Ein Minister prescht vor

Picture Alliance, dpa, Britta Pedersen
Bald auf einem hohen Posten bei den UN? Noch-Entwicklungsminister Gerd Müller.
Gerd Müller
Die Bewerbung von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) für die Leitung der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (Unido) hat sowohl in Berlin als auch am Sitz der Behörde für Überraschung gesorgt.

Müller ist der erste Kandidat, der für die Nachfolge des Chinesen Li Yong seinen Hut in den Ring geworfen hat. Der Unido-Vorstand (Board) hatte das Verfahren für die Auswahl eines neuen Generaldirektors erst bei seiner Sitzung Ende November 2020 formal eröffnet. Dass Entwicklungsstaatssekretär Martin Jäger bereits bei dieser Gelegenheit im Namen der Bundesregierung den deutschen Kandidaten einbrachte, hat dort gewisse Verwunderung ausgelöst – zumindest was den Zeitpunkt anbelangt. Ein solches Vorpreschen sei eher ungewöhnlich, hieß es dazu in Kreisen der Organisation, und bisweilen kontraproduktiv – zumal die Außenministerien der Mitgliedsstaaten erst am 20. Dezember in einer sogenannten „Note verbale“ eingeladen wurden, Bewerbungen einzureichen. Das geht auch aus den Informationen des Sekretariats zum Nominierungsprozess für das Vorstandstreffen im November hervor. Demnach läuft die Frist für Vorschläge bis Mitte Mai 2021.

Bevor der Vorstand für die Unido-Generalversammlung (General Conference) einen Favoriten nominiert, haben alle Bewerber die Gelegenheit, bei einem „Kandidatenforum“ am 25. Mai sich vorzustellen und ihre Vorstellungen einer künftigen Strategie für die Organisation vorzutragen. Beschlossen werden soll die Personalie bei der Ende November geplanten Sitzung der Generalversammlung.

Der aktuelle Unido-Chef Li Yong hatte sich 2013 als Nachfolger von Kandeh Yumkella aus Sierra Leone gegen sechs andere Bewerber aus Afghanistan, Kambodscha, Thailand, Libyen, Italien und Polen durchgesetzt. Das Mandat des früheren stellvertretenden chinesischen Finanzministers wurde 2017 noch einmal erneuert. Weitere Kandidaten neben Minister Müller (65), der nach zwei Amtszeiten im Entwicklungsministerium nicht mehr zur Bundestagswahl antritt, waren bis Redaktionsschluss nicht öffentlich bekannt. In Wien wird jedoch erwartet, dass es starke weibliche Konkurrenz geben wird.

Vermehrt Frauen auf Spitzenpositionen

UN-Generalsekretär António Guterres gibt seit einigen Jahren entschlossen den Kurs vor, Spitzenpositionen in Unterorganisationen oder auf politischen Posten von Sonderbeauftragten und in Leitungen von Friedensmissionen mit Frauen zu besetzen. So führt Natalia Kanem seit 2017 den UN-Bevölkerungsfonds, Inger Andersen seit 2019 das UN-Umweltprogramm, Henrietta Fore wurde Leiterin des Kinderhilfswerks Unicef und Ghada Fathi Waly des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung. Vergangenen März verkündete eine UN-Sprecherin, es sei in den obersten Rängen von Sekretariat, Fonds und Programmen „mit 90 Männern und 90 Frauen“ Parität erreicht worden. Ein Gleichgewicht der Geschlechter auf allen Ebenen werde bis spätestens 2030 angestrebt.

Staatssekretär Jäger hob Müllers jahrelange Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit hervor. Der Minister habe seit 2013 den Fokus auf die Kooperation mit der Privatwirtschaft gelegt und besonders die berufliche Aus- und Fortbildung, die Beziehungen zu Afrika, den Ausbau nachhaltiger Infrastrukturen und den globalen Klimaschutz gefördert. Deutschland habe „eine lange Geschichte im Umgang mit Transformationsprozessen in der industriellen Entwicklung“ und führe mit der Unido seit 2019 einen „strategischen Dialog“ zur Schaffung von Arbeitsplätzen und von Berufsbildung.

Zweifel an Müllers Eignung

In Berlin gilt Müller derweil kaum als Verfechter multilateraler Zusammenarbeit. Das moniert auch die Opposition. Christoph Hoffmann, entwicklungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, begrüßt zwar grundsätzlich deutsches Spitzenpersonal bei den UN; immerhin sei Deutschland viertgrößter Beitragszahler. Doch Müllers Unido-Kandidatur habe ihn überrascht: „Die Entwicklungszusammenarbeit, eigentlich ein klassisches Feld für multilaterales Handeln, hat Gerd Müller immer stark bilateral betrieben.“ Ob sich diese Einstellung in einer neuen Position ändere, sei schwer zu sagen, sagt Hoffmann. Der FDP-Mann verweist zudem auf gefragte Fähigkeiten wie Organisationstalent, Sprachkenntnisse und Diplomatie in einer solchen Position: „Müller hat mit seiner spontanen, oft emotionalen, aber gut gemeinten Art so manchen Staat vor den Kopf gestoßen. Ich bin mir nicht sicher, ob ein solches Gebaren in einem so diplomatischen Umfeld zielführend sein kann.“

Hoffmann gehört zu den Politikern, die im vergangenen November von der „Bild am Sonntag“ mit Kritik zitiert wurden, Müller habe bei Auslandsreisen seine Ehefrau in Regierungsmaschinen mitgenommen, während Oppositionspolitikern die Mitreise verwehrt worden sei. Ein Ministeriumssprecher hatte die Vorwürfe zurückgewiesen und gegenüber der “Deutschen Presse-Agentur“ präzisiert, Müller sei in dieser Legislaturperiode von seiner Frau fünfmal in der Regierungsmaschine und viermal per Linienflug begleitet worden. Alle Kosten dafür seien beglichen worden.

Auch am Sitz der Unido sei der Schlagabtausch um die Zusammensetzung von Delegationen verfolgt worden, sagte ein Beobachter, der nicht namentlich genannt werden will. Wenn ein Regierungspolitiker sich auf Dienstreisen von seiner Ehefrau begleiten lasse, hinterlasse das immer ein „Geschmäckle“. Das könnte auch internationale Bewerbungen beeinflussen.

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