Wirtschaften im Sinne des Propheten

Das islamische Finanzwesen verbietet Zinsen und spekulative Geschäfte. Manche Experten, auch Nicht-Muslime, sehen darin ein Gegengewicht zum Raubtierkapitalismus. Kritiker meinen, es sei lediglich eine Spielart des konventionellen Systems unter einem religiös-moralischen Deckmantel. Noch ist das islamische Finanzwesen auch in den meisten islamischen Ländern eine Nische. Doch von seinen ethischen Grundlagen und rechtlichen Vorschriften könne das konventionelle Finanzsystem einiges lernen, findet der Wiener Wirtschaftswissenschaftler Michael Mahlknecht.

Auf welchen ethischen Grundsätzen beruht das islamische Finanzwesen?

Das islamische Finanzwesen basiert auf drei grundlegenden Verboten, die sich aus dem Koran und der Sunna, der Überliefung der Taten des Propheten Mohammed, ergeben. Es ist verboten, Zinsen zu nehmen und damit Geschäfte zu machen. Ferner sind Spekulationen, also alle Geschäfte, die mit einem unkalkulierbaren Risiko behaftet sind, nicht erlaubt. Das gilt zum Beispiel für Leerverkäufe, weil man damit etwas verkauft, über das man noch nicht verfügt. Und schließlich ist Glücksspiel verboten, darunter fallen auch Finanzderivate. Im konventionellen Finanzwesen gibt es ja eine große Zahl von sehr komplexen Finanzprodukten, die weder die Kunden noch die Banken selbst vollständig durchschauen. Solche Unklarheiten sind im islamischen Finanzwesen nicht gestattet.

Welche Ziele werden damit verfolgt?

Das islamische Finanzwesen ist in keiner Form profit- oder leistungsfeindlich. Eher im Gegenteil: Es ist sehr handels- und wirtschaftsfreundlich, eben weil es nicht ausschließlich auf die Bereicherung der Banken und Investoren selbst abgestellt ist. Das islamische Finanzwesen verfolgt den Gedanken, bei Vertragsabschlüssen beide Seiten zu schützen, vor allem die schwächere – das ist meist der Bankkunde oder Versicherungsnehmer. Und es orientiert sich am Wohl der Gemeinschaft. Wenn jemand in einen Fonds investiert, muss er laut dem Islam aus seinen Gewinnen einen Anteil spenden.

Welche ethischen Kriterien spielen bei der Auswahl von Investitionen eine Rolle?

Man darf nicht in Firmen investieren, die Waffen oder Alkohol herstellen oder vertreiben. Das Gleiche gilt für die Produktion und den Vertrieb von Schweinefleisch. Das sind Mindestkriterien, die islamische Fonds, Banken und Investoren berücksichtigen müssen. Zusätzlich können ökologische oder soziale Kriterien einbezogen werden. Zum Beispiel gibt es einen islamischen Fonds, der Investitionen in Unternehmen verbietet, die in der Stammzellforschung tätig sind.

Welche Vorteile haben islamische Formen der Unternehmensfinanzierung gegenüber Krediten?

Man kann auf Zeit in kleine Unternehmen investieren und dafür Anteile am Gewinn erhalten. Dann gibt es keinen Kreditnehmer, der selbst dann etwas zurückzahlen müsste, wenn er pleite ist. Eine Rückzahlung findet nur statt, wenn es sich der Kapitalempfänger auch leisten kann. Die Mikrofinanzierung ist allerdings in der Praxis noch nicht so weit ausgearbeitet. Das islamische Finanzwesen insgesamt ist noch sehr jung. Die ersten islamischen Banken und Versicherungen sind erst Ende der 1970er Jahre entstanden. Sie sind auch innerhalb der meisten islamischen Länder noch eine Minderheit. Das gilt sogar für Staaten wie Dubai oder Bahrain. Mittlerweile gibt es rund 300 islamische Finanzinstitute weltweit. Das Volumen islamischer Wertpapiere und Versicherungen wuchs in den vergangenen Jahren stetig an. Zurzeit werden weltweite Standards entwickelt für Rechtsauslegungen, Finanzprodukte und Aufsichtsstrukturen. Das Ganze befindet sich noch in der Entwicklung. In einzelnen Ländern hat man allerdings schon versucht, das gesamte Finanzwesen zu islamisieren.

Welche Länder sind das?

Der Iran, Pakistan und der Sudan haben es versucht, sind aber aus unterschiedlichen Gründen nicht sehr weit damit gekommen. Aber die wirtschaftlichen Probleme dieser Länder haben ja nichts mit den Besonderheiten des islamischen Finanzwesens zu tun, sondern liegen in lokalen Umständen.. Das weltweit größte islamische Finanzsystem ist in Malaysia entstanden. Dort werden die meisten korangerechten Finanzprodukte geschaffen, darunter Hypotheken und Unternehmensfinanzierungen. Die Frage ist aber noch offen, ob ein Wirtschaftssystem effizient funktionieren kann, wenn es vollständig islamkonform gestaltet würde.

Welche Aspekte sind besonders kritisch?

Diskutiert wird vor allem über das Zinsverbot bei der Vergabe von Krediten. Ein wichtiges Steuerungsmittel für die Wirtschaft ist ja der Zentralbankzinssatz, über den sich die Banken refinanzieren können. Einen solchen Zinssatz kann es im islamischen Finanzwesen nicht in der gleichen Form geben. Andererseits besteht wiederum die Möglichkeit, andere Finanzierungsformen zu entwickeln. Im konventionellen System würde ein Kunde für einen Autokauf einen Kredit aufnehmen und der Bank mit einem gewissen Zinssatz zurückzahlen. Die Bank könnte aber auch im Auftrag des Kunden das Auto kaufen und es ihm mit einem Preisaufschlag weiterverkaufen. Diesen Preis kann der Kunde in Raten abzahlen. Ökonomisch gesehen ist es sehr ähnlich, außer dass es keine Strafzinsen für verzögerte Zahlungen an die Bank geben kann; juristisch ist das unter gewissen Bedingungen erlaubt.

Wenn Leerverkäufe und Finanzderivate im islamischen Finanzwesen verboten sind, hat sich die weltweite Finanzkrise auf Länder mit vorrangig islamischen Finanzinstituten weniger stark ausgewirkt?

Man muss klar zwischen muslimisch geprägten Ländern und dem islamischen Finanzwesen als solchem unterscheiden. So hat beispielsweise Dubai extrem unter der Krise gelitten, während Abu Dhabi noch immer sehr stabil ist. Für eine Einschätzung relevanter sind islamische Finanzinstitute und Aktienindices. Letztere haben im Vergleich zu konventionellen Indices im ersten Jahr der Krise deutlich besser abgeschnitten. Als dann die ganze Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wurde, sanken sie jedoch, mit einiger Verzögerung, auch. Bei islamischen Anleihen sind erst in jüngster Zeit einige ausgefallen. Bis vor ein paar Monaten war das noch nie der Fall gewesen. Denn islamkonforme Anleihen sind immer mit realen Geschäften unterlegt. Generell verhindert das islamische Finanzwesen die Loslösung des Finanzmarktes von der Realwirtschaft.

Was kann das konventionelle System vom islamischen lernen?

Man darf das nicht als Konkurrenz betrachten. Neben dem konventionellen und dem islamischen Finanzwesen gibt es in Europa noch das System der ethischen Investments, die alle miteinander zusammenhängen. Das islamische Finanzwesen nimmt zunehmend Aspekte des nachhaltigen und ethischen Finanzwesens auf. Umgekehrt kann der Westen vom islamischen Finanzsystem lernen, wenn es um Klarheit und Transparenz geht.

Setzen sich solche Ideen allmählich auch im Westen mehr durch?

Das Interesse daran wächst. Alternativen zum Spekulationsdenken erfahren einen hohen Zuspruch. Das islamische Finanzwesen bietet da einen pragmatischen Weg, der in der Mitte liegt zwischen der Einstellung, dass auf dem freien Markt alles erlaubt ist, und dem Ruf nach Verboten. So lässt es etwa Hedging-Produkte zu, die für Unternehmen wichtig sind, um sich gegen Währungsschwankungen oder andere Risiken abzusichern. Aber man versucht, sie so zu gestalten, dass sie nicht mit hoher Liquidität als Spielgeld verwendet werden können. Man will also die Vorteile solcher Instrumente nutzen und den Missbrauch verhindern.

Im übrigen nutzen auch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank bereits seit längerem islamische Finanzinstrumente, etwa durch die Emission islamischer Anleihen. Staaten mit schwacher Kreditwürdigkeit können damit mehr erreichen als mit verzinslichen Anleihen am globalen Kapitalmarkt. Öffentliche Körperschaften und Unternehmen können damit ihre Investorenbasis verbreitern, in dem sie etwa gezielt Investoren im Nahen-Osten ansprechen.

Werden auf dem europäischen Markt islamische Finanzprodukte angeboten?

Eine türkische Bank hat vor einigen Wochen von der Aufsichtsbehörde BaFin die Zulassung für den Vertrieb islamischer Finanzprodukte in Deutschland erhalten. In England gibt es bereits mehrere islamische Finanzinstitute und eine Versicherung, in Italien und Frankreich sind Banken geplant, in der Schweiz eine gesamteuropäische, ethische Versicherung. Angesichts der Vorurteile gegenüber dem Islam halten es die großen deutschen Banken wohl für etwas riskant, solche Produkte auf den Markt zu bringen. Das Wort Scharia hat in Europa keinen guten Klang. Es gibt ja auch Missbrauch und Auslegungen, die aus europäischer Sicht inakzeptabel sind.

Wie wird denn die Einhaltung der Prinzipien kontrolliert?

Die Banken haben ethisch-juristische Aufsichtsgremien, sogenannte „Scharia Boards“, die sich aus islamischen Gelehrten, zum Teil aber auch Vertretern anderer Religionen oder Ethik-Experten zusammensetzen. Sie wachen über die Zulässigkeit von Produkten und Abläufen innerhalb der Banken und Versicherungen. Sie erstellen Rechtsgutachten, ob diese unter ethischen Gesichtspunkten und vertragsrechtlich islamkonform sind.

Versicherungen werden ebenfalls nach islamischen Prinzipien gestaltet. Welche Vorteile hat das für die Versicherten?

Bei der Gestaltung von Verträgen ist nach islamischem Recht größte Transparenz vorgeschrieben. Damit wird ausgeschlossen, dass der Kunde beispielsweise bei einer Lebensversicherung mit den Beiträgen eine versteckte Provision an den Versicherungsberater zahlt und unliebsam überrascht wird, wenn er bei einer vorzeitigen Auszahlung einen geringeren Betrag erhält als seine Einzahlungen. Das islamische Modell ähnelt zudem genossenschaftlichen Versicherungen, das heißt die Versicherungsnehmer teilen ihr Risiko mit anderen Versicherungsnehmern. Das Management hat nicht die Aufgabe, den Gewinn über das Prämienvolumen zu maximieren, sondern den Kunden eine möglichst gute Sicherung zu bieten. Es darf nur in islamkonforme Anlagen investieren, nicht in spekulative Finanzinstrumente. Und das Geld muss nach ethischen Richtlinien angelegt sein.

Das Gespräch führte Gesine Wolfinger.

Michael Mahlknecht befasst sich seit Jahren mit dem ethischen, nachhaltigen und islamischen Finanzwesen. In diesem Jahr ist sein Buch „Islamic Finance: Einführung in Theorie und Praxis“ im Weinheimer Wiley-Verlag erschienen.

erschienen in Ausgabe 11 / 2009: Anders wirtschaften
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