Öko-Erwachen auf Kirchenland

Bewirtschaftung
Die Kirchen gehören zu den größten Landbesitzern in Deutschland. Ob ihre Äcker und Weiden ökologisch bewirtschaftet werden, hat für sie lange kaum eine Rolle gespielt. In vielen Gemeinden ändert sich das jetzt.

Reinhard Widmann ist ein echter Pionier: Vor 26 Jahren zog der Landwirt aus der Nähe von Stuttgart nach Gnadenthal, ein 70-Seelen-Dorf im hessischen Taunus. Dort hatte sich die Jesus-Bruderschaft, eine Lebensgemeinschaft von rund 50 Männern, Frauen und Familien verschiedener christlicher Konfessionen, in einem ehemaligen Zisterzienserinnen-Kloster niedergelassen. Die Bruderschaft war damals auf der Suche nach einem Landwirt, der ihre Flächen im Einklang mit dem Schöpfungsgedanken bewirtschaftet. Gefunden haben sie Widmann: Der heute 58-Jährige war nicht nur überzeugter Christ, sondern bereits damals Anhänger des Ökolandbaus.

Seit 1993 leitet der studierte Landwirt den Hof der Bruderschaft. Dessen Herz schlägt direkt hinter der im 13. Jahrhundert erbauten Klosterkirche: In einem Freiluftstall blöken 40 Kühe vor sich hin, es riecht nach Vieh, Gülle und Stroh. „Unser Haupteinkommensbringer ist die Milch“, erklärt Widmann. Rund 230.000 Liter liefert das Hofgut Gnadenthal jährlich an die regionale Biobauernmolkerei Upländer. Auf rund 115 Hektar Land baut Widmann mit seinen Angestellten Futter für die Kühe sowie etwas Weizen und Dinkel für den Verkauf an. Dazu kommen ein paar Streuobstwiesen mit Platz für 400 Apfelbäume und um die 100 Schafe.

Das Hofgut der Bruderschaft trägt das grün-weiße Siegel von Bioland, dem größten deutschen Verband für ökologischen Landbau. Anders als in der konventionellen Landwirtschaft ist Bioland-Betrieben der Einsatz chemisch-synthetischer Dünger oder von Pestiziden nicht erlaubt. Auch der geräumige Laufhof seines Kuhstalls ist Vorschrift. Mindestens die Hälfte des Futters muss aus eigenem Anbau stammen. Die Verbandsregeln sind in vielen Punkten strenger als die Ökoverordnung der Europäischen Union. Letztes Jahr bekam Widmann eine Urkunde für die 25-jährige Mitgliedschaft überreicht. „Als wir hier angefangen haben, hieß es, wir seien Spinner“, erinnert er sich.

Für einen Spinner wird Widmann heute nicht mehr gehalten; mit den konventionellen Bauern, die ihre Felder links und rechts von ihm bewirtschaften, verstehe er sich gut, sagt er. Der Ökolandbau ist seiner Nische entwachsen: Seit 1990 steigt der Anteil ökologisch bewirtschafteter Flächen kontinuierlich. Bis 2030 sollten laut dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung 20 Prozent der insgesamt 16,7 Millionen Hektar Agrarfläche ökologisch bewirtschaftet werden. Ein ambitioniertes Ziel, denn mit derzeit 8,2 Prozent ist man davon noch weit entfernt.

Autor

Moritz Elliesen

ist Online-Redakteur bei "welt-sichten".
Einen erheblichen Beitrag könnten die deutschen Kirchen leisten. Sie zählen zu den größten Grundbesitzern Deutschlands. Die Gemeinden der evangelischen Kirche nennen 325.000 Hektar Acker, Wald und Wiesen ihr Eigen; davon werden rund 260.000 Hektar landwirtschaftlich genutzt, meist von Bauern, die das Land gepachtet haben. Der Landbesitz der katholischen Gemeinden wird auf 200.000 Hektar geschätzt. Das sind zusammengerechnet knapp drei Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland.

Biobauern hatten in der Vergangenheit angeregt, die Kirche solle ihre Betriebe bei der Vergabe von Pachtland bevorzugen. Und auch aus der Bundesregierung sei der Wunsch zu hören, dass die Kirchen mit ihrem Land zum Erreichen des 20-Prozent-Ziels beitragen, heißt es in dem jüngsten Impulspapier der EKD-Kammer für nachhaltige Entwicklung. Doch so einfach ist es nicht.

Zwar wird in beiden Kirchen der Ruf nach einer „schöpfungsgerechten“ Bewirtschaftung der eigenen Flächen lauter. Aber anders als für die Jesus-Bruderschaft bedeutet „schöpfungsgerecht“ in den Volkskirchen nicht automatisch Ökolandbau. Deutlich wird das an einem Beschluss der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus dem Jahr 2013. Man solle „ökologische und konventionelle Betriebe, die nachhaltig wirtschaften“, bei der Verpachtung des Kirchenlands bevorzugen, heißt es dort. Der Zusatz „und konventionelle Betriebe, die nachhaltig wirtschaften“ wurde nachträglich hinzugefügt. „Niederlage für Biobauern“ schrieb die Berliner „Tageszeitung“ damals nach der Zusammenkunft des Kirchenparlaments. Auf katholischer Seite formulierte eine Expertengruppe der deutschen Bischofskommission 2016, dass die Kirche ihre Flächen entweder selbst „ökologisch nachhaltig“ bewirtschaften oder eine „entsprechende Bewirtschaftungsweise“ bei der Verpachtung vertraglich festhalten solle.

Anders als die Jesus-Bruderschaft in Gnadenthal sind die beiden Volkskirchen mit ihren knapp 45 Millionen Mitgliedern ein Spiegelbild gesellschaftlicher Debatten und Konflikte. Zum Kompromiss der Synode sagt Ruth Gütter, EKD-Nachhaltigkeitsreferentin und Mitglied der Kammer für nachhaltige Entwicklung: „An dem Beispiel sieht man, dass wir als Kirche immer noch ein sehr großer Tanker sind.“ Auf der einen Seite gebe es in den Synoden eine „starke Lobbyarbeit“ für den ökologischen Landbau; auf der anderen Seite stünden diejenigen, die stärker die Existenznöte in der Landwirtschaft in den Mittelpunkt rücken und sich deshalb zu Fürsprechern der konventionellen Bauern machen. Eine Agrarwende zu mehr ökologischer Landwirtschaft mit all ihren Kosten müsse deshalb nicht nur von der Landwirtschaft, sondern von allen gesellschaftlichen Gruppen, darunter auch den Verbrauchern, getragen werden.

Doch entscheidend für den Umgang mit dem Kirchenland ist ohnehin, was an der Basis passiert. Die Verlautbarungen übergeordneter Instanzen wie der EKD oder der Bischofskonferenz setzen Impulse und bestimmen die Richtung der Debatte. Bis auf wenige Ausnahmen entscheiden aber die Gemeinden als Eigentümer des Landes, wer zu welchen Bedingungen ihre Äcker bewirtschaftet. Ohne Initiative von unten geht also nichts. „Unser Einfluss als EKD ist begrenzt“, sagt Gütter.

Horcht man in den Landeskirchen und Bistümern nach, kriegt man oft zu hören, dass ökologische Bewirtschaftung bei der Auswahl der Pächter in der Vergangenheit keine große Rolle gespielt hat. In der Regel verlängerten die Kirchenvorstände die Verträge, die nach neun oder zwölf Jahren auslaufen, mit dem bisherigen Pächter. „Damit sich eine Gemeinde mit den ökologischen Folgen ihrer Pachtvergabe auseinandersetzt, braucht es schon sehr engagierte Pfarrer und Pfarrerinnen oder Kirchenvorstandsmitglieder“, sagt Gütter. Einen ähnlichen Eindruck hat Ulrich Oskamp, Diözesanreferent der Katholischen Landvolkbewegung (KLB) im Bistum Münster: „In der täglichen Arbeit der Gemeinden ist der Gedanke der Schöpfungsverantwortung oft untergegangen.“

Deutschlandweite Statistiken dazu, wie die Kirchenäcker bestellt werden, gibt es weder für die katholische noch für die evangelische Kirche. Dass man entsprechende Anfragen nicht beantworten könne, sei ein „verwaltungstechnisches Versäumnis“, schreibt die EKD-Kammer für nachhaltige Entwicklung in ihrem Impulspapier.

Ein Beispiel dafür, wie weit der Diskussionsstand zwischen der Leitungsebene und den Gemeinden bisweilen auseinanderklafft, ist die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Den Gemeinden der EKHN gehören insgesamt rund 6.500 Hektar Land. Lief ein Pachtvertrag aus, wurden die frei werdenden Flächen oft nicht einmal öffentlich ausgeschrieben. „Bauern, die nicht bereits Kirchenland bewirtschafteten, hatten keine Chance, sich überhaupt zu bewerben“, erzählt Maren Heincke. Die promovierte Agrarwissenschaftlerin arbeitet seit 2003 als Referentin für den ländlichen Raum im EKHN-Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung. „Die fehlende Transparenz hatte zur Folge, dass alles beim Alten blieb.“

Doch Heincke berichtet auch, dass die Gemeinden langsam aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen. Dazu hat beigetragen, dass die EKHN ihre Gemeinden seit Januar 2018 kirchenrechtlich verpflichtet hat, öffentlich bekannt zu machen, wenn ein Pachtvertrag ausläuft – etwa durch eine Anzeige im Gemeindeblatt oder einen Aushang im Dorfkasten. Informelle Absprachen im Hinterzimmer sind seitdem nicht mehr möglich. „Vielerorts wird über den Umgang mit dem eigenen Land diskutiert“, sagt Heincke. Um ihre Kirche dafür zu sensibilisieren, tourt die promovierte Agraringenieurin mit der Veranstaltung „Kirchenland ist Bodenschatz“ durch die Gemeinden. Im vergangenen Jahr habe sie damit rund 250 Menschen erreicht. „Für einen schöpfungsgerechten Umgang mit dem eigenen Boden musste ich nicht viel missionieren.“

Ähnliches hört man aus anderen Landeskirchen: „Mich rufen sehr viele Kirchenmitglieder an und fragen, warum wir auf unseren eigenen Flächen nicht mehr tun“, erzählt beispielsweise Jan Menkhaus, wissenschaftlicher Referent für Landwirtschaft und Ernährung in der Nordkirche. Mit rund 55.000 Hektar Land in drei Bundesländern gehören deren Gemeinden zu den größten Landbesitzern in der evangelischen Kirche. Und KLB-Referent Oskamp hat den Eindruck, dass auch an der Basis der katholischen Kirche über eine ökologischere Bewirtschaftung ihres Landes diskutiert wird.

Wenn Gemeinden im Zuge einer Neuverpachtung wollen, dass ihre Äcker ökologischer bewirtschaftet werden, sind sie mit einer komplizierten Gemengelage konfrontiert. „Das ist für die Landwirte oft sehr schmerzhaft“, sagt Menkhaus. „Da haben schon die Eltern das Kirchenland gepachtet und die sehen das als ihr Eigentum.“ Für viele Landwirte seien die Gemeindeäcker, deren Pachtpreise oft unter dem Durchschnitt liegen, zudem wirtschaftlich wichtig. Das sei immer ein „vermintes Terrain“, sagt auch Heincke. Noch komplizierter werde es, wenn die Landwirte engagierte Kirchenmitglieder sind: Viele Gemeindevorstände hätten Angst, von den Bauern angefeindet zu werden.

Damit solche Konflikte nicht eskalieren,  müssten die bisherigen Pächter frühzeitig einbezogen werden, sagt Menkhaus. Auch er hält deshalb nichts von der Maximalforderung, die Kirche solle in jedem Fall Ökobauern bevorzugen. Gebe es keinen Ökobetrieb in der Nähe, könne man das ohnehin nicht umsetzen: „Die Alternative ist dann, dass konventionelle Landwirte auf den Feldern der Kirche zusätzliche ökologische Kriterien berücksichtigen.“

Das kann ganz unterschiedlich aussehen: Im norddeutschen Dorf Berkenthin erklärten sich die Pächter nach einer gemeinsamen Diskussion unter anderem bereit, Blühstreifen für Insekten auf ihren Äckern auszusäen. Im Norden Schleswig-Holsteins wolle eine Gemeinde eine solidarische Landwirtschaft auf ihrem bisher konventionell bewirtschafteten Land aufbauen, erzählt Menkhaus. In der Landeskirche Kurhessen-Waldeck haben Gemeinden eine Diskussion über ein Glyphosatverbot auf Kirchenland angestoßen – auch hier versucht man, die Landwirte einzubinden. Und im Bistum Münster startet in diesem Frühjahr das Projekt „Biodiversität auf Kirchenland“. In ausgewählten Pilotgemeinden sollen Pächter gefunden werden, die Blühstreifen anlegen oder Insektenhotels auf den Kirchenäckern aufstellen. Derzeit sei man auf der Suche nach geeigneten Gemeinden, sagt Oskamp.

Heincke hat mit ihren Kollegen für die Gemeinden der EKHN einen Leitfaden sowie ein Punktesystem erarbeitet, das sie bei der Wahl eines geeigneten Pächters unterstützen soll. Vier von insgesamt 16 Punkten kriegt ein Landwirt, wenn er einen ökologischen Mehrwert auf dem Kirchenland erzielt, etwa indem er an staatlichen Agrarumweltmaßnahmen teilnimmt – ob die Gemeinden sich an das Bewertungsschema halten, ist ihnen selbst überlassen. Der Vorwurf, dass die Kirche nicht genug tue, ärgert Heincke. Dass man innerhalb von ein paar Jahren alles umstellen könne, sei eine „falsche Erwartungshaltung“. Ihre Kirche nennt sie eine „verwaltungstechnische Großorganisation mit Basisdemokratie“. „Da kann man nicht einfach von oben durchregieren.“

Das glaubt auch Widmann nicht. „Was von oben angeordnet wird und nicht von unten gelebt wird, hat keinen Erfolg“, sagt er. Die Diskussion in der evangelischen und katholischen Kirche verfolgt er allenfalls am Rande. „Wir sind hier eine kleine Gemeinschaft für uns.“ Auch die 115 Hektar Land, die er bewirtschaftet, sind gepachtet – Kirchenland ist nicht dabei.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2019: Erde aus dem Gleichgewicht
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