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Für Wahlkämpfe werden auch in Kenia zunehmend die sozialen Medien benutzt. So werden sie zur Goldgrube für PR-Unternehmen und Datenanalysten.

Als Ende der 1990er Jahre weite Teile der Medienlandschaft Afrikas aus der staatlichen Kontrolle entlassen wurden, veränderte sich die Art und Weise, wie auf dem Kontinent Politik gemacht wird. Das Fernsehen wurde zum wichtigsten Instrument der öffentlichen Kommunikation und zur Mobilisierung der Wähler; die Verbreitung politischer Botschaften wurde deutlich professioneller. Politische Programme wurden nun vor allem im Fernsehen vorgestellt und diskutiert. Die Parteien gaben ihren Kandidaten ein fernsehgerechtes Image, nutzten bei politischen Veranstaltungen aufwendige, auf das TV-Bild zugeschnittene Bühnendekorationen, und auch die Reden wurden speziell für das Fernsehpublikum geschrieben. Einige Politiker erwarben sogar selbst Medienunternehmen samt Fernsehstationen, um ihre Botschaften ungefiltert unter das Wahlvolk zu bringen. So gewann beispielsweise in Kenia der frühere Präsident Daniel arap Moi über Mittelsmänner Einfluss auf die Standard Media Group, damals das zweitgrößte Medienunternehmen des Landes, zu dem auch Kenya Television Network (KTN) gehörte, Kenias erster privater Fernsehsender.

In den vergangenen fünf Jahren hat Afrika einen gewaltigen Digitalisierungsschub erlebt – und damit einhergehend einen weiteren großen Wandel in der Politikgestaltung. Mobiltelefone, mobile Geldüberweisung sowie Internetzugang über das Smartphone haben sich in Afrika rasant verbreitet. Weil sich diese Techniken so einfach an die lokalen Gegebenheiten anpassen lassen, haben sie eine große Bedeutung auf dem Kontinent, wo der Staat nach wie vor erheblichen Einfluss auf die Produktion von Information hat und auch auf die Infrastruktur, die zu deren Verbreitung erforderlich ist.

Die Jugend informeirt sich über soziale Medien

Zwar haben immer noch erst 31 Prozent der Menschen auf dem Kontinent Zugang zum Internet, doch das ist nur das halbe Bild: In Kenia sind es fast 90 Prozent, und auch in Südafrika, Marokko, Nigeria und anderen Ländern liegt die Zahl der Internetnutzer weit über dem Durchschnitt. Wichtig ist hier vor allem, wie die Jugend das Internet nutzt. Laut einer Studie von Consumer Insight, dem führenden Marktforschungsinstitut Ostafrikas, liest nur knapp jeder dritte junge Kenianer regelmäßig eine Zeitung, aber zwei von dreien benutzen ein Smartphone. Und viele von ihnen beziehen ihre Nachrichten über soziale Medien. Das erklärt, wie wichtig es für Politiker ist, online präsent zu sein.

Die Jugend ist für die Politiker Kenias nicht nur deshalb so wichtig, weil sie die größte Wählergruppe stellt, sondern auch, weil sich gerade die jungen Menschen für das politische Geschehen interessieren. Jedes Jahr strömen in Afrika zehn bis zwölf Millionen Jugendliche auf den Arbeitsmarkt, deren Zukunft direkt von politischen Entscheidungen betroffen ist. Kein Wunder also, dass Wahlkämpfe in Kenia und in ganz Afrika heute sehr stark online ausgetragen werden.

Die Politiker reagieren auf diese Entwicklungen, indem sie ihre Botschaften verstärkt über digitale Plattformen verbreiten und renommierte PR-Unternehmen und Datenanalysten anheuern, die Profile der Wähler und der Nutzer sozialer Medien erstellen. So können sie ihre politischen Botschaften und ihre Wahlwerbung viel gezielter unters Volk bringen. Die derzeit regierende Jubilee-Koalition hat für die Parlamentswahlen 2017 neben der britischen PR-Agentur BTB Advisors auch Cambridge Analytica (CA) angeheuert, einen der bekanntesten Wahlkampfanalysten mit Sitz in New York. CA machte vor allem im letzten Jahr durch seine Arbeit für das Wahlkampfteam von Donald Trump und einige republikanische Gouverneure von sich reden. Trumps überraschender Wahlsieg wird teilweise den von CA eingesetzten Taktiken gutgeschrieben. Auch während des Brexit-Referendums in Großbritannien spielte CA auf Seiten der Austrittskampagne eine wichtige Rolle.

Präsident Uhuru Kenyatta soll die Dienste von CA schon bei seiner erfolgreichen Präsidentschaftskandidatur 2013 und dann noch einmal für die später annullierte Präsidentschaftswahl 2017 in Anspruch genommen zu haben. Die Regierung streitet das zwar ab, doch das Unternehmen selbst dementierte entsprechende Berichte nicht. Bei den kenianischen Präsidentschaftswahlen, die gewöhnlich sehr knapp ausgehen, wird mit harten Bandagen gekämpft.

Und mit der weiten Verbreitung des Internets herrschen in Kenia ideale Bedingungen für die Art von Wählerprofilerstellung, auf die CA spezialisiert ist. Der Einsatz von Big Data bei Wahlen ist so neu nicht mehr. Schon 2008 trug das Wahlkampfteam von Barack Obama Daten über Hunderttausende potenzieller Wähler in den USA zusammen. Das Obama-Team wusste nicht nur bestens über die politische Einstellung dieser Personen Bescheid, es war auch über die Höhe ihres Einkommens informiert, über ihre bevorzugten Fernsehsendungen und ihre Zeitungslektüre, ob sie zur Wahl gehen und wem sie voraussichtlich ihre Stimme geben würden. Mit anderen Worten: Man hatte genügend detaillierte Informationen zusammengetragen, um die Wähler nicht bloß als große, undifferenzierte Masse, sondern als Individuen mit speziellen Ängsten und Hoffnungen ansprechen zu können. Genau das machen Unternehmen wie CA möglich.

Psychographische Wählerprofile

Die sogenannten Datenpunkte, die sie dabei über Wähler erstellen, stammen aus verschiedenen Quellen. „First-party“-Quellen sind Unternehmen, mit denen die Nutzer in direkten Kontakt getreten sind, etwa Mobilfunkanbieter oder Online-Versandhändler, die von ihren Kunden bei der Registrierung Daten erheben. „Third-Party“-Quellen sind spezialisierte Firmen, die das Online-Verhalten von Nutzern beobachten und auswerten. Aus solchen Informationen können Unternehmen, die Profile erstellen, dann leicht weitere Daten wie Einkommen und andere sozioökonomische Merkmale ableiten.

Diese Daten reichen von der Parteipräferenz der Wähler, ihren Einkaufsgewohnheiten, ihrem Medienkonsum bis zu ihrem Facebook-Profil und ihrer Persönlichkeit, die sich in ihren „Likes“, ihren Freunde und vielen ähnlichen Informationen offenbart. Dies alles fließt in ein psychographisches Wählerprofil ein. CA rühmt sich, nicht weniger als 5000 Datenpunkte von über 230 Millionen amerikanischen Wählern zu haben.

Die Computeranalyse dieser Profile erlaubt bemerkenswert genaue Aussagen über das Verhalten der Wähler, was ihre gezielte Manipulation ermöglicht. Kritische Bedenken über den Einsatz solcher Profile wies ein Sprecher von CA gegenüber dem britischen „Guardian“ allerdings zurück. Diese Methode, sagte er, „macht uns nicht zu Hellsehern. Wie alle versuchen wir bloß, das Beste aus den Sozialwissenschaften herauszuholen, um unsere Arbeit effektiver zu gestalten.“

Wahlwerbung mit Negativbotschaften via Facebook

Niemand weiß, was CA mit den Daten, die das Unternehmen von kenianischen Wählern gesammelt hat, gemacht hat. Sicher ist nur, dass die kenianische Präsidentschaftswahl 2017 stärker als je zuvor von negativer Wahlwerbung geprägt war. Statt den Wählern ihre eigene politische Position zu vermitteln, bemühten sich die Kandidaten vor allem darum, den politischen Gegner schlechtzumachen. Dies hängt zweifellos auch damit zusammen, wie die Wahlwerbung organisiert wurde. Die negativen Botschaften wurden vor allem über drei Kanäle vermittelt: die sozialen Medien, hauptsächlich Facebook und Twitter, Websites und direkt von den Kandidaten selbst auf Kundgebungen. Und jeder gab sein Bestes, die Ängste der Wähler auszubeuten.

Der weit überwiegende Teil der über Facebook und Twitter verbreiteten negativen Botschaften war gegen die Opposition gerichtet. Ein Großteil dieser Werbung griff altbekannte, auf ethno-politischen Differenzen und Rivalitäten beruhende Ängste auf. Das bekam insbesondere Raila Odinga zu spüren, der Präsidentschaftskandidat der Opposition.

Odinga stammt aus dem im Westen Kenias lebenden Volk der Luo. Die Luo stehen seit jeher in politischer Konkurrenz zu den dominierenden Kikuyu, zu denen Uhuru Kenyatta gehört. So gerieten die Rivalitäten zwischen den Luo und den Kikuyu in den Mittelpunkt der Wahlen. Die Opposition wurde als wirtschaftsfeindlich und damit als Bedrohung für Kenias Stabilität dargestellt. Die Wähler würden die politischen und wirtschaftlichen Folgen ausbaden müssen, wenn sie nicht den Richtigen wählten, so die Botschaft. Über die sozialen Medien wurden zahlreiche Fake News gestreut.

Gefälschte Meinungsumfragen, manipulierte Videos

Dazu zählten gefälschte Meinungsumfragen, die den sicheren Wahlsieg von Uhuru Kenyatta prognostizierten. Teils handelte es sich um professionell produzierte Videos, die als Beiträge von renommierten internationalen Medien wie CNN oder BBC ausgegeben wurden. In einem nur wenige Tage vor der Wahl verbreiteten gefälschten CNN-Video wurde behauptet, Kenyattas Popularitätswerte ließen seinen Konkurrenten Raila Odinga weit abgeschlagen zurück, während in einem anderen manipulierten Video, angeblich ein Ausschnitt aus der BBC-Produktion „Focus on Africa“, eine Umfrage angeführt wurde, die einen klaren Wahlsieg von Uhuru Kenyatta ankündigte. Außerdem wurden gefälschte Ausgaben von Tageszeitungen wie „Daily Nation“ und „The Star“ unter die ahnungslosen Leser gebracht. Die Intention war eindeutig, die Wähler auf einen unabwendbaren Sieg Uhurus einzustimmen.

Die Erstellung eines Wählerprofils ist nur der erste Schritt. Hat man erst einmal genug über die Wähler herausgefunden, kommt der deutlich schwierigere Part: sie davon zu überzeugen, einen bestimmten Kandidaten oder eine bestimmte Partei zu wählen. In Ländern wie Kenia, wo sich ethno-politische Differenzen leicht in Gewalt entladen, kann solche Überzeugungsarbeit schwerwiegende Folgen haben. Das zeigte sich in den Gewaltausbrüchen nach den Wahlen 2007/2008, die sich an eben diesen Differenzen entzündeten, über 1000 Menschen das Leben kosteten und viele mehr in die Flucht trieben. Doch für Unternehmen, die solche Wähleranalysen erstellen, heiligt der Zweck oft genug die Mittel. Sie haben keine Skrupel, negative Wahlkampagnen zu führen, bestehende Konflikte auszuschlachten und Personen anstelle von Politik, Angst anstelle von Hoffnung in den Mittelpunkt zu rücken.

Autor

George Ogola

ist Assistenzprofessor für Journalismus an der University of Central Lancashire in Großbritannien. Er publiziert über Medien in Afrika, insbesondere Kenia.
Gegen solche Kritik wird häufig eingewandt, Wählerprofilerstellung sei an sich keine schlechte Sache und nichts anderes als das, was alle Unternehmen machen, die mehr über ihre Kunden erfahren wollen. Doch es ist besorgniserregend, wie heute auf immer dreistere Art personenbezogene Daten erfasst werden, ganz besonders in Ländern, in denen es entweder überhaupt keine Datenschutzgesetze gibt oder diese nur unzureichend umgesetzt werden. Bedenklich ist weiterhin, wie diese Daten verwendet und mit wem sie geteilt werden. Selbst in Ländern wie Großbritannien, die relativ starke Datenschutzregelungen haben, bleibt das Sammeln von Daten ein umstrittenes Thema. So untersucht beispielsweise derzeit die britische Datenschutzbehörde die Tätigkeit von Cambridge Analytica während der Kampagne zum EU-Austritt.

Sofern es in den Entwicklungsländern überhaupt Datenschutzgesetze gibt, sind sie schwach oder können nicht durchgesetzt werden. In Kenia gibt es bislang nur einen Gesetzentwurf aus dem Jahr 2013, der im Parlament diskutiert, aber bis heute nicht verabschiedet wurde. Datenschutz-Organisationen weisen zudem darauf hin, dass dieser Gesetzentwurf in der Cloud gespeicherte Daten gar nicht erfasst – und die Server, auf denen solche Daten gespeichert werden, stehen selten in Kenia. So entsteht ein rechtliches Niemandsland, in dem unbeschränkt und wahllos Daten gesammelt werden, die dann an jedermann und für jeden Zweck verkauft werden können.

Ob CA den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Kenia beeinflusst hat, ist vielleicht nicht einmal die entscheidende Frage. Viel bedeutsamer ist, wie einfach und unbehelligt das Unternehmen dort arbeiten konnte. Wie hat es die Daten gesammelt? Mit wem und für welche Zwecke wurden die Daten geteilt? Wo werden sie gespeichert? Da es in Kenia keinen Datenschutz gibt, werden diese Fragen wahrscheinlich nicht so bald beantwortet. Es ist in ganz Afrika dasselbe: Unternehmen wie CA haben praktisch freie Hand, und das wird über kurz oder lang schlimme Konsequenzen haben.

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2017: Internet: Smarte neue Welt
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