Editorial 1-2008

LIEBE LESERINNEN UND LESER,

die Höhe der Managergehälter erhitzt in Deutschland die Gemüter. Wie sind Bezüge von mehreren Millionen im Jahr für die Vorstände großer Unternehmen zu rechtfertigen? Für die Frage zeigen viele Vertreter der Wirtschaftsverbände kein rechtes Verständnis. Sie verweisen darauf, dass deutsche Konzerne mit solchen in den USA, die noch mehr zahlen, um die besten Köpfe konkurrieren und erfolgreiche Manager das Vermögen der Aktionäre mehren.

Das mag sein. Doch es geschieht oft mittels Kostensenkungen, bei denen gut bezahlte Mitarbeitende durch Leiharbeitskräfte ersetzt oder ihre Aufgaben Subunternehmen übertragen werden. Auch deshalb beziehen viele Menschen in Deutschland inzwischen Löhne, von denen man nicht leben kann. Dass wir gleichzeitig über exzessive Managergehälter und gesetzliche Mindestlöhne diskutieren, ist ein Indiz dafür, dass die Ungleichheit gewachsen ist.

Dies ist ein globales Phänomen. Zwar ist, wie Branko Milanovic zeigt, nicht die Kluft innerhalb der Länder, sondern die zwischen reichen und armen Staaten der wichtigste Faktor der globalen Ungleichheit. Doch zugleich wachsen in vielen Industrie- und Schwellenländern die Einkommensunterschiede.

Aber ist das ein Problem? Kann es uns oder auch den Chinesen nicht gleich sein, wie viel die Reichen bekommen, so lange der Wirtschaftsaufschwung auch die Lage der Armen bessert? Dies ist aus mehreren Gründen ein Trugschluss. In der Entwicklungsdiskussion wird weithin anerkannt, dass hohe Ungleichheit ein Hindernis für die Bekämpfung der Armut ist. Sie führt erstens dazu, dass vom Zuwachs des Volkseinkommens weniger bei den Bedürftigsten ankommt. Thomas Pogge von der Columbia University in New York hat das in seinem Vortrag „Why Inequality Matters“ am Beispiel der Entwicklung in China abgeschätzt:Wäre dort nicht von 1990 bis 2001 die Ungleichheit stark gestiegen, dann wäre selbst bei einem um 2 Prozent niedrigeren Wirtschaftswachstum das Einkommen der ärmsten 30 Prozent Chinesen am Ende ein Fünftel höher gewesen.

Pogge weist zweitens auf eine noch schwerer wiegende Folge hoher Ungleichheit hin: Sie erlaubt es den Reichen, ihre Privilegien festzuschreiben. Anders als liberale Slogans von der Leistungsgerechtigkeit uns glauben machen wollen, ist ja die Verteilung der Einkommen und Vermögen nicht einfach das Ergebnis eines fairen Wettbewerbs. Vielmehr sind zugleich alle Gruppen ständig bestrebt, die Spielregeln zu ihren Gunsten zu manipulieren.Wächst die Ungleichheit, dann erhöht das nicht nur den Einkommensanteil, sondern auch den politischen Einfluss der Reichen. Die Folge ist, dass diese die Regeln des Wirtschaftlebens – sowohl die nationalen wie die globalen – zu ihren Gunsten ändern und so ihre Stellung zementieren. Die Chance der Benachteiligten sinkt, ihre Lage zu verbessern. Dieser Effekt von hoher Ungleichheit ist in vielen Ländern Lateinamerikas seit langem zu beobachten.

Gravierend sind drittens die sozialen Folgen hoher Ungleichheit. Richard Wilkinson weist darauf hin, dass sehr ungleiche Gesellschaften statistisch mehr Gewalttaten, mehr Drogenmissbrauch und mehr stressbedingte Krankheiten aufweisen. Grund genug also, in großen Einkommensunterschieden an sich ein Problem zu sehen.

Bernd Ludermann

welt-sichten 1-2008 

erschienen in Ausgabe 1 / 2008: Globale Ungleichheit
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