„Es ist unklug, wenn man Chinas Großmachtpolitik beschönigt“

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Internationale Zusammenarbeit
Europa und China
Die EU-Kommission strebt eine neue europäische China-Strategie an, damit sich Europa gegenüber Peking behaupten kann. Ist die Volksrepublik kein tauglicher Partner mehr für die Gestaltung globaler Regeln? Gespräch mit Reinhard Bütikofer

In Brüssel galt China lange in erster Linie als Partner für wirtschaftlichen Austausch und die Gestaltung globaler Regeln, jetzt gilt es als bedrohlicher Rivale. Ist die Kehrtwende berechtigt?
Kehrtwende ist übertrieben, so radikal ist der Wandel nicht. Die EU verabschiedet sich von früherer Blauäugigkeit in Bezug auf China, nicht von der Kooperationsbereitschaft. Partnerschaft mit China ist weiter möglich, wenn Europa zugleich viel stärker für seine eigenen Interessen einsteht als bisher. Dieses Umdenken ist durch viele Faktoren beeinflusst. Zunächst einmal verweigert China selbst kleine politische Freiheiten, die es früher gab, heute entschieden. Chinas Führung hat in Xinjiang den schlimmsten Polizeistaat errichtet, den die Welt derzeit kennt. Menschenrechte gelten heute als feindlicher Gedanke. Chinas kommunistische Partei selbst versteht sich als „systemischer Rivale“ des Westens. Das zu ignorieren wäre leichtfertig. Auch die Industrie, lange Zeit der stärkste Verbündete Chinas in Europa, denkt heute kritischer. Viele Kritiken aus Washington an der chinesischen Industriepolitik werden in der Substanz in Tokio oder in europäischen Hauptstädten geteilt. China hält sich schlicht nicht an die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Es subventioniert etwa eigene Unternehmen massiv entgegen diesen Regeln und verschafft sich so unfaire Vorteile. Europa zieht es allerdings vor, sich dagegen im Rahmen des Handelsmultilateralismus zu wehren, anders als Präsident Trump.

Ist China kein Partner für die Rettung der multilateralen Handelsordnung, die gerade von den USA geschwächt wird?
Ich bitte Sie! Multilateralistisch ist China nur, wo es daraus Vorteile zieht. Die chinesische Belt and Road Initiative (BRI) ist das Gegenteil von Multilateralismus. Trotzdem hat die EU mit China verabredet, über notwendige WTO-Reformen zu verhandeln. Doch China zeigt sich bisher wenig problembewusst. Regelungen, die China begünstigen, sollen unverändert bleiben. Zudem soll die EU darauf verzichten, gegen chinesische Dumpingexporte oder zweifelhafte Investitionen in sensible Infrastruktur vorzugehen. Partner für WTO-Reformen wird China erst sein, sobald es versteht, dass diese dazu beitragen müssen, unfaire chinesische Handelspraktiken zu unterbinden. Das würde ich mir sehr wünschen. Aber im Moment habe ich den Eindruck, Peking liefert sich lieber mit Trump einen Hegemonialkampf.

Großunternehmen aus Amerika und Europa sind global gesehen stärker als chinesische und haben mehr Gewicht in China als umgekehrt. Geht es Europa und den USA darum, ihre ökonomische Vormachtstellung zu erhalten?
Sie sollten erstens Europa und die USA nicht in einen Topf stecken. Unsere Position, unsere Perspektiven und unsere Politik sind nicht deckungsgleich. Zweitens sind chinesische Großunternehmen nicht nur ökonomische Riesen, die mit westlichen Konzernen locker mithalten können, sondern sie sind, unter Kontrolle der kommunistischen Partei Chinas, auch Hebel für deren Expansionspolitik. Wenn zum Beispiel die Frage ist, ob das Telekom-Unternehmen Huawei an absolut sensibler Kommunikations-Infrastruktur in Europa beteiligt sein soll, muss man zur Kenntnis nehmen, dass Huawei nach chinesischem Recht verpflichtet ist, den dortigen Informationsdiensten zuzuarbeiten. Wollen wir davon abhängig sein? Wir wollen doch nicht auf der einen Seite darum kämpfen, dass IT-Plattformen aus den USA in Europa nicht Monopoleinfluss ausüben und sich der Steuer ganz entziehen, und auf der anderen Seite chinesische Staatskontrolle über Teile unserer Wirtschaft hinnehmen.

Sind die Besorgnisse der EU im Wesentlichen in Chinas Industrie- und Wirtschaftsprotektionismus begründet?
Damit fängt es an, aber es geht um mehr. Wenn China zum Beispiel seine Datenmärkte für ausländische Industrie weitgehend sperrt, diese Märkte damit für eigene globale Champions monopolisiert und zugleich daraus Nutzen zieht, dass wir offene Marktwirtschaft betreiben, dann gewinnt letztlich nur China. Also müssen wir auf fairen Regeln bestehen und auf gleichem Recht für alle. Faire Regeln müssen auch multilateral für die Belt and Road Initiative gelten.

Gibt es über die BRI Gespräche zwischen der EU und China?
Ja, das war mehrfach Thema beim jährlichen EU-China-Gipfel. Die EU lehnt Chinas Initiative für Infrastruktur-Investitionen nicht in Bausch und Bogen ab, sondern besteht zum Beispiel auf Nachhaltigkeit, Transparenz und internationalen Standards. Es kann nicht sein, dass in über 85 Prozent aller Fälle nur chinesische Firmen den Zuschlag bei BRI-Projekten bekommen. Kredite aus China dürfen auch nicht Schuldenfallen schaffen, wie es bei Sri Lanka passiert ist. Und wir sollten wachsam sein, wenn China beginnt, sein eigenes totalitäres System zu exportieren. Peking ist dazu übergegangen, in Xinjiang erprobte Überwachungstechnik auch anderen Potentaten anzubieten.

Wie viel Einfluss hat die EU auf Chinas Investitionsstrategie in Afrika und Asien?
So gut wie gar keinen. Wir können das ändern, wenn wir selbst Geld für den Ausbau der Infrastruktur dort in die Hand nehmen. Die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst haben vorgeschlagen, mittelfristig dafür 60 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen und das zu hebeln, also private Investitionen von vielleicht dem Zehnfachen damit anzustoßen. Das wäre ein relevanter Beitrag der EU für Länder, die im Moment vor der Frage stehen: Lassen wir uns auf die chinesischen Bedingungen ein oder tun wir gar nichts?

Wo ist China als Partner der EU weiter unverzichtbar – für Friedenssicherung etwa?
Meinen Sie mit Friedenssicherung die Bedrohung Taiwans, oder meinen Sie Chinas aggressives Auftreten im Südchinesischen Meer? Meinen Sie die Unterstützung von Diktatoren wie Maduro in Venezuela oder Assad in Syrien?

Ich denke eher an das Iran-Abkommen, Nordkorea oder Blauhelmmissionen in Afrika.
Überall, wo wir mit China gemeinsame Perspektiven entwickeln können, sollten wir das unbedingt tun. Man tut sich aber keinen Gefallen, wenn man Chinas Großmachtpolitik beschönigt. Wir müssen friedenspolitische Ziele auch da verfolgen, wo Peking nicht mitspielt. Zum Beispiel ist China nicht bereit festzustellen, dass Russlands Annexion der Krim gegen internationales Recht verstößt.

Und wie sieht es beim Klimaschutz aus – kann der wirken, ohne dass man sowohl die USA als auch China ins Boot holt?
Beim Klima geht Präsident Trump auf Totalkonfrontation, während China immerhin halbherzig zum Klimaschutz beiträgt. Doch meines Erachtens müsste China viel ambitioniertere Ziele dabei verfolgen als bisher. Und es müsste darauf verzichten, in großem Stil Kohletechnologie zu exportieren. Die Zahl der Kohlekraftwerke, die unter der BRI-Initiative außerhalb Chinas entstehen sollen, ist so groß, dass der Pariser Klimavertrag Makulatur ist, wenn nur die Hälfte gebaut wird.

Sehen Sie eine Chance, dass die EU-Mitglieder sich auf eine gemeinsame Chinapolitik einigen?
Ja. Eine wesentliche Voraussetzung ist aber, dass die größeren Länder Europas, vor allem Deutschland und Frankreich, gegenüber China nicht Alleingänge betreiben, die zu Spaltungen innerhalb der EU führen, welche China dann ausnutzt. Das muss man sich vor allem in Berlin hinter die Ohren schreiben. Dort hat man zuletzt viel über Rom geklagt, weil Italien aus der europäischen Gemeinsamkeit ausscherte. Aber insgesamt hat Berlin über die Jahre mehr mit Peking gekuschelt als Rom.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2019: Multilaterale Politik: Zank auf der Weltbühne
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