Geld auf ferne Kicker setzen

AfP/Getty Images

Verzockt oder den richtigen Riecher gehabt? Im Wettbüro in Kampala (Uganda) verfolgen junge Männer gebannt im Fernsehen ein Fußballspiel der englischen Premier League.

Sportwetten in Afrika
Die Spiel- und Wettbranche wird im globalen Norden mehr und mehr reguliert, kann sich aber in Afrika südlich der Sahara nahezu ungehindert ausbreiten. Die sozialen Kosten sind hoch.

Wetten und Glücksspiel sind ein Problem der öffentlichen Gesundheit und müssen auch als solches behandelt werden – das betonen europäische Wissenschaftler immer wieder. Denn die Schäden sind offensichtlich, die nicht nur die Spielenden, sondern auch deren Familien, das Gemeinwesen und die Gesellschaft davontragen: Verlust von Hab und Gut, Suchterkrankungen und Depressionen bis hin zum Suizid, Gewichtsverlust, Gewalt in der Familie und der Zusammenbruch von Beziehungen.

Internetgestützte Spielangebote sind im digitalen Zeitalter allgegenwärtig, das verstärkt die schädlichen Folgen. Denn Spieler können, ohne mit irgendeinem anderen Menschen in Kontakt zu kommen, jederzeit und überall Wetten abschließen.  

Vor allem in Europa beginnen politische Entscheidungsträger allmählich, auf die Bedenken von Wissenschaftlern, Aktivisten und Gesundheitsexperten zu hören. So kam im Dezember 2019 erstmals eine Expertenrunde der Weltgesundheitsorganisation WHO zusammen, um sich mit den Gesundheitsfolgen des „beispiellosen Booms beim kommerziellen Spielen“ in den letzten Jahren zu befassen. Das ist ein Fortschritt.

Markt im südlichen Afrika kaum überwacht

Doch während die Spiel- und Wettbranche in einigen Regionen der Welt mehr und mehr ins Blickfeld der Politik rückt, konzentrieren sich kommerzielle Anbieter verstärkt auf Regionen, in denen die Branche (noch) weniger reguliert und überwacht wird. Ähnlich verhielten sich schon große Tabakkonzerne, als ihre Produkte stärkeren Kontrollen unterworfen wurden – unter anderem mit dem Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs von 2003 oder mit der seit 2016 geltenden EU-Tabakrichtlinie.

Autor

Christopher Bunn

ist Soziologe und forscht am Institut für Gesundheit und Wohlbefinden der Universität Glasgow zu globalen Themen der öffentlichen Gesundheit.
Besonderen Anlass zur Sorge gibt Afrika südlich der Sahara. Kritische Beobachter haben aufgezeigt, wie rasant Spiel- und Wettunternehmen dort ihre Angebote ausweiten. Dieses Wachstum bezieht sich auf das ganze Spektrum des Spielens: Kasinos, Lotterien und Onlinespiele ebenso wie die besonders beliebten und weit verbreiteten Sportwetten. Der Markt für Sportwetten ist in Afrika zwar vielfältig, aber die Daten zeigen, dass das Hauptaugenmerk der regionalen Sportwetten auf dem europäischen Fußball liegt.

Die meisten afrikanischen Fußballfans verfolgen die Spiele verschiedener Teams – zum Beispiel einer Mannschaft, die in der englischen Premier League spielt, einer aus der deutschen Bundesliga, einer aus der italienischen Serie A und einem La-Liga-Team aus Spanien. Aus diesem Trend, der vor allem junge Männer erfasst, für die Fußball ein wichtiger Teil ihres sozialen und kulturellen Lebens ist, schlagen die Wettbetriebe auf dem Subkontinent Gewinn. Berichten zufolge umwerben viele von ihnen gezielt eben diesen Personenkreis.

Dabei präsentieren sie Sportwetten als eine gute Möglichkeit, das eigene Geld zu vermehren, denn die jungen Männer könnten ja durch ihr fußballerisches „Expertenwissen“ gut einschätzen, wie die jeweiligen Spiele ausgingen. Es ist sogar vorgekommen, dass Unternehmen ihre Spiel- und Wettangebote als eine Möglichkeit anpriesen, ein „verlässliches Einkommen“ zu erzielen. Angesichts weit verbreiteter Armut und des immensen Drucks, der auf jungen Männern lastet, ihre Familien zu unterstützen oder auch eigene Familien zu gründen, erscheint diese Verkaufsstrategie skrupellos.

Wettverhalten führt zu häuslicher Gewalt

Für Uganda haben Forscher beschrieben, wie junge Menschen in Lira, einer Stadt im Norden des Landes, versuchten, mit Fußballwetten ihr Einkommen aufzubessern und dabei in einen Sog schädlichen Verhaltens gerieten. Erforscht wurden auch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Spielens in der Hauptstadt Kampala, in der sich rund ein Fünftel aller Erwachsenen im vergangenen Jahr an Sportwetten beteiligt haben – darunter zehn Mal mehr Männer als Frauen. Über die Hälfte der Befragten hat berichtetet, dass sie wegen des Wettens weniger Geld für Güter des täglichen Bedarfs ausgaben. 28 Prozent sagten, dass ihr Wettverhalten zu häuslicher Gewalt führe, und 3,4 Prozent gaben an, wegen ihres Spielverhaltens schon einmal Teile ihres Haushalts verkauft zu haben. Die ärmste Gruppe der Befragten gab durchschnittlich 17 Prozent ihres Haushaltseinkommens für Wetten und Spiele aus. Insgesamt deutet der Bericht darauf hin, dass über ein Viertel der befragten Spieler täglich wetteten und über zwei Fünftel wöchentlich.

In Nigeria braucht man kaum mehr als einen Internetzugang, um Geschäfte mit Fußballwetten zu machen. Per Umfrage unter 300 fußballwettenden Nigerianern haben Forscher herausgefunden, dass die Beteiligten auch hier vor allem junge Männer waren, die täglich oder zumindest vier Mal wöchentlich wetteten. Oft verwendeten sie dazu Geld aus der Arbeitslosenunterstützung.
Auch aus Südafrika gibt es Umfrageergebnisse, sowohl aus ländlichen als auch aus städtischen Umfeldern. Eine dieser Studien hat ergeben, dass Südafrikaner, die in Städten leben und Probleme mit Depressionen, Angststörungen, Alkohol- oder Drogenkonsum haben, ähnlich wie in westlichen Staaten ein höheres Risiko tragen, spielsüchtig zu werden. Bemerkenswert ist auch, dass das Spielen in Südafrika ebenso wie in Uganda und Nigeria vor allem unter jungen Männern mit niedrigem Einkommen verbreitet war.

Schädlich für öffentliche Gesundheit

Die bisherigen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sich Spielen und Wetten sehr schädlich auf die öffentliche Gesundheit in Afrika südlich der Sahara auswirken. Vor allem schmälert es das zur Verfügung stehende Haushaltseinkommen. Angesichts weit verbreiteter Armut verringert Spielen damit die Chancen auf gesunde Ernährung, Bildung und Erziehung sowie medizinische Versorgung; es verschärft psychische Probleme und belastet wichtige zwischenmenschliche Beziehungen.

Einige Regierungen in der Region haben das Problem erkannt und bereits etwas unternommen. So vergeben ugandische Behörden keine weiteren Lizenzen an Spiel- und Wettanbieter und haben signalisiert, dass sie bestehende Lizenzen nicht verlängern wollen. Die kenianische Regierung hat Lizenzen von solchen Unternehmen ausgesetzt, die Steuerschulden nicht beglichen haben. Trotz dieser Vorstöße weiten Spiel- und Wettfirmen ihre Geschäfte in der Region aus. Ein führendes Wirtschaftsprüfungsunternehmen bezifferte den afrikanischen Markt für das Jahr 2016 auf 18 Milliarden US-Dollar – „Tendenz rapide steigend“.

Es wäre wichtig, dass weitere Regierungen dem Beispiel von Uganda und Kenia folgen. Es ist durchaus möglich, die Branche politisch zu regulieren, ihre Ausbreitung zu begrenzen und ihre Steuerschulden einzutreiben. Da viele der im südlichen Afrika tätigen Unternehmen von Übersee betrieben werden, tragen auch Regierungen und Regulierungsbehörden außerhalb der Region Verantwortung. Denn so lange es einfach ist, mit Wetten und Spielen aus der Region Geld abzuziehen, wird die Branche wachsen.

Wichtig ist aber auch, in den Gemeinden ein Bewusstsein für die Risiken des Spielens zu schaffen. Wir brauchen Kampagnen, die den Menschen praktisch zur Seite stehen, wenn sie dem verheerenden Einfluss der Spielbranche in ihren Gemeinden entgegenwirken möchten. Diese Kampagnen sollten sich vor allem an junge Männer richten, die Fußball lieben. Sie sollten ihre Leidenschaft für das Spiel in Bahnen lenken, die ihrer Gesundheit förderlicher sind als Fußballwetten.

Aus dem Englischen von Barbara Erbe.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2020: Meinungs- und Pressefreiheit
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