Immer dem Regen nach

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Hirten in Trockengebieten
Bauern und Hirten in Trockengebieten haben ein hartes Los. Doch sie können mit den Tücken der Witterung umgehen – wenn man sie lässt.

Makono Dembele ist Bauer im Herzen von Mali. Seine fünf kleinen Felder liegen einige Kilometer weit auseinander. Im vergangenen Jahr fiel auf drei von ihnen ausreichend Regen zur richtigen Zeit, sie lieferten eine gute Ernte. Auf einem regnete es viel zu stark, die Feldfrüchte verdarben und Dembele musste sie als Viehfutter verkaufen. Das fünfte bekam keinen einzigen Tropfen ab.

Jiima Magadji ist mit drei Neffen und anderen Familien als Hirte im Westen des Niger unterwegs. Vor einiger Zeit lockte sie eine saftige Weide, die nach frühzeitigem Regen gewachsen war, zum Verweilen. Doch es fielen keine weiteren Niederschläge. Nachdem das Vieh das frische Gras verzehrt hatte und das Oberflächenwasser nahezu verbraucht war, fanden sie sich auf ausgedörrtem Land wieder. Magadji und seine Gruppe entkamen der Todesfalle nur äußerst knapp – in einem verzweifelten Gewaltmarsch über 50 Kilometer, ohne Wasser und Futter. Ihre Fehleinschätzung, wie sie es nannten, kostete sie mehrere Tiere.

Trockengebiete zeichnen sich laut ihrer Definition dadurch aus, dass es dort im Jahresdurchschnitt sehr wenig regnet. Für Landwirtschaft und Viehhaltung viel wichtiger ist hingegen, wie sich Feuchtigkeit über Zeit und Raum verteilen. Entscheidend ist, wann, wo und wie der Regen fällt. Zwei Niederschläge von je 20 Millimeter sind günstiger als einer von 50 Millimetern, weil im ersten Fall weniger Feuchtigkeit abläuft und verloren geht. Ein sanfter Regen ist einem kräftigen vorzuziehen, regelmäßige Niederschläge sind besser als unregelmäßige, auch wenn die Menge insgesamt hoch ist. Die Schwankungen bedeuten, dass für jede Region die richtige Anbauzeit für Futter- und Nahrungsmittelpflanzen eigentlich nur rückblickend bestimmt werden kann.

Wüsten und Savannen haben durchaus Regenzeiten und Feuchtgebiete wie Flüsse, Seen, Berge und Oasen. Die Art, wie sie bewirtschaftet werden und wie die Menschen dort leben, ist in der Regel gemeinsam mit der Bewirtschaftung und Lebenshaltung in feuchteren Regionen entstanden, vor allem durch die Wanderungen von Händlern und Hirten. Sie sollten nicht isoliert betrachtet werden, sondern als Teil größerer ökonomischer und ökologischer Systeme.

Der Blick fürs Ganze fehlt

Einer dieser Komplexe erstreckt sich etwa 800 Kilometer durch verschiedene ökologische Zonen über den Osten des Tschad. Er verbindet eine große Zahl von Bauern, Hirten und Lebensmittelerzeugern in der Region, aber über weitere soziale und wirtschaftliche Verästelungen auch darüber hinaus. Es ist wichtig, diese übergeordnete Ebene in den Blick zu nehmen, um die Prozesse auf der Graswurzelebene zu verstehen. Weil das nicht geschieht, ist die Region wirtschaftlich und ökologisch zersplittert – mit gravierenden Folgen für die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung und in manchen Fällen den Frieden.

Aus der Perspektive gemäßigter Breiten erscheinen Wüsten und Savannen äußerst unwirtlich. Entwicklungsexperten, die häufig aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Ausbildung nicht zu Hause sind in solchen Regionen, nehmen diesen Blick von außen nur allzu leicht ein. Aus ihrer Perspektive ist die beste Wahl für Bauern und Hirten der Kampf gegen die Natur, genauer gesagt: gegen ihre unberechenbaren Schwankungen.

Dennoch: Einige Formen der Landwirtschaft und der Viehhaltung sind in Trockengebieten zu Hause – und zwar schon seit Hunderten von Jahren, in manchen Fällen seit Tausenden. Sie haben nicht einfach überlebt. Sie haben in Wüsten und Savannen günstige Bedingungen gefunden und sind gediehen. Es ist deshalb wichtig, sich klarzumachen, dass die Probleme solcher Regionen weniger mit der Natur an sich zu tun haben, sondern mit der Art und Weise, wie Menschen dort Lebensmittel produzieren.

In Wüsten und Savannen hängt alles von schwankenden Witterungsbedingungen ab. Das hat zwar unterschiedliche Folgen für den Umgang mit Vieh und Feldfrüchten, doch in jedem Fall muss die Landwirtschaft in Trockengebieten diese Schwankungen berücksichtigen und sich zunutze machen.  In den Savannen und Bergregionen Äthiopiens beispielsweise sind bestellte Felder oft mit Steinen bedeckt – Tausenden Steinen bis zum Umfang einer Grapefruit, aber nicht groß genug, um den Pflug zu beschädigen. Die Bauern säen von Hand. Das Saatgut fällt auf die Steine und sammelt sich an deren Rändern.

Weil das Regenwasser dasselbe tut, konzentriert sich die Feuchtigkeit auf die Saatkörner: So können sie besser keimen und wachsen. Die Steine schützen zudem vor der Sonne sowie vor heftigem Wind und Regen. In Regionen mit geringen Niederschlägen müssen die Bauern ihre Pflanzen ausdünnen, um die vorhandene Feuchtigkeit besser zu verteilen. Liegen Steine auf dem Feld, ist das nicht nötig, weil damit der Boden, auf dem Feldfrüchte wachsen können, verkleinert wird. Dieselbe Menge Regenwasser verteilt sich auf weniger Pflanzen, das heißt, die einzelnen bekommen mehr ab. Diese Praxis steigert gewissermaßen die Niederschlagsmenge, die jährlich zur Verfügung steht. Wenn die Steine nicht schon auf dem Feld wären, müssten die Bauern sie hinlegen.

Bei einer weiteren Anbautechnik, die an trockene Bedingungen angepasst ist, werden nicht nur eins, sondern drei bis vier Saatkörner einer Sorte an dieselbe Stelle im Boden eingebracht. Bei einheimischem Saatgut mit hoher genetischer Vielfalt kann man erwarten, dass die Körner sich leicht unterschiedlich „verhalten“. Angesichts des unzuverlässigen Regens erhöht das die Chance, dass zumindest eines der Körner zur Pflanze heranwächst. Derselben Logik folgend bestellen Bauern lieber mehrere Felder an verschiedenen Orten, als all ihre Arbeit in einen großen Acker zu stecken – auf den es dann regnet oder auch nicht.

Rücksicht auf Schwanungen nehmen

Sie säen im Abstand einiger Tage statt alles auf einmal und bevorzugen eine Vielfalt von Feldfrüchten mit unterschiedlichen Ansprüchen und Verhalten. So fangen etwa die größeren und stärkeren Pflanzen den heftigen Regen ab und lassen ihn entlang ihrer Blätter sanfter und länger auf die kleineren abtropfen. Darüber hinaus bringt Vielfalt Gewinn: In Mallapoor, einem Dorf im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh, gaben die Bauern 2011 die Baumwoll-Monokultur auf. Sie bauten zusätzlich Hirse, Gemüse und Bäume an – der Baumwoll-Ertrag stieg um ein Drittel.

In der Viehzucht ist die Rücksicht auf die Schwankungen sogar noch ausgeprägter. Pastoralisten nutzen die Mobilität ihrer Herden, um sich auf die wechselnde Verteilung von Feuchtigkeit einzustellen. Die meisten von ihnen halten nicht nur eine Tierart, sondern mehrere mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Leistungen – etwa Rinder, Ziegen, Schafe, Kamele, Esel und manchmal auch Hühner. Die Zucht verschiedener Linien innerhalb einer Rasse ist wenig untersucht. Die Woodabe im Niger jedoch stärken mit Ausleseverfahren und im Umgang mit ihren Herden bestimmte Fähigkeiten und Verhaltensweisen der Tiere, die über Generationen weitergegeben werden. 

Aus Sicht der Hirten ist erlerntes Verhalten genauso vererbbar wie die genetische Veranlagung – nur leichter zu formen und an wechselnde Bedingungen anzupassen. In Kenia halten die Rendille in ihren Kamelherden vier Unterarten; jede ist in einer Jahreszeit am leistungsfähigsten und gibt dann am meisten Milch. Die Rücksicht auf  Witterungsschwankungen in der Viehhaltung verändert die trockene Umgebung nicht. Doch sie beeinflusst, wie die Tiere sie erleben. Über das Jahr können Herden länger auf der grünen Weide gehalten werden, wenn man den Niederschlägen folgt, als wenn man während der gesamten Regenzeit an ein und demselben Ort bleibt. Mit dieser Strategie können Hirten die „grüne Periode“ für ihr Vieh ausdehnen. Indem sie dem notwendigen Wandel nachgeben, kann die Herde relativ stabile Verhältnisse erleben.

Entwicklungsexperten aus gemäßigten Breiten

Die Modelle der Entwicklungsexperten hingegen fußen häufig auf Erfahrungen in gemäßigten  Breiten. Sie behandeln die stetigen Wechsel in der Witterung als Problem und konzentrieren sich darauf, sie zu beseitigen. In vielen Fällen wurde mit großen Bewässerungsanlagen und wenig Erfolg versucht, die Gegebenheiten zu verändern. Noch häufiger jedoch haben sich die Experten darum bemüht, die Vielseitigkeit der Lebensmittelproduktion in Trockengebieten zu beseitigen.

Sie haben versucht, die Mobilität der Hirten zu kontrollieren, sie haben flexible Modelle des Landbesitzes durch individuelle und exklusive Landtitel ersetzt, lokale Tierarten und Saatgut wurden gegen standardisierte Sorten getauscht. Die Vielfalt musste der Monokultur weichen, universelle Patentlösungen traten an die Stelle vielfältiger Spezialisierungen, die sich gegenseitig ergänzen. So wurde etwa der Ansatz verfolgt, Viehzucht und den Anbau von Feldfrüchten auf einer Farm zu kombinieren. Die Folge: Bauern und Pastoralisten konkurrieren um dieselben Ressourcen.

Vor dem Hintergrund dieses Erbes – dessen Spuren bis in die Gegenwart reichen – sorgt der Klimawandel für weitere Schwierigkeiten. Er erhöht die Witterungsschwankungen und verschärft damit die Probleme, die entstehen, wenn man die Methoden auf lokaler Ebene behindert, die Land- und Viehwirtschaft daran anzupassen. Oder wenn man die wirtschaftlich-ökologischen Systeme in kleinere Einheiten zerlegt, deren Zusammenhalt historisch eine Quelle der Widerstandsfähigkeit war.

In Wüsten und Savannen entstehen aus solchen Problemen früher oder später Dürrekrisen. Doch davon sollte sich niemand täuschen lassen: Der größte Teil der gegenwärtigen Härte für Bauern und Hirten in Trockengebieten hat seinen Ursprung nicht in der Natur. Er ist das Ergebnis von Entwicklungsbemühungen, die von den falschen Annahmen ausgegangen sind.  

Autor

Saverio Krätli

arbeitet als selbstständiger Forscher und Gutachter und ist auf nomadisch lebende Viehhirten spezialisiert. Er ist Herausgeber der Zeitschrift „Nomadic Peoples“.
Landwirte in Trockengebieten sehen dieser Entwicklung nicht tatenlos zu. Sie suchen nach Alternativen, oft mit Erfolg. Dennoch gehen viele ihrer Bemühungen auf Kosten einer wachsenden sozialen Ungleichheit und der Nachhaltigkeit. Mehr und mehr verpfänden sie ihre Zukunft, um zu überleben – so wie der Rest der Menschheit auch. Für die Mehrheit sind die Aussichten düster: Auf dem Land gibt es nur wenige und unterbezahlte Jobs. Die Verheißung des Stadtlebens entpuppt sich oft als Bretterverschlag in einem Slum. Alleine Nairobi zählt mehr als 200 Slums – im Durchschnitt leben acht Menschen in einer Hütte. Ein Liter Wasser ist bis zu fünf Mal teurer als in den USA. Selbst wenn der Staat die Ansiedlung in der Stadt finanziell unterstützt: Die Hilfe, die einem Pastoralisten als hoher Betrag erscheinen mag, ist schnell weg, wenn die Familie mit all ihren Bedürfnissen davon abhängt. 

Damit die Menschen in Trockengebieten eine friedliche Zukunft haben, müssen diese Regionen in einem größeren wirtschaftlich-ökologischen Zusammenhang mit Feuchtgebieten betrachtet werden. Der Dialog zwischen denen, die in Wüsten und Savannen Vieh züchten und Feldfrüchte anbauen, sowie zwischen ihnen und dem Staat muss gestärkt werden. Neue Wege sind nötig, um mit Witterungsschwankungen umzugehen.

50 Grad im Schatten, die nächste Wasserstelle 20 Kilometer entfernt und drei Mal am Tag gekochte Hirse, immerhin mit Milch: Jiima Magadji ist nicht nach philosophieren zumute. Die erwachsenen Tiere, die zunächst jeden Tag getränkt wurden, bekommen nun nur noch alle zwei Tage Wasser. Jeden Tag reiten zwei oder drei Frauen auf ihren Eseln zum Brunnen und kommen erst in der Dämmerung zurück. Wenn das Essen fertig ist und die Jungtiere getrunken haben, bleibt nicht mehr viel übrig. Es ist ein hartes Leben, entbehrungsreich, riskant und weit weg von den staatlichen Diensten, die die Regierung nur den Siedlungen zur Verfügung stellt. Doch es ist ihr Leben und sie sind gut in dem, was sie tun. Sie verdienen Respekt und Wertschätzung.

Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann

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erschienen in Ausgabe 7 / 2017: Die Wüste lebt
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