinflusst die Terrorgefahr das Reiseverhalten von 40 Prozent aller Reisenden weltweit, Menschen aus Asien reagieren demnach besonders empfindlich. Und als nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli viele Flüge über Istanbul gestrichen wurden, litt auch der Tourismus in der Mongolei: Turkish Airlines ist eine der wenigen Fluggesellschaften, die Ulan Bator anfliegen.

Derzeit fordert zudem die wirtschaftliche Flaute in der Mongolei ihren Tribut. Mit dem Bergbauboom 2011 hatte der Geschäftsreiseverkehr zugenommen, seit 2013 geht es wieder bergab. Der Anteil des internationalen Tourismus am mongolischen Bruttoinlandsprodukt lag in den vergangenen Jahren nur zwischen ein und zwei Prozent – dreimal weniger als vor zehn Jahren. Nur etwa ein Viertel bis ein Drittel der internationalen Touristenankünfte entfallen tatsächlich auf Urlauberinnen und Urlauber, die meisten sind Geschäftsreisende. Ferientouristen kamen bislang meist als Pauschalreisende, doch in den vergangenen Jahren reisen mehr Individualtouristen ein. Damit eröffnen sie für kleine lokale Reiseveranstalter wie Ger to Ger neue Chancen. Denn um Land und Leute kennenzulernen, buchen Individualreisende gerne eigens auf sie zugeschnittene Angebote direkt vor Ort.

Für die ländliche Bevölkerung bleibt die Viehzucht die wichtigste Einkommensquelle, vor allem das feine Haar der Kaschmirziege bringt Gewinn. Doch die Ziegenhaltung wirft zunehmend Probleme auf, da sie zur Überweidung weiter Flächen führen kann und die Vegetation langfristig schädigt. Das Zusammenspiel aus nachhaltiger, traditioneller Viehwirtschaft und naturnahem, selbstgesteuertem Tourismus könnte in den ländlichen Regionen der Mongolei ein gangbarer Weg sein. Dabei gilt es, das Potenzial nicht zu verspielen und durch vorausschauende Politik die wertvollen Naturräume, die biologische Vielfalt und das kulturelle Erbe des Landes langfristig zu schützen.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2016: Tourismus: Alles für die Gäste
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