Geister ganz nüchtern betrachtet

Osiris Film & Entertainment

Szene aus „The Lost Okoroshi“ von Abba Makama. Der Film lief im vergangenen Jahr auf der Berlinale.

Nollywood
Mehrere Hundert Filme produziert Nigerias Traum­fabrik Nollywood jedes Jahr. Früher ging es oft darum, dass gute Christen gegen böse Mächte und Hexerei kämpfen. Jüngere Regisseure zeichnen ein differenzierteres Bild von afrikanischen Riten und traditionellem Glauben.

Pastor Emmanuel sieht sich in „Narrow Escape“, einem Nollywoodklassiker aus dem Jahr 1999, einem furchteinflößenden Feind gegenüber: seinem Vater. Die Fronten zwischen beiden Männern verlaufen nach altbekanntem Muster zwischen Gut und Böse. Pastor Emmanuel ist Christ, der das Evangelium verbreitet, sein Vater Odumodu Anhänger der traditionellen Volksreligion. In einer Szene warnt ein besorgter Dorfältester Pastor Emmanuel: „In den vergangenen zwölf Jahren hatten wir vierzehn Pastoren in Umuaka, sechs von ihnen haben den Ort als Leichen verlassen“. Anhänger eines mächtigen Kultes von traditionellen Gläubigen hatten sie umgebracht. Ihr Anführer war Odumodu.

Dieses Beispiel veranschaulicht, wie die religiösen Fronten in vielen nigerianischen Filmen damals verliefen. Charaktere, die den christlichen Glauben verkörpern – Pastoren, Pfarrer, Diakone, Gläubige –, waren von Natur aus gut. Sie waren Zielscheibe von Angriffen der Anhänger des traditionellen Glaubens – dargestellt als böse Hexen oder als Zauberer, die als in höchstem Maße böse angesehen wurden. 

„Narrow Escape“ war mit seiner Starbesetzung ein Erfolg, ebenso wie andere Filme mit ähnlichen Themen. In „End of Wicked“ (1999) ging es um die Boshaftigkeit von Hexen; in „Billionaire’s Club“ (2003) wurden geliebte Menschen für Reichtum geopfert; „Festival of Fire“ (2002) machte die Verfolgung von Missionaren zum Thema. Warum diese Filme beliebt waren, ist leicht zu erklären. Sie ließen sich von der Perspektive kolonialer Missionare inspirieren, die traditionelle Bräuche als böse und unreligiös betrachteten. Diese Botschaft stieß in einem sehr religiöen Nigeria auf offene Ohren, und angesichts der Allgegenwart der Filme begannen Nigerianer, einen bestimmten, jedoch falschen Blick auf den indigenen Glauben zu entwickeln.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute erkunden nigerianische Filmemacher den früher als unheilvoll betrachteten traditionellen Glauben und brechen mit dieser Art der Darstellung. Das liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sich insgesamt das Verhältnis Nigerias zur Religion wandelt. So stellen vor allem junge Leute das Christentum zunehmend infrage. Das liegt unter anderem daran, dass christliche Führer mit unchristlichen Tätigkeiten wie Vergewaltigung, Geldwäsche und politischem Machtmissbrauch in Verbindung gebracht werden. Insbesondere die Annäherung zwischen christlichen Führern, die als Verkörperung der Rechtschaffenheit gelten, und Politikern des Landes, die viele als Feinde des Volkes sehen, hat Misstrauen hervorgerufen.

Gleichzeitig erlebt der Agnostizismus einen Aufschwung und der Atheismus, der vor ein paar Jahren noch völlig inakzeptabel war, verliert seinen Schrecken. Die Nigerianer setzen sich intensiver mit alternativen Glaubenssystemen auseinander.

Indigener Glauben: nicht länger ein miserables Image

2018 wurde der nigerianische Politiker Timothy Owoeye von Gaunern gefilmt, wie er ein rituelles Bad nahm. Sie erpressten ihn mit dem Mitschnitt, er zahlte, das Video wurde dennoch veröffentlicht. Überraschenderweise wurde Owoeye für seine traditionellen Praktiken jedoch nicht kritisiert oder angefeindet – im Gegenteil: Viele Nigerianer sprangen ihm zur Seite und betonten sein Recht auf freie Religionsausübung.

Die veränderte Wahrnehmung des vormals unantastbaren Christentums und die Verbreitung alternativer Glaubenssysteme finden ihren Niederschlag in Nollywoodfilmen. Eine Reihe zeitgenössischer Filmemacher bemüht sich leidenschaftlich, das miserable Image des indigenen Glaubens zu korrigieren und dem Publikum ein vielschichtigeres Verständnis zu vermitteln.

Autor

Daniel Okechukwu

ist Filmkritiker in Nigeria und betreibt „That Nollywood Blog“.
So tragen in C. J. Obasis afro-futuristischem Kurzfilm „Hello, Rain“ (2018) die drei Freundinnen Rain, Philo und Coco magische Perücken, die ihnen übernatürliche Kräfte verleihen. Rain hat sie in bester Absicht gefertigt – mit Hilfe einer Kombination von Juju-Magie und Technologie. Doch dann geht etwas schief und Rain stellt fest: „Wie das Land, so wollten auch wir vorankommen, doch wir wurden zurückgeworfen.“ Der Geschichte liegt eine einfache Erkenntnis zugrunde: Weder Juju noch Technologie sind für bösartige Handlungen verantwortlich. Damit ruft der Film seinem Publikum in Erinnerung, dass Menschen Böses tun, weil sie es wählen. „Es ist interessanter, Juju wie jedes andere Element der Schöpfung darzustellen. Als solches ist Juju nicht von Natur aus schlecht“, sagt Regisseur Obasi. „Entscheidend ist, was der Mensch damit im Schilde führt.“

In seinem folgenden Film „Mami Wata“ (2018) ergründet Obasi ähnliche Themen, diesmal aber vor dem Hintergrund der Geschichte einer mythischen Wassergöttin. „Mami Wata ist mehr als nur Folklore“, schreibt Obasi auf einer Seite zum Film, die dem Fundraising diente. „Sie ist eine Wassergöttin, die zu Gesundheit, Wohlstand und Wohlwollen verhilft. Sie ist Symbol von Stärke und Macht der schwarzen Frau, aber aufgrund von Religion und Kolonialismus ist sie verteufelt worden.“

„The Lost Okoroshi“ (2019) von Abba Makama, eine geistreiche Kritik am Bruch des modernen Nigeria mit indigenen Traditionen, ist ein weiterer aktueller Film, der sich von alten Darstellungen absetzt. Der Film thematisiert die Beziehung zwischen einem Mann und einer Maske, die den ganzen Körper verkleidet und als Geist der Ahnen gilt, den viele für boshaft halten. Religiöse Menschen halten von solchen Maskeraden nichts. Aber in Makamas Film verbindet sich der Ahnengeist körperlich mit dem Protagonisten, und so brechen sie zu einer spirituellen Reise auf.

„Maskeraden wurden im Allgemeinen verteufelt und in westlichen Religionen als schlechtes Omen gedeutet“, sagte Makama dem Onlinemagazin „Indiewire“. „Mit diesem Filmprojekt will ich diese Sichtweise ändern und die Maskerade als buntes, spielerisches und gutartiges Element neu einführen.“ Und Obasi sagt: „Es ist mir daran gelegen, die Wahrnehmung des indigenen Glaubens zu verändern, weil ich ihn weder für schlecht noch für gut halte.“

Dieses Anliegen haben noch andere junge Filmemacher in Nigeria. Daniel Oriahi erzählt in „Sylvia“ (2018) eine Geschichte, in deren Mittelpunkt eine Ehefrau steht, die ein Geist ist. Er verzichtet aber darauf, dies auf einen Kampf zwischen ihr und einem Pastor hinauslaufen zu lassen, wie das oft in älteren Nollywoodfilmen zu sehen war. Oriahis Film handelt von Richard, der in zwei Welten lebt: der realen und der Traumwelt, in der er Sylvia trifft, wenn er schläft. Als Richard sich in eine Frau in der realen Welt verliebt und beschließt, sie zu heiraten, entscheidet sich Sylvia mit ihrem gebrochenen Herzen, ihm das Leben auf übernatürliche Weise zu erschweren. In Nollywoodfilmen aus den 1990er Jahren wäre ein Pastor aufgetreten und hätte Richards Problem gelöst, doch Oriahis Film hat keinen religiösen Schluss.

„Living in Bondage: Breaking Free“ (2019) ist eine eindrucksvolle Fortsetzung zu einem Film aus dem Jahr 1992, mit dem in Nollywood die Auseinandersetzung mit dem Gegensatz zwischen Christen und traditionellen Gläubigen begonnen hat. Die Fortsetzung vermeidet es jedoch, die Figuren eindeutig in Gut und Böse zu sortieren, und gelangt stattdessen zu einer psychologischen Lösung. In einer Szene macht sich einer der Charaktere sogar über die plumpe Darstellung des traditionellen Glaubens in alten Nollywoodfilmen lustig: „Was, glaubst du, ist das? Nollywood? Solche Dinge tun wir nicht mehr.“

Aus dem Englischen von Julia Lauer.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2020: Kino im Süden
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