Bomben und Repressionen

Ägypten nach den Anschlägen
Mit Anschlägen will der Islamische Staat einen Keil zwischen Christen und Muslime in Ägypten treiben. Dass das gelingen könnte, glauben die wenigsten. Trotzdem haben viele den Glauben an eine bessere Zukunft für ihr Land verloren.

„Was hat mir schon der Islamische Staat zu sagen? Aber auch bei Präsident al-Sisi höre ich nicht mehr zu.“ Der genervte Ausruf eines Taxifahrers in Alexandria ist keine Einzelstimme. Wer mit Ägyptern spricht, seien es Muslime oder Christen, hört immer wieder das Gleiche: Die Terroristen sollen aus dem Land verschwinden und al-Sisi soll endlich seine Versprechen einlösen. Dass er dies kann und will, stellen viele mittlerweile in Frage, allerdings nur unter der Versicherung, dass die Anonymität gewahrt bleibt. Zu häufig haben in jüngster Zeit Menschen allein aufgrund eines kritischen Facebook-Kommentars Schwierigkeiten mit dem Sicherheitsapparat bekommen oder sind gleich ins Gefängnis gewandert.

Das Miteinander von Islam und Christentum in Ägypten bewegt sich zwischen zwei extremen Polen. Auf der einen Seite führt der Islamische Staat einen immer blutigeren Krieg gegen die Christen im Land. Vor den Anschlägen von Palmsonntag mit mehr als 40 Toten waren bereits im Dezember bei einem Selbstmordattentat in der Kathedrale in Kairo 29 Menschen ums Leben gekommen. Und die Morde an acht Kopten im Süd-Sinai hatten in den ersten drei Monaten dieses Jahres hunderte koptische Familien aus dem Sinai vertrieben. Die offizielle Lesart ist, dass die Islamisten die Christen aus dem Land vertreiben wollen. Sie wollen Rache üben, für deren Unterstützung beim Sturz des Muslimbruders Mohammed Mursi 2013.

Der andere Pol des interreligiösen Zusammenlebens am Nil ist die christenfreundliche Politik des neuen Präsidenten Abdelfattah al-Sisi. Seit seinem Amtsantritt setzt er sich für die Gleichberechtigung der christlichen Minderheit im Land ein. Jedes Jahr besucht er den Weihnachtsgottesdienst in der Kathedrale in Kairo, was kein Präsident vor ihm je getan hat. Zerstörte Kirchen werden mittlerweile auf Staatskosten repariert.

In der Regierung sitzen zwei christliche Minister. Christen bekommen Sonderurlaub, wenn sie nach Jerusalem pilgern wollen. Und vor einigen Monaten hat das Parlament ein Kirchbaugesetz verabschiedet, das den Bau von christlichen Gotteshäusern regeln soll. Christenfreundlicher geht es kaum, könnte man meinen. Und natürlich könnte man vermuten, dass eine solche Politik sich langfristig auf das Miteinander von Christen und Muslimen entspannend auswirkt.

Kein Zugang zum eigentlichen Machtzentrum

Doch das bezweifeln viele. „Das ist alles nur Symbolpolitik, damit die Christen im Land stillhalten und der Westen al-Sisi unterstützt“, sagt der muslimische Anwalt Ahmed K., der für eine Menschenrechtsorganisation arbeitet und wie viele andere nicht möchte, dass sein Name genannt wird. „Wenn al-Sisi es ernst mit der Gleichberechtigung meinen würde, dann müsste er ihnen auch Zugang zum militärischen Sicherheitsrat verschaffen. Das ist das eigentliche Machtzentrum in Ägypten. Dort sitzen aber nur Muslime“, sagt der Anwalt.

Was das Land wirklich brauche, damit Menschen sich aufgrund der unterschiedlichen Religionszugehörigkeit nicht entzweiten, sei eine großangelegte Bildungsreform. „Aber daran hat al-Sisi kein Interesse. Ein dummes Volk kann man leichter regieren“, sagt Ahmed K.

Dem stimmt auch der christliche Arzt Francis B. zu. Er ist in einer Partei aktiv und hat schon politische Ämter bekleidet. „Wenn sich wirklich etwas ändern soll, dann braucht es Bildung. Aber die gibt es in den staatlichen Schulen nicht. In den Schulbüchern steht nach wie vor der gleiche Mist wie eh und je, dass Christen Menschen zweiter Klasse seien.“

Die Revolution zum zweiten Mal verloren

Der Arzt, der in einem eher ländlichen Gebiet nördlich von Kairo arbeitet, hat al-Sisi gewählt, ist jetzt aber bitter enttäuscht. „Er würgt jede Kritik ab. Und seine Politik uns Christen gegenüber ist reines Theater. Allein das Kirchbaugesetz ist eine Farce, weil es viele unklare Formulierungen enthält.“ So dürfe eine Kirche nur gebaut werden, wenn die Gemeinde aus einer angemessenen Zahl Christen bestehe. „Was das heißt, ist nicht klar.“ Der 46-Jährige beobachtet seit einiger Zeit eine zunehmende Islamisierung der Gesellschaft. Fast alle Frauen in den Dörfern, in denen er arbeite, gingen nicht mehr ohne Gesichtsschleier aus dem Haus.

Houda W. aus Heliopolis pflichtet ihm bei. Die 55-jährige evangelische Christin arbeitet für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und geht regelmäßig in eine der großen evangelikal ausgerichteten Kirchen in Kairo. Auf die fundamentalistisch gesinnten Ägypter habe al-Sisi sowieso keinen Einfluss. „Wer sich zu den Muslimbrüdern zählt oder der Zeit unter Mursi nachtrauert, dem ist doch egal, was dieser Präsident sagt. Al-Sisi kann da machen, was er will.“ Auch die zierliche Frau hat al-Sisi gewählt und anfangs an ihn geglaubt. „Nach den Anschlägen in Kairo und auf dem Sinai fingen viele unter uns Christen an, am Präsidenten zu zweifeln. Wenn so etwas passieren kann, dann will er uns nicht wirklich schützen.“ Die Kirchenoberen hielten zwar immer noch zum Präsidenten, doch die Zahl der Skeptiker wachse.  

Der Streit entzweit Familien

Die evangelische Theologin Rima Z. kritisiert, dass Papst Tawadros und die evangelischen Kirchenoberhäupter Präsident al-Sisi so unverhohlen unterstütze. „Die Anschläge können ja auch als eine Folge dieser offiziellen Unterstützung gedeutet werden“, sagt sie und zögert ein wenig, weil ihr klar ist, dass sie kaum die Opfer für das, was ihnen angetan wird, verantwortlich machen kann.

Die Hilflosigkeit, wie es mit Ägypten weitergehen soll, ist überall zu spüren. „Wir haben den Glauben an Revolutionen verloren“, sagt Zina S., Dozentin für Ägyptologie. „Einmal haben die Muslimbrüder uns die Revolution gestohlen, und bei der zweiten hat das Militär die Macht an sich gerissen.“ Die 59-jährige Muslimin hat viel Kontakt zu Christen. Eine ihre Studentinnen wäre beinahe bei dem Anschlag auf die Kathedrale ums Leben gekommen. „Das Schlimme ist, dass gerade von verschiedenen Seiten versucht wird, uns Ägypter auseinanderzubringen. Das geht sogar quer durch die Familien.“

Sie selbst habe auch al-Sisi gewählt, sehe es aber sehr kritisch, wie der Präsident das Land führe. „Das Schlimme ist, dass wir nicht mehr untereinander diskutieren können. Eine langjährige Freundin hat sich von mir abgewandt, weil sie meine Kritik an al-Sisi nicht akzeptieren wollte.“ Durch die massive Wirtschaftskrise sei alles nur noch viel schlimmer geworden. „Jeder ist nur noch damit beschäftigt, wie er seinen Alltag hinkriegt. Wie soll sich da was ändern?“

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