Gekommen, um zu bleiben

Simone Schlindwein

Manish Kalla führt eine Spirituosenfabrik und setzt sich für die Interessen indischer Unternehmer in Uganda ein.

Inder in Ostafrika
Die Geschichte der Inder in Ostafrika ist eng mit der britischen Kolonialherrschaft verbunden
In Uganda leben mehrere Tausend Inder. Sie halten die Wirtschaft am Laufen – doch richtig beliebt sind sie nicht.

Prächtig erheben sich die 15 indischen Tempel in der Altstadt von Kampala über das Häusermeer von kleinen Läden und engen, geschäftigen Gassen. Ugandas Hauptstadt ist schon seit Kolonialzeiten geprägt von indischen Einflüssen: Neben den zahlreichen Hindu-Tempeln finden sich indische Restaurants, Textilmanufakturen und Krankenhäuser. Selbst das traditionelle ugandische Fastfood, das es an jeder Straßenecke an kleinen Holzbuden zu kaufen gibt, ist indischer Herkunft: das Chapati, ein Fladenbrot.

Das Brot sei mit den ersten Indern nach Kampala gekommen, erklärt Manish Kalla, Vorsitzender der indischen Gesellschaft in Uganda. Der Interessenverband der indischstämmigen Bevölkerung zählt knapp 30.000 Mitglieder. Als die britische Kolonialmacht Ende des 19. Jahrhunderts eine Eisenbahnstrecke baute, um Kenias Hafen Mombasa für den Export von Baumwolle und Holz mit dem Inneren des Kontinents zu verbinden, holte sie indische Arbeitskräfte nach Afrika. Die meisten waren Sikhs und stammten aus der nordwestlichen Region Marwar in der Provinz Rajasthan. Viele von ihnen waren gelernte Ingenieure, hatten Erfahrung im Bau von Eisenbahnen und galten als hart arbeitende Menschen. Diese Eigenschaften wollten sich die Briten zunutze machen.

Mehr als 30.000 Inder standen 1930 in Ostafrika unter Vertrag, als die Eisenbahnstrecke bis nach Kampala gebaut wurde. Indische Köche verpflegten sie mit traditionellem Essen: Schon damals war das Chapati das schnelle Brot auf die Hand, das sättigte und kräftigte. Die Eisenbahntrasse nach Kampala war 1931 fertiggestellt. Einige Arbeiter kehrten nach Indien zurück, doch die meisten von ihnen blieben in Uganda – wie die Vorfahren von Manish Kalla, die auch am Eisenbahnbau beteiligt waren. „Sie sahen hier eine gute Gelegenheit, um Geschäfte zu machen. Außerdem ist Uganda wunderschön“, sagt er und lächelt. 

85 Arbeiter beschäftigt er, darunter nur drei Inder

Kalla sitzt in seinem Büro und schlürft heißen ugandischen Kaffee aus einer Thermoskanne. Sie trägt das Logo der indischen Reiseagentur „Satguru“, die günstige Flugreisen zwischen Ostafrika und Indien anbietet. Die mehr als 40 indischen Unternehmen in Uganda gehören zu den Top-Steuerzahlern im Land, die Chefs  kennen sich untereinander. Jedes Jahr organisiert Kalla ein ugandisch-indisches Geschäftstreffen, zu dem er auch Unternehmer aus Indien einlädt, um noch mehr Investoren anzulocken. Im vergangenen Jahr nahmen 175 Leute am Business-Forum teil, das von Ugandas Premierminister Ruhakana Rugunda feierlich eröffnet wurde.

Kalla ist seit 2015 Chef des Spirituosenherstellers „Grays“. Vorher leitete er das erfolgreiche Unternehmen „Crestanks“, das Wassertanks und Abwassersysteme herstellt. Kalla ist in Uganda geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er nennt das afrikanische Land sein „Zuhause“. Vom Fenster neben seinem Schreibtisch blickt er in die Werkhalle hinab, wo Alkohol destilliert und in Flaschen abgefüllt wird. 85 Arbeiter beschäftigt er, darunter nur drei Inder. Darauf ist er stolz – wird den Indern in Uganda doch nachgesagt, dass sie meist unter sich bleiben und lieber ihre Landsleute einstellen als Ugander. Die meisten indischen Kinder besuchen indische oder internationale Schulen. Fest- und Feiertage werden nach dem indischen Kalender begangen, zu indischen Festen sind nur selten Ugander eingeladen.

Doch auch Kalla pflegt seine Überzeugungen: „Die meisten Ugander gehen pünktlich zu Dienstschluss nach Hause, während wir Inder so lange schuften, bis die Arbeit erledigt ist“, sagt er. Als seine Sekretärin um 17 Uhr den Kopf zur Tür hineinsteckt, um sich in den Feierabend zu verabschieden, lächelt er bestätigend und bittet sie, noch eine Tasse Kaffee zu bringen. „Ich muss noch eine Weile durchhalten.“

Das Verhältnis zwischen Ugandern und Indern ist nicht einfach. Auf beiden Seiten gibt es Vorurteile. In indischen Supermärkten sitzt oft der Inhaber direkt neben der Kassiererin und schaut ihr prüfend über die Schultern, wenn sie das Wechselgeld abzählt. Umgekehrt bezeichnen die Ugander die Inder als herrschsüchtig und arrogant.

90 Tage Zeit, das Land zu verlassen – mit maximal einem Koffer pro Person

Das hat viel mit der Geschichte zu tun. 1972 hatte Ugandas Diktator Idi Amin den Einfall, die Wirtschaft würde boomen, wenn alle Fabriken und Unternehmen in ugandischer Hand seien. Damals stellten die Inder die Mehrheit der Geschäftsleute in Kampala, sie waren im Handel und im Textilsektor tätig. Amin gab ihnen 90 Tage Zeit, das Land zu verlassen – mit maximal einem Koffer pro Person. Mehr als 80.000 Inder packten ihre Habseligkeiten und flohen, die meisten nach Großbritannien oder Kanada. Auch die knapp 20.000 Inderinnen und Inder, die zu jener Zeit bereits die ugandische Staatsbürgerschaft besaßen, sollten gehen. Daraufhin brach die Wirtschaft zusammen, obwohl viele Fabriken und Unternehmen in ugandische Hände übergingen.

Präsident Yoweri Museveni, der noch heute die Geschicke des Landes lenkt, wollte gegensteuern. Nach seinem gewaltsamen Machtantritt 1986 lud er die Inder ein, zurückzukommen. Er gab ihnen ihr Land zurück, zum Teil auch ihre Unternehmen. Viele zögerten, vor allem die ältere Generation, die sich im Westen niedergelassen hatte. Eine Reihe von jüngeren, risikofreudigen Geschäftsleuten aus Indien folgte jedoch seinem Ruf. „Das war der Beginn einer innigen Freundschaft“, erklärt Kalla. Bis heute ist Museveni der wichtigste Schutzpatron der indischen Wirtschaftselite in Uganda. Knapp 30.000 Inder haben mittlerweile die ugandische Staatsbürgerschaft.

Autorin

Simone Schlindwein

ist Journalistin und Afrika-Korrespondentin der Tageszeitung (taz) in Berlin. Sie lebt und berichtet seit zwölf Jahren aus der Region der Großen Seen.
Museveni musste den Indern viel bieten, um ihr Vertrauen wiederzuge­winnen. Er garantierte ihnen Glaubensfreiheit, sie durften Hindu-Tempel bauen, und er sicherte ihnen zu, dass sie ihre traditionellen Feste sowie Straßenumzüge feiern dürfen. Mehrfach im Jahr werden dafür die Hauptstraßen in der Innenstadt von der Polizei abgeriegelt. Er erlaubte ihnen, sich um die ugandische Staatsbürgerschaft zu bewerben, und ließ zu, dass Inder, die in Uganda geboren wurden, in die Politik gingen. Drei Abgeordnete mit indischen Wurzeln sitzen im Parlament. „Wir wurden dank Museveni Teil des Systems“, so Kalla. Dass Museveni, mittlerweile seit 32 Jahren im Amt und 73 Jahre alt, bald vielleicht nicht mehr Präsident sein wird, „macht uns Sorgen“, gibt Kalla zu. Indische Unternehmer gelten in den Wahlkämpfen als Hauptsponsoren von Musevenis Regierungspartei NRM (Nationale Widerstandsbewegung).

Dafür wollen sie aber auch Gegenleistungen. Im vergangenen Jahr reichte Kalla als Vertreter der indischen Gemeinschaft eine Gesetzesinitiative ein: Die Inder wollen in der Verfassung Ugandas als einheimische Ethnie anerkannt werden und automatisch die Staatsbürgerschaft erhalten, wenn sie neu ins Land kommen. Bislang kann jeder, der länger als zehn Jahre in Uganda lebt oder hier geboren ist, einen Antrag stellen. Das Nachbarland Kenia hat diesen Wunsch im Sommer 2017 bereits erfüllt: Inder können dort nun einfacher Land kaufen und benötigen keine Arbeitserlaubnis mehr. Sie sind den Kenianern in jeder Hinsicht gleichgestellt.

„Viele Inder meiner Generation gehen nun in den Ruhestand. Sie kaufen Land, um sich niederzulassen“, erklärt Kalla. Ihre Kinder sind in Uganda geboren, zur Schule gegangen und aufgewachsen, sie kennen Indien kaum. Diese Generation pflege einen globalisierten Lebensstil und integriere sich umso mehr in die ugandische Gesellschaft, je moderner diese werde. Das zeigt sich auch beim Essen. Kalla selbst schätzt längst auch ugandische Gerichte. Besonders gerne isst er Matoke, einen Brei aus Kochbananen, oder Kassavawurzeln. Und die Kinder „essen eh alle lieber Burger und Pizza – da sind die Ugander wie die Inder“, sagt er und lacht.  

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erschienen in Ausgabe 2 / 2018: Diaspora: Zu Hause in zwei Ländern
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