Wenn die Macht lockt

Kirchen im Kongo
Die Kirchen spielen im Kongo schon immer eine politische Rolle. Der katholische Klerus ist inzwischen auf Distanz zur Staatsmacht gegangen – im Gegensatz zu den Protestanten.

Dank der Vermittlung der katholischen Bischöfe schloss die politische Klasse in der Demokratischen Republik Kongo eine Vereinbarung über einen Ausweg aus der politischen Krise. Die war entstanden, weil Präsident Joseph Kabila entgegen der kongolesischen Verfassung an der Macht bleiben wollte. Und die Kirche Christi im Kongo (Église du Christ au Congo, ECC), der Verband von rund 90 protestantischen Gemeinschaften, wählte am 19. August einen neuen Präsidenten – dabei war ein Stellvertreter des kongolesischen Justizministers anwesend. Die beiden Ereignisse führen zu den Fragen: Welche Rolle spielen die Kirchen in der Politik im Kongo? Und was erklärt, dass die katholische Kirche einerseits und die protestantische andererseits dabei so unterschiedliche Positionen einnehmen?

Der Kongo zählt zu den ärmsten Ländern der Erde. Die Bevölkerung leidet unter häufigen Massakern und der alltäglichen Verletzung der Menschenrechte. Die Mehrheit sind Christen – Schätzungen reichen von 80 bis 95 Prozent – und gehören zu verschiedenen Kirchen. Darunter sind zwei große, die katholische Kirche und die ECC. Daneben gibt es die einheimische Kimbanguisten-Kirche (benannt nach ihrem 1951 gestorbenen Propheten Simon Kimbangu) und kleinere Gemeinschaften wie die orthodoxe Kirche, Erweckungskirchen und Muslime.

Die Kirche ist nicht erst seit Kurzem in die Politik im Kongo eingebunden. Schon die belgische Kolonisierung Ende des 19. Jahrhunderts stützte sich auf drei Säulen, um das riesige zentralafrikanische Gebiet zu erobern: auf die Kolonialverwaltung, die großen Handelsunternehmen sowie auf die Missionare, vor allem auf katholische. Diese Verbindung ist niemals wirklich aufgelöst worden. Die Frage ist jedoch, ob die Kirche im Laufe der Geschichte mit den Machthabern zusammengearbeitet hat oder aber gegen sie.

Die belgische Kolonialverwaltung hielt Missionare lange Zeit für ihre besten Verbündeten beim Versuch, die Einheimischen gefügig zu machen. Im Gegenzug profitierten Missionare von unterschiedlichen Privilegien. Später spielten Christen eine wichtige Rolle im Kampf für die Unabhängigkeit. „Die Kirche hat im Bildungswesen gearbeitet – vor allem im Bau von Schulen – und im Gesundheitswesen“, hält der Politologe Bob Kabamba fest. „Sie hat die ersten Widerstandskämpfer gegen die Kolonisierung herangebildet und zugleich die ersten kongolesischen politischen Führer am Ende der Kolonialherrschaft.“

Einfluss auf die Gläubigen nehmen

Die ersten Spannungen zwischen der katholischen Kirche und der Staatsmacht gab es anlässlich der Machtübernahme von Mobutu Sese Seko 1965. Sie  erreichten einen Höhepunkt, als Kardinal Joseph-Albert Malula 1972 vorübergehend aus Kinshasa ins Exil nach Rom gezwungen wurde. Mobutu suchte den Einfluss der Kirche zurückzudrängen und schrieb im Rahmen seiner „Politik der Authentizität“ vor, christliche Vornamen durch afrikanische zu ersetzen. Dem stellte sich Malula entgegen, und Mobutu betrachtete den Kardinal als Verkörperung des Widerstands gegen seine Politik. Die Bevölkerung sah in Malula bis zu dessen Tod 1989 die Stimme der Machtlosen.

Der Konflikt mit Malula führte auch zu einer Spaltung innerhalb des Klerus, denn einige Mobutu nahestehende Geistliche erhielten Privilegien, wie sie sonst den Machthabern vorbehalten waren. Zum Beispiel teilte der katholische Bischof von Lisala in den 1960er Jahren das Privileg, einen Mercedes zu besitzen, mit nur zwei anderen Notabeln seiner Provinz: dem Kommissar der Verwaltung und einem reichen Kaufmann. Aufseiten der Protestanten schlossen sich viele Kirchen 1970 in einem festen organischen Verbund zusammen, der ECC. Damit gab es nun zwei Anziehungspole für die politische Klasse in ihrem Bestreben, Einfluss auf die Gläubigen zu nehmen oder ihre Unterstützung zu gewinnen – die katholische Kirche und die ECC vertraten zusammen mehr als vier Fünftel der Christen im Kongo.

Der Fall der Berliner Mauer gab in Afrika dem Streben nach Demokratisierung einen Schub. Auch im Kongo rief Mobutu ein Mehrparteiensystem aus und berief eine „Souveräne Nationalkonferenz“ ein, die Regeln für die Zukunft des Landes festlegen sollte. Sie verwandelte sich schnell in eine Kampfarena zwischen den Unterstützern Mobutus und der Opposition mit dem im Februar 2017 verstorbenen Étienne Tshisekedi als Führungsfigur. Die Opposition sorgte mit dafür, dass der Erzbischof von Kisangani, Laurent Monsengwo Pasinya, zum Vorsitzenden dieses wichtigen Forums gewählt wurde.

Neutralität in politischen Fragen

Als Mobutu die Konferenz auflösen ließ, organisierten katholische Christen im Februar 1992 einen großen Protestmarsch, der von den Ordnungskräften des Regimes niedergeschlagen wurde. Inzwischen war Kardinal Malula 1989 gestorben; zu seinem Nachfolger als Erzbischof von Kinshasa bestimmte der Vatikan 1991 Monsignore Frédéric Etsou, der als Mobutu nahe- stehend galt. Die protestantische Kirche wahrte währenddessen eine Art Neutralität in politischen Fragen und hat so bis in die jüngste Vergangenheit Konflikte mit der Staatsmacht vermieden.

Der Sturz Mobutus 1997 führte zum Bürgerkrieg im Kongo, in den nicht weniger als sieben andere afrikanische Länder verwickelt waren. In Südafrika wurden Ende 2002 Friedensabkommen geschlossen, die für eine Übergangszeit eine Machtteilung im Kongo vorsahen. Sie wiesen der kongolesischen Zivilgesellschaft, zu der die Kirchen zählen, eine Rolle in einer Reihe von staatlichen Institutionen zu. Dazu gehörten der Senat und die Behörde, die Wahlen organisieren sollte. Die Kirchen wurden dann beauftragt, für die Zivilgesellschaft Verantwortliche zu nominieren.

So wurde Monsignore Pierre Marini Bodho, der Präsident der ECC, zum Präsidenten des Übergangssenats ernannt. Dessen wichtigste Aufgabe war das Projekt einer künftigen Verfassung für das Land. Das war die erste bedeutende politische Rolle für die ECC, und zweifellos begann in diesem Moment die ECC allmählich an die Seite der Staatsmacht umzuschwenken. In der Tat wurde aus Marini, dem Präsidenten des Übergangssenats, zunächst einer der zahlreichen spirituellen Berater von Staatschef Joseph Kabila, bis er sich mit Unterstützung der Regierungspartei bei den ersten Wahlen im Jahr 2006 zum Senator wählen ließ.

Während die protestantische Kirche nach dem Friedensabkommen die Kontrolle des Senats übernahm, hatte die katholische in Person von Abbé Apollinaire Malumalu den Vorsitz in der unabhängigen Wahlkommission. Kardinal Frédéric Etsou war bekannt für seine Gegnerschaft zu Joseph Kabila, und er äußerte öffentlich Zweifel am Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2006, die Kabila in der zweiten Runde gewann. Von da an waren die kongolesischen Kirchen, eher gegen ihren Willen, ganz und gar zu Teilnehmern am politischen Spiel in der Demokratischen Republik Kongo geworden.

Freilich haben die beiden großen Kirchen bis in das laufende Jahrzehnt hinein trotzdem versucht, mehr schlecht als recht gute Beziehungen untereinander aufrechtzuerhalten. So konnte zum Beispiel 2011 ein protestantischer Pastor als Nachfolger von Abbé Malumalu an die Spitze der neuen Wahlkommission berufen werden. Doch als es nach den chaotischen Wahlen des Jahres 2011 darum ging, erneut einen neuen Präsidenten für die unabhängige Wahlkommission zu benennen, wurde der Bruch zwischen der katholischen Kirche und den anderen Kirchen für jedermann sichtbar: Abbé Malumalu wurde ein neues Mandat von seiner eigenen Kirche verweigert. Zur allgemeinen Überraschung nominierten ihn daraufhin die ECC und die muslimische Gemeinschaft. Seither hat sich der Graben zwischen den beiden christlichen Kirchen auf politischer Ebene immer weiter vertieft.

Und dies trotz einer Entspannungsphase im Jahr 2014: Damals verständigten sich alle Kirchen der Demokratischen Republik Kongo, eine neue Kommission zu schaffen, die darüber wachen sollte, dass der Wahlprozess korrekt ablief. Ihr gehörten Vertreter von acht Glaubensgemeinschaften an, darunter die Kimbanguisten, die islamische Gemeinschaft des Kongo und die unabhängigen Kirchen.

Die einzige moralische Autorität

Sehr schnell kamen aber wieder die alten Spannungen hoch – die katholische Kirche fand sich systematisch von den anderen Glaubensgemeinschaften ausgegrenzt, die fast automatisch auf die Positionen der Machthaber einschwenkten. So kam es, dass vor der Bestimmung eines Nachfolgers für Abbé Malumalu als Leiter der Wahlbehörde (er trat 2015 zurück und starb 2016) die katholische Kirche die Tür der gemeinsamen Kommission zuschlug.

In der gegenwärtigen Krise tritt eine echte Spaltung zwischen den beiden großen christlichen Kirchen zutage. Die katholische Kirche gilt als nah an der Bevölkerung und forderte viele Male, dass Wahlen abgehalten werden und der Staatschef abtritt, wie es die Verfassung vorsieht. Die ECC aber nahm systematisch die gleiche Position ein wie die Machthaber, worin ihr die anderen Konfessionen folgten. Dass sich Monsignore Marini Bodho, der bis August 2017 Präsident der ECC war, als Aktivist für Kabila betätigte, ist in Kinshasa ein offenes Geheimnis. Nach meinen persönlichen Kontakten mit verschiedenen Angehörigen der beiden Kirchen und mit Politikern kann an der Position der einen wie der anderen Kirche kein Zweifel bestehen.

Autor

Jean-Claude Mputu

ist Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der Forschungsstelle CAPAC an der Universität Liège (Belgien), die Länder Afrikas und der Karibik mit Expertise in Demokratisierungsfragen unterstützt. Er arbeitet auch zu Frieden, Sicherheit und regionaler Integration.
Heute wird die katholische Kirche mit ihrer nationalen Bischofskonferenz als die einzige moralische Autorität in der Demokratischen Republik Kongo wahrgenommen und als einzige Institution, die überall im Land präsent ist. Diese Rolle hat sogar der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 2348 vom März 2017 anerkannt. Derweil war die ECC, gefolgt von den kleineren Glaubensgemeinschaften, über die Nähe zwischen Joseph Kabila und Monsignore Marini vollständig auf die Linie der Machthaber eingeschwenkt. Die Wahl des neuen ECC-Präsidenten kann nun eine Gelegenheit sein, die Zusammenarbeit zwischen ECC und katholischer Kirche im politischen Bereich wieder aufzunehmen. Doch alles hängt von einem einzigen Mann ab: von Pastor André Bokundoa an der Spitze der ECC. Er gilt als eng verbunden mit einer der Säulen des Regimes: Azarias Ruberwa, dem Staatsminister für Dezentralisierung und institutionelle Reformen.

Im Übrigen ist festzuhalten, dass im Kongo die Angehörigen der evangelischen Kirche vom selben Übel befallen sind wie, mit wenigen Ausnahmen, die politische Klasse: Sie bemühen sich um persönlichen Gewinn, nicht um das Gemeinwohl und noch weniger um Übereinstimmung mit dem Wort der Bibel, für das sie eigentlich eintreten sollten. Der französische Politologe Jean-François Bayart hat das treffend beschrieben: Pastoren, Priester oder Bischöfe handelten als religiöse, politische oder ökonomische Unternehmer. „Infolgedessen sind die christlichen Kirchen mit dem gleichen Übel geschlagen, das auch die Institutionen des Staates schwächt: Fraktionskämpfen, die sich – in der Religion wie in der Politik – verschärfen, sobald es um die Regelung einer Nachfolge in einer Gemeinde oder in einem Bistum geht. Hier steht der Zugang zu kirchlichen Ressourcen auf dem Spiel“, schreibt Ba­yart, und man könnte hinzufügen: auch zu politischen Privilegien.

Zwar hat diese Gier noch nicht Besitz von der katholischen Kirche im Kongo ergriffen. Doch unter diesen Umständen besteht nur wenig Hoffnung, dass die beiden größten kongolesischen Kirchen zusammenarbeiten, um die politische Krise zu lösen.

Aus dem Französischen von Bernd Stößel.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2017: Kongo: Das geschundene Herz Afrikas
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