Was Gerd Müller hinterlässt

Entwicklungspolitik
Was hat der Entwicklungsminister in der vergangenen Legislaturperiode erreicht? Drei Antworten aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

Hat Gerd Müller die richtigen Ideen, die Privatwirtschaft ins Boot der Entwicklungspolitik zu holen, Herr Mair?

Aus Sicht der deutschen Wirtschaft hat Bundesminister Müller in den vergangenen vier Jahren vieles richtig gemacht. Er hat stark für ein stärkeres Engagement von Unternehmen in Afrika geworben und viel dafür getan, die noch immer bestehende Trennung zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Förderung der Privatwirtschaft zu überwinden. Der von ihm vorgestellte Marshallplan mit Afrika weist der privatwirtschaftlichen Entwicklung zu Recht eine zentrale Rolle bei der Überwindung von Armut und der Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten in sich entwickelnden Ländern zu.

Es geht nicht darum, die Entwicklungszusammenarbeit in den Dienst der Außenwirtschaftsförderung zu stellen. Es geht vielmehr darum, die existierenden Schnittstellen zwischen den beiden Feldern besser zu nutzen, Unternehmen stärker in entwicklungspolitische Vorhaben einzubeziehen und die bestehenden Instrumente der Außenwirtschaftsförderung besser auszustatten, so dass sie stärker entwicklungsfördernd wirken können. In der vergangenen Legislaturperiode hat aber nicht nur das Entwicklungsministerium deutliche Schritte Richtung Privatwirtschaft gemacht. Auch das Wirtschaftsministerium mit seiner Initiative Pro Afrika!, das Finanzministerium mit seinem Compact with Africa und das Auswärtige Amt haben einiges getan, um ihre Instrumente in den Dienst der Entwicklungszusammenarbeit zu stellen.

Wegweisend ist ein neues gemeinsames Projekt des BDI, des BMZ und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Ostafrika. Unter dem Titel „Perspektiven schaffen: Wirtschaft für Entwicklung“ wird hier ein deutsch-ostafrikanisches Unternehmernetzwerk aufgebaut. Kleine und mittlere Unternehmen sollen sich untereinander austauschen, Wissen weitergeben und unternehmerisch zusammenarbeiten mit dem Ziel, Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen.

Wenn es an der Bilanz des BMZ-Ministers etwas zu kritisieren gibt, dann vor allem zwei Dinge: zum einen eine immer wieder durchbrechende Rhetorik, die deutschen Unternehmen pauschal unterstellt, sie würden zur Unterdrückung und Ausbeutung großer Bevölkerungsgruppen in Afrika und anderen Teilen der Welt beitragen. Dadurch wird die große Mehrzahl deutscher Unternehmen, die hohe Sozial- und Umweltstandards in ihrem Auslandsengagement erfüllen, vor den Kopf gestoßen. Zum anderen scheint es auch Gerd Müller bisher nicht gelungen zu sein, den tief verwurzelten Abgrenzungsreflex gegen die Privatwirtschaft auf der Arbeitsebene des BMZ zu überwinden.

 

Hat Gerd Müller die entwicklungspolitischen Anliegen der Zivilgesellschaft gut vertreten, Herr Bornhorst?

Bundesminister Müller hat in seiner Amtszeit immer wieder Themen auf die politische Agenda gesetzt, die der Zivilgesellschaft ein großes Anliegen sind. Zu nennen sind hier etwa der Schwerpunkt ländliche Entwicklung, das Bemühen um gerechtere Wertschöpfungsketten, der Einsatz für Menschen in Afrika, der Hinweis auf strukturelle Muster der Ausbeutung wie auch generell die Wertschätzung der Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen und Initiativen. Ebenfalls positiv zu bewerten ist die Tatsache, dass es ihm gelungen ist, entwicklungspolitische Fragestellungen auf den G7- und G20-Gipfeln in Deutschland zu verankern.

Allerdings mangelt es in vielen Fällen an der Verwirklichung der von Gerd Müller angestoßenen Themen und Initiativen. Das hat mindestens zwei Gründe: Der eine Grund ist, dass das von ihm geleitete Ministerium im Kabinett leider nicht die Durchsetzungskraft hat, die man sich wünschen würde. Wichtige Politikfelder, die Müller richtigerweise angesprochen hat, etwa eine gerechtere Handelspolitik, eine andere Agrarpolitik oder mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, werden von anderen Ressorts verantwortet. Darüber hinaus kann es nicht sein, dass verschiedene Ministerien ihre jeweils eigenen Vorstellungen zu Afrika vorlegen. Die notwendige größere Kohärenz in der Politik bleibt an dieser Stelle ein unerfülltes Versprechen.

Der zweite Grund ist, dass im Entwicklungsministerium selbst viele Ideen nicht mit ausreichend Engagement in Politik umgesetzt wurden. Das gilt beispielsweise für die Wirtschaftsabkommen (EPAs) der Europäischen Union mit den Staaten Afrikas, der Karibik und der Pazifik-Region, die federführend im BMZ verortet sind. Hier wäre ein deutliches Nein oder wenigstens ein Bekenntnis zu Neuverhandlungen ein klares Signal gewesen, wie Absichtserklärungen in Taten umgesetzt werden können.

Was bleibt, ist – ganz im Gegensatz zu den vier Jahren in der vorherigen Koalition – eine große verbale Nähe zu vielen Vorstellungen der Zivilgesellschaft, die nun in der nächsten Legislaturperiode noch engagierter in praktische Politik umgesetzt werden müssten. Vor allem aber benötigen wir dringend eine kohärente Politik „aus einem Guss“, die sich den Zielen der Agenda 2030 verpflichtet und die Lebenssituation von Menschen in Entwicklungsländern tatsächlich nachhaltig verbessert.

 

Geht das Engagement von Gerd Müller für Afrika in die richtige Richtung, Frau Tatah?

Die Idee eines Marshallplans mit Schwerpunkt Wirtschaftsinvestition vor Ort begrüße ich sehr. Aber: Jede nachhaltige Entwicklung hängt überwiegend von den Afrikanern selbst ab. Leider bekämpft der Bevölkerungsteil, der vom jetzigen Status profitiert, jegliche Veränderung und nimmt billigend in Kauf, dass viele Jugendliche wegen fehlender Perspektiven die Flucht ins Ausland wagen. Grundsätzlich muss ein Mentalitätswechsel in den Gesellschaften Afrikas stattfinden. Den kann Minister Müller nicht von außen erzwingen. Die Mehrheit der Afrikaner muss realisieren, dass Entwicklung nur durch eine rechtsstaatliche, gerechte, transparente und inklusive Gesellschaft entsteht.

Aus diesem Grund sehe ich einen Marshallplan für Afrika etwas skeptisch. Geld allein wird die grundlegenden Probleme nicht lösen. Aber in einem Punkt stimme ich Müller zu: Europa muss Afrika als Partnerkontinent begreifen, und dazu muss sich die Zusammenarbeit grundlegend ändern. Gerd Müller hatte Recht, als er in einem Interview sagte: „Bisher haben wir Industrieländer doch die Ressourcen dieses Kontinents in den letzten 50 Jahren im Wesentlichen nur ausgebeutet, für die Rohstoffe auch keine fairen Preise gezahlt, weder für Erdöl noch für Coltan, das wir für unsere Handys brauchen. Wir haben in Europa, in den Industriestaaten, unseren Reichtum auf den Ressourcen der Entwicklungsländer aufgebaut.“

Meiner Meinung nach muss man keine neuen bürokratischen Strukturen aufzubauen, um Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze in Afrika zu schaffen. Lokale mittelständische Unternehmer benötigen Investitionskapital. Ohne solches Kapital gibt es kein wirtschaftliches Wachstum und keine neuen Arbeitsplätze. Die afrikanischen Volkswirtschaften müssen diversifiziert werden, die Rohstoffe müssen in Afrika weiterverarbeitet und nicht irgendwohin verschifft werden – wo sollen sonst die Arbeitsplätze herkommen? Dazu müssen aber auch die Wirtschaftsabkommen der Europäischen Union mit Afrika so gestaltet werden, dass beide Seiten davon profitieren. Die bisherigen einseitigen Abkommen müssen ersetzt werden.

Der Marshallplan für Nachkriegsdeutschland war auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Was für eine Laufzeit stellt Müller sich für den Marshallplan mit Afrika vor? Wären faire Handelsbeziehungen zwischen den afrikanischen Nationen und der Europäischen Union nicht sinnvoller als die seit Jahren betriebene Ausbeutung des Kontinents?

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erschienen in Ausgabe 11 / 2017: Süd-Süd-Beziehungen: Manchmal beste Freunde
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